Литмир - Электронная Библиотека

Das Wachschiff war jetzt völlig außer Kontrolle geraten und brannte vom Bug bis zum Großmast, an dem die Flammen emporleckten und die Segel in Sekundenschnelle zu Asche verwandelten. Während Bolitho noch hinübersah, erzitterte plötzlich der Rumpf, und eine Maststenge fiel wie eine Lanze in den Rauch hinunter. