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Aber die allgemeine Stimmung war nicht feindselig, sondern eher von gutmütigem Spott geprägt.

Die Fahrt zur Residenz der Chases ging für Bolitho viel zu schnell vorbei; der junge Timothy lenkte seine Aufmerksamkeit immer wieder auf Sehenswürdigkeiten oder besonders stattliche Anwesen, an denen ihre Kutsche vorbeiratterte. Offenbar war er sehr stolz auf die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war. Etwa im gleichen Alter wie Adam, wirkte er weniger reserviert, als er lebhaft jedes Haus und seine Bewohner beschrieb.

«Insgesamt ist das Stadtbild von Boston gepflegter als das jeder anderen Stadt Neuenglands, Sir«, hob er hervor.

Bolitho fiel auf, daß die meisten Häuser aus Holz gebaut waren, auch wenn manche Fassaden dem Schnitt und der Verarbeitung nach Steinmauern vortäuschten. Bolitho lächelte in sich hinein. Sein Gastgeber war zwar ein reicher Mann, aber sein Reichtum stammte — wie Bolitho aus seinen Geheimunterlagen wußte — nur von den Prisen seiner Freibeuter ab, die er während der Revolution gegen die Briten ausgeschickt hatte.

Überhaupt war Boston ein Freibeuternest gewesen — wie so viele Häfen an dieser Küste, bis hinauf nach Portland.

Die beiden Kutschen bogen von der Straße in eine lange Auffahrt ein, die zu einem ausgewogen proportionierten dreigeschossigen Haus führte. Wie andere Häuser Bostons war es weiß gestrichen und hatte hohe grüne Läden an allen Fenstern. Hinter vielen Scheiben brannte schon warmes, festliches Licht.

«Na, Adam, was hältst du davon?«fragte Bolitho leise.

Adam ließ sich nichts anmerken.»Ich könnte mich ohne weiteres an das Wohlleben gewöhnen, Sir«, sagte er ebenso gedämpft.

Es fiel nicht schwer, sich ihren Gastgeber als Kapitän auf dem Achterdeck eines Freibeuters vorzustellen. Er hatte eine laute, dröhnende Stimme, die es gewohnt schien, herrisch das Wüten des Sturms oder den Donner der Kanonen zu übertönen. Jonathan Chase war ein vierschrötiger, kantiger Mann mit eisengrauem Haar und einer Haut wie aus dunkel gegerbtem Leder.

«Also, Admiral, es ist mir ein großes Vergnügen. «Er packte Bo-lithos Hand und musterte aufmerksam sein Gesicht.»Und eine besondere Ehre, einen so berühmten Seemann begrüßen zu dürfen.»

Bolitho fand den Mann sympathisch.»Es war sehr freundlich von Ihnen, Ihr Haus für dieses Treffen zur Verfügung zu stellen.»

Chase. grinste.»Wenn Thomas Jefferson etwas vorschlägt, dann fackelt man hier nicht lange, mein Freund. Auch wenn er erst seit einem Jahr unser Präsident ist, so hat er doch schon begriffen, daß Macht schneller zu Kopfe steigt als Wein. «Das schien Chase zu amüsieren.

Livrierte schwarze Diener nahmen die Hüte der Besucher entgegen, und dann folgte Bolitho dem Hausherrn in einen großen Salon voller Gäste. Chase deutete mit dem Kopf auf ein Tablett mit Gläsern.»Hoffentlich habe ich mit dem Wein Ihren Geschmack getroffen, Admiral. Er kommt aus Frankreich.»

Bolitho lächelte nachdenklich.»In der Tat.»

Fremde Gesichter glitten an ihm vorbei, als Chase seine Freunde und Geschäftspartner vorstellte; Bolitho wurde immer deutlicher bewußt, welche Autorität sein Gastgeber besaß und welch hohes Ansehen.

Keen war sofort von zwei attraktiven Damen mit Beschlag belegt worden, und eine dritte führte Hauptmann Dewar so entschlossen hinaus auf die Terrasse, als wolle sie ihn an diesem Abend mit keiner anderen teilen.

Chase stellte sein Glas ab und musterte Adam aufmerksam.»Ihr Adjutant, Admiral, sieht Ihnen ähnlich. Ist er Ihr Sohn oder jüngerer Bruder?»

«Mein Neffe.»

Chase nickte wohlgelaunt.»Sie und ich, wir schleichen uns gleich nach nebenan und köpfen eine Flasche ausgezeichneten Brandy. «Mit einem Finger tippte er sich gegen die Nase.»Das gibt uns Gelegenheit zu einer kleinen Unterhaltung, ehe unser Regierungsvertreter erscheint. «Plötzlich hob er die Hand.»Neffe, aha. Hätte ich mir denken können. «Und mit erhobener Stimme:»Hierher, Robina. Ich möchte dir jemanden vorstellen.»

