Doch Bolitho kam aus dem Schritt und stolperte, während der Franzose schon zum zweiten Hieb ausholte.
«Von wegen, Musjö!»
Alldays mächtiges Entermesser zuckte am Rand von Bolithos Gesichtsfeld vorbei und traf mit einem dumpfen Schlag wie auf massives Holz. Wo steckte Remond? Fieberhaft sah Bolitho sich um, den Säbel am schmerzenden Arm gesenkt. Endlich waren auch weitere Soldaten herübergesprungen. Mit ihren Spießen bahnten sie sich eine blutige Gasse zum Achterschiff.
An der Backbordleiter zur Poop stand, gedeckt von einigen seiner Offiziere, Konteradmiral Remond. Sie entdeckten einander im selben Moment, und ihre starren Blicke verhakten sich.
Remond reagierte als erster.»Ergeben Sie sich! Ohne das Flaggschiff ist es um Ihr Geschwader geschehen!»
Hohn- und Protestgeschrei der Engländer, die sich über die ganze Länge des Schiffes bis zum Achterdeck durchgekämpft hatten, antwortete ihm. Bolitho hob die Waffe und rief:»Ich warte, Admi-ral!»
Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, denn er wußte, daß er seinen Rücken ungedeckt jedem Scharfschützen darbot, der noch den Schneid zum Weiterkämpfen aufbrachte.
Remond riß sich den Hut vom Kopf und antwortete:»Nur zu, M'sieu!»
Bolitho hörte Allday hinter sich flüstern:»Mein Gott, er hat Ihren alten Säbel, Sir!«»Ich weiß.»
Bolitho machte einen Schritt von seinen Männern weg nach vorn und spürte dabei, daß ihre irrwitzige Mordlust einer grimmigen Neugier gewichen war.
Aber daß er die alte Familienwaffe in Remonds Hand sah, war genau der Ansporn, den er noch gebraucht hatte.
Ein enges Geviert auf dem von Schüssen zernarbten Deck wurde ihre Arena, gesäumt von Matrosen und Soldaten, die vorübergehend zu Zuschauern geworden waren.
Die Klingen kreuzten sich und zuckten wieder zurück. Bolitho achtete auf einen guten Stand und ignorierte den alten Schmerz in der Schenkelwunde, um dem Gegner keine verräterische Schwachstelle zu zeigen.
So Mann gegen Mann, mit gekreuzten Klingen, spürte Bolitho die ganze Kraft seines Gegners, die Stärke dieses untersetzten, muskulösen Körpers.
Trotz der Todesgefahr empfand Bolitho Alldays Nähe als beruhigend. Der Bootsführer begriff, daß dies eine Sache zwischen Bolitho und Remond war, und hielt sich zurück; aber seine Untätigkeit konnte nicht endlos währen, genausowenig wie dieses Duell wirklich den Ausgang der ganzen Schlacht entscheiden würde. Schon jetzt mußten die Offiziere auf dem unteren Batteriedeck der Sultane begriffen haben, was vorging, und ihre Leute in den Kampf gegen die Enterer werfen.
Mit hellem Klang schlugen die Klingen aneinander. In plötzlicher Klarsicht erinnerte sich Bolitho an seinen Vater, der ihn mit dem Säbel, den Remond jetzt führte, das Fechten gelehrt hatte.
Drohend bedrängte ihn Remonds Nähe, er roch seinen Schweiß, als die Säbel sich am Heft verhakten; dann stieß er den Gegner zurück und verschaffte sich wieder Luft.
Hinter ihm schluchzte jemand unbeherrscht auf. Das mußte Stir-ling sein, der wohl entgegen seinen Anweisungen hinter der Entermannschaft an Bord gekommen war, obwohl es ihn leicht das Leben kosten konnte.
Sie rechnen alle mit meinem Tod, dachte er.
Wie vorhin der Anblick des alten Familiensäbels in der Hand des Feindes brachte diese Erkenntnis ihn in Weißglut. Doch während er zuhieb und parierte, den Standort wechselte und den Gegner umkreiste, spürte er die Kraft seines Arms allmählich erlahmen.
Am Rand seines Blickfelds gewahrte er eine langsame Bewegung und stellte sich einen fließenden Moment lang vor, daß ein zweites französisches Schiff seine Odin jetzt von der anderen Seite her in die Zange nahm, wie sie es von Anfang an geplant hatten.
Aber dann verschlug es ihm fast den Atem. Dieser Schatten war kein Linienschiff! Er konnte nur die Phalarope sein! Während Odin sich in ihren übermächtigen Gegner verbissen hatte und Herricks Geschwader den Rest der französischen Streitmacht band, hatte Phalarope sich durch die Schlachtlinie gekämpft, um ihm und Odin zu Hilfe zu kommen.
