Литмир - Электронная Библиотека

Aber Remonds Flaggschiff hatte noch genug Zeit, sich freizuhalten und sich aus allen Rohren feuernd in den Schutz der Loiremündung und ihrer Küstenbatterie zurückzuziehen. Vielleicht schloß Remond aus Odins keckem Verhalten, daß die Engländer in Kürze mit Verstärkung rechneten.

Bolitho spähte nach Phalarope aus. Auch Herrick würde jetzt wohl an damals denken, als sie gezwungen werden mußte, ihren Platz in der Schlachtlinie einzunehmen und sich den Breitseiten eines überlegenen Gegners zu stellen. Das war in der Schlacht bei den Saintes gewesen: von den damals erlittenen Schäden hatte sich Phalarope nie mehr erholt.

«Sie formieren sich neu, Sir«, meldete Inch.

Bolitho sah die Signalflaggen zur Besanrah der Sultane aufsteigen und nickte. Noch immer stand es vier zu eins. Kein Grund zum Jubeln.

«Wir sind auf konvergierenden Kursen«, stellte Inch fest,»können aber immer noch in Luv bleiben, Sir.»

Aus schmalen Augen studierte Bolitho die im dunstigen Sonnenlicht schimmernde Bordwand des französischen Flaggschiffs. Achtzig Kanonen, das waren mehr, als sogar die Benbow aufzuweisen hatte. Die Rohre waren alle ausgerannt, aber noch nutzlos auf die Küste gerichtet, und auf ihren Rahen legten dicht gedrängt die Toppsgasten aus, um die Segel für die Annäherung an den Feind zu klarieren.

Halblaut fragte Bolitho:»Wo steht unser Geschwader, Mr. Stir-ling?»

Der Junge sprang zu den Webeleinen, enterte kurz auf und kam dann eilends zurück.»Schon auf unserer Höhe, Sir, und bald werden sie uns überholt haben. «Seine ursprüngliche Angst schien verflogen zu sein, seine Augen funkelten vor fieberhafter Erregung.

«Bleiben Sie in meiner Nähe. «Bolitho warf Allday einen vielsagenden Blick zu, denn die Furcht hatte den Midshipman im falschen Augenblick verlassen; sie konnte seine beste Waffe sein.

«Fallen Sie einen Strich ab, Kapitän Inch.»

«Neuer Kurs Südost!»

Er hörte den zischenden Laut, mit dem Allday sein Entermesser aus dem Gürtel zog, und sah die Kanoniere auf der Steuerbordseite wieder näher an ihre Kanonen herantreten.

Wenigstens konnten sie Remond einen heißen Tag bereiten, den er so bald nicht vergessen würde.

Bolitho zog seinen Säbel und warf die Scheide zum Fuß des Be-sanmastes.

Eines stand nun fest: Odins Herausforderung mußte die Franzosen so lange aufhalten, bis Herricks Geschwader sich Tod und Verderben speiend auf sie stürzen konnte.

Bolitho lächelte zufrieden; Inch und der Erste Offizier sahen dieses Lächeln und wechselten einen Blick.

«Seesoldaten — Front zum Feind!«Steifbeinig marschierte der Hauptmann hinter seinen Soldaten auf und ab und hatte die Augen überall.

Allday stieß versehentlich gegen den Midshipman und spürte sein nervöses Zusammenfahren. Es war dem Jungen nicht zu verdenken.

An Steuerbord wuchs das Gewirr der Stagen und Wanten, der Rahen und Segel immer höher, bis die Takelage des Franzosen den ganzen Himmel auszufüllen schien; und ihnen die Luft abschnürte, dachte Allday und lockerte sein Halstuch.

Stirling zog seinen Fähnrichsdolch, stieß ihn aber gleich darauf wieder in die Scheide zurück; angesichts dieses erschreckenden Panoramas feindlicher Segel und Flaggen erschien er ihm so nutzlos wie ein Belegnagel für den Kampf gegen eine Armee.

Allday sagte durch die zusammengepreßten Zähne:»Halten Sie sich in meiner Nähe. «Er deutete mit seinem Entermesser hinüber.»Das wird harte Arbeit, möchte ich wetten.»

«Zwei Strich nach Luv!»

Odin kehrte sich etwas von der Sultane ab, so daß ihr Rumpf noch länger und mächtiger wirkte als zuvor.»Klar zum Einzelfeuer!»

Inch spähte über die dreieckige Wasserfläche zwischen den beiden Schiffen. Das Dreieck wurde jetzt wieder spitzer, denn beide hatten nur kurz abgedreht, um ihren Kanonen besseres Schußfeld zu geben.

«Feuer!»