Das Mädchen namens Robina war eine Schönheit: schlank, grazil und mit einem Leuchten in den Augen, das jeden Mann den Kopf nach ihr wenden ließ.

«Und das ist meine Nichte, Admiral«, strahlte Chase.

Robina legte Adam die Hand auf den Arm und schlug vor:»Ich zeige Ihnen den Garten, Leutnant. «Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf ihren Onkel:»Die beiden wollen ja doch nur von alten Zeiten reden.»

Bolitho mußte über Adams Fügsamkeit lächeln; fasziniert ließ er sich, ohne ein Wort des Protestes, von Robina davonführen.

Chase schmunzelte.»Ein hübsches Paar, die beiden, wie?»

Dann warf er einen Blick über die schwatzende Gästeschar.»Ich denke, wir gehen jetzt in die Bibliothek. Im Augenblick wird man uns nicht vermissen.»

In der holzgetäfelten Bibliothek schien sich ein Stück jüngster amerikanischer Geschichte versammelt zu haben: Andenken an Schiffe und Reisen, für Chase wahrscheinlich Erinnerungen an seine stürmischen Jugendjahre. Bolitho sah Harpunen und Walkiefer, daneben Schlachtengemälde, auf deren einem ein brennendes britisches Schiff gerade die Flagge strich.

Gutgelaunt meinte Chase:»Na ja, Admiral, schließlich haben Sie nicht jede Seeschlacht gewonnen. «Aber dann wurde er wieder ernst.»Samuel Fane, der Gesandte des Präsidenten, ist ein schwieriger Verhandlungspartner. Ich persönlich finde ihn sympathisch, soweit man einen Regierungsvertreter sympathisch finden kann, aber er haßt die Briten. «Chase grinste breit.»Wollte Sie nur warnen. Obwohl Sie — nach allem, was ich über Sie gelesen und gehört habe — gewiß selbst Ihren Mann stehen können.»

«Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen«, lächelte Bolitho.

Chase goß Brandy in zwei bauchige Gläser.»Keine Ursache. Ich habe gegen König George gekämpft, und zwar nicht zu knapp. Aber im Frieden gelten andere Gesetze als im Krieg. Wer das nicht akzeptiert, muß in unserer Welt Schiffbruch erleiden.»

Die Bäume und Sträucher des weitläufigen Gartens an der Rückfront des Herrenhauses waren schon in purpurne Schatten getaucht. Adam schritt mit dem Mädchen am Arm dahin und wagte kaum den Mund aufzumachen aus Angst, er könnte etwas Falsches sagen und damit den Zauber des Abends vertreiben. Für Adam gab es keinen Zweifel, daß er mit dem bezauberndsten Wesen spazierenging, das ihm jemals unter die Augen gekommen war.

Da blieb sie stehen, ergriff seine Hand und drehte ihn zu sich herum.

«Hören Sie, Leutnant, jetzt sind aber Sie dran, sonst rede ich noch den ganzen Abend. Alle sagen, ich sei viel zu geschwätzig. Und dabei möchte ich viel mehr über Sie erfahren. Sie heißen Adam und sind Adjutant des Admirals. Und weiter?»

Zu seiner Überraschung stellte Adam fest, daß ihm das Erzählen leicht fiel. Während sie unter den Bäumen dahinschlenderten, erzählte er ihr von seinem Dienst als Marineoffizier, von seinem Heim in Cornwall — und vergaß doch keinen Augenblick die warme kleine Hand auf seinem Arm.

Plötzlich unterbrach sie ihn.»Sie sind der Neffe des Admirals, Adam?»

Sein Name klang in ihrem Mund wie Musik.»Ja.»

«Ich wohne gar nicht in Boston«, fuhr sie fort.»Meine Familie lebt in Newburyport, das ist dreißig Meilen nördlich von Boston. Seltsam, daß es mir nicht früher eingefallen ist. Aber mein Vater spricht manchmal von einem Mann, der in unserer Stadt wohnte und ebenfalls Bolitho hieß.»

Adam bemühte sich, wieder klar zu denken.»In Newburyport?«»Ja. «Sie drückte seinen Arm.»Das klingt ja, als hätten Sie sich an etwas erinnert?»

Er wandte sich ihr zu; wie gern hätte er sie in die Arme genommen!» Das wird wahrscheinlich mein Vater gewesen sein.»

Amüsiert wollte sie auflachen, doch dann fiel ihr sein Ernst auf, das Bedeutsame dieser Entdeckung.

«Mein Onkel sagt, daß Ihr Schiff noch wochenlang in Boston liegen wird. Ich möchte, daß Sie nach Newburyport kommen und meine Familie kennenlernen. «Sie hob die behandschuhte Hand und legte sie leicht an seine Wange.»Seien Sie nicht so traurig, Adam. Falls es ein Geheimnis bleiben soll, ist es bei mir gut aufgehoben. Erzählen Sie mir aber nur davon, wenn es auch Ihr Wunsch ist.»

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