Bolitho schnappte nach Luft, als der Schutzbogen von Remonds Säbel ihn schmerzhaft an der Schulter traf. Er konnte ihn gerade noch zurückstoßen. Der andere hatte sein momentanes überraschtes Zögern ausgenützt und sah sich schon als Sieger.
Bolitho taumelte gegen die Hängemattsnetze, sein Säbel fiel klappernd aufs Deck. Vor sich sah er Remonds schwarze Augen, starr und erbarmungslos, an der gezückten Klinge entlangvisieren, deren Spitze genau auf sein Herz gerichtet war.
Da — ein ohrenzerfetzendes Krachen! Karronadenfeuer aus nächster Nähe verwandelte die eben noch erstarrte Szene auf dem Achterdeck in ein wildes Chaos. Phalarope hatte das ungeschützte Heck des französischen Flaggschiffs gequert und spie ihm ihre großkalibrigen Kartätschen durch die Heckfenster, daß der mörderische Hagel durch die ganze Länge des unteren Batteriedecks flog.
Das Schiff bäumte sich auf und schien auseinanderzubrechen. Vor Bolithos Augen barsten Metallsplitter und gehacktes Blei durch die Decksplanken und die Bordwand; manche fetzten wie riesige Hornissen als Querschläger durch die Luft. Und einer dieser Splitter traf Remond mitten im Ausfall zum Todesstoß.
Bolitho merkte, daß Allday ihm auf die Füße half, daß Remond auf dem Rücken lag, in Höhe des Magens aus einer faustgroßen Wunde blutend. Neben Bolitho erwachte ein englischer Seemann aus seinem Schockzustand, gewahrte den sterbenden Admiral zu seinen Füßen und hob das Entermesser, um seiner Qual ein Ende zu machen.
Aber Allday hatte Bolithos Gesichtsausdruck gesehen und fiel dem Mann in den Arm.»Langsam, Kamerad! Er hat genug. «Dann bückte er sich und entwand den Fingern des Sterbenden vorsichtig den alten Säbel der Bolithos.»Er dient eben nicht zwei Herren, Musjö. «Aber Remonds Blick war schon starr und ohne Begreifen.
Bolitho nahm die Familienwaffe in beide Hände und drehte sie langsam hin und her. Rund um ihn schrien seine Männer hurra und stürzten einander jubelnd in die Arme, nur Allday stand stumm und wachsam da, bis auch der letzte Franzose die Waffe weggeworfen hatte.
Bolitho sah Stirling an, der vor ihm lehnte, von einem unkontrollierbaren Zittern geschüttelt.»Wir haben gesiegt, Mr. Stirling.»
Der Junge nickte, aber sein starrer Blick verriet noch Benommenheit. Dieser große Augenblick verstrich, ohne daß er ihn im Geiste für den Brief an seine Mutter festhielt.
Ein junger Leutnant, dessen Gesicht Bolitho irgendwie bekannt schien, drängte sich durch die jubelnden Seeleute und Marinesoldaten. Er erkannte Bolitho und griff grüßend zum Hut.
«Gott sei gedankt, Sie leben, Sir!»
Bolitho musterte ihn eingehend.»Danke. Aber kamen Sie, mir das zu sagen?»
Der Leutnant starrte die Toten und Verwundeten an, das zerschossene Deck und die blutigen Spuren der Schlacht.
«Ich soll Ihnen melden, Sir, daß der Feind die Flagge gestrichen hat. Das heißt, alle Schiffe bis auf eines haben kapituliert. Es versucht, in die Loire zu entkommen, aber Nicator ist schon hinter ihm her.»
Bolitho mußte den Blick abwenden. Also ein Sieg, wie er nicht überwältigender hätte sein können. Mehr hätte selbst Beauchamp nicht erwarten dürfen.
Dann wandte er sich wieder dem Leutnant zu; der junge Mann mußte ihn ja für wunderlich halten.
«Von welchem Schiff kommen Sie?»
«Von der Phalarope, Sir. Ich bin Fearn, provisorischer Erster Offizier.»
Bolitho konnte ihn nur anstarren.»Provisorischer Erster?«Der Mann wich verwirrt zurück, aber Bolitho dachte jetzt nur an seinen Neffen.»Ist Leutnant Pascoe…?«Er konnte es nicht aussprechen.
Erleichtert atmete der Leutnant auf; also hatte er doch nichts falsch gemacht.
«O nein, Sir! Leutnant Adam Pascoe ist provisorischer Kommandant. «Er sah zum Batteriedeck hinunter, als sei ihm eben erst die Erkenntnis gekommen, daß er überlebt hatte.»Leider muß ich Ihnen mitteilen, daß Kapitän Emes gefallen ist, als wir durch die französische Linie brachen.»