Noch während das Deck unter den unregelmäßigen Abschüssen der einzelnen Kanonen bockte und bebte, brüllte Inch:»Zurück auf Kurs, Mr. M'Ewan!»

Vorn auf der Back duckten sich die Seeleute, als der hochaufragende Klüverbaum des Feindes, von dem nach dem ersten kurzen Beschuß gebrochene Ketten und Stagen baumelten, über sie hinwegstrich.

Die ersten Musketenkugeln zischten durch die Luft, einige davon schlugen dumpf in die an der Reling festgezurrten Hängematten, andere prallten mit grellem Aufheulen von den eisernen Kanonen ab.

«Es ist soweit!«schrie Inch wild. Er drückte sich den Hut tiefer in die Stirn.»Auf sie, Leute!»

Und dann schien ihre ganze Welt in einer einzigen ungeheuren Explosion in die Luft zu fliegen.

Niemand hätte sagen können, wie oft Odin ihre Breitseiten gegen den Feind abgefeuert hatte und wie oft sie im Gegenzug von den Franzosen mit Eisen und Schrot beharkt worden war. Jedes Zeitgefühl verlor sich unter der erstickenden Rauchdecke, durch die immer wieder orangerote Feuerzungen zuckten; die Männer an den Kanonen feuerten und luden ohne zu denken, mechanisch wie seelenlose Marionetten.

Bolitho glaubte gelegentlich, in einer Gefechtspause von fern das schärfere Krachen leichterer Kaliber zu hören; wahrscheinlich verbissen sich dort drüben Ganymede und Rapid in ihren ungleichen Kampf gegen die französische Fregatte.

Der Rauch hing so dicht zwischen den beiden Linienschiffen und stieg so hoch empor, daß er allen die Sicht nahm. Die anderen französischen Schiffe oder Herricks Geschwader mochten schon längsseits sein oder auch noch eine Meile entfernt — Bolitho hätte es nicht einmal erraten können; so hermetisch schloß ihn Rauch und Kanonendonner vom übrigen Tumult ab.

Über ihren Köpfen wippten die Schutznetze unter dem Aufprall herabstürzender Spieren und Blöcke; und dann wurden — gemeinsam und gleichzeitig, als hätten sie einander an den Händen gefaßt — drei Scharfschützen von einer Kartätschenladung aus dem Großmars gefegt; ihre Schreie gingen unter im Getöse des Gefechts.

Eine Kugel krachte durchs Schanzkleid, pflügte über das mit Menschen vollbesetzte Achterdeck und durchschlug die Reling auf der gegenüberliegenden Seite. Vor Bolithos Augen färbten sich die Decksplanken rot vor Blut, das bis zum Besanbaum hinaufspritzte. Wie das Fleischerbeil eines Riesen war die Kugel zwischen Seesoldaten und Achterdeckswache gefahren.

Inch schrie immer wieder:»Einen Strich nach Luv, Mr. M'Ewan!«Aber der Master lag tot über seinen beiden Rudergasten, und das Deck rund um die Gefallenen war rot gesprenkelt.

Mit kalkweißem Gesicht trat ein anderer Rudergast ans Rad und griff in die Speichen, bis der Bug langsam herumzuschwingen begann.

Immer mehr Seesoldaten enterten in den Webeleinen auf und begannen, die feindlichen Offiziere drüben aufs Korn zu nehmen.

Bolitho biß die Zähne zusammen, als ein Schuß zwei Seeleute von ihrer Kanone dicht unter dem Achterdeck wegschleuderte;

dem einen war der Kopf abgerissen worden, der andere schrie gellend wie ein Tier, während seine Hände sich um die Splitter krallten, die ihm aus Hals und Gesicht ragten.»Feuer!»

In den Lücken, die der wirbelnde Rauch ließ, gewahrte Bolitho immer wieder Szenen unsäglichen Leidens oder überraschender Beherztheit. Die Pulverjungen rannten weiterhin gebückt unter dem Gewicht der Kartuschen von Kanone zu Kanone. Ein Seemann stemmte sich mit äußerster Kraft in die Handspake, während sein Stückmeister ihm durch Rauch und Lärm Anweisungen zubrüllte. Ein Midshipman, noch jünger als Stirling, preßte beide Fäuste in die Augen, um die Tränen über seinen toten Freund zurückzuhalten, der, von einer Schrotladung zerfetzt, davonge-schleift wurde.

«Und noch einmal, Jungs: Feuer!»

Allday drängte sich schützend an Bolitho, weil das Musketenfeuer immer intensiver wurde. Rund um sie fiel und starb die Besatzung, während die Überlebenden ihren Haß in den Rauch schrien und weiterfeuerten.

«Sehen Sie dort, Sir!«Allday deutete nach oben.

74
{"b":"113331","o":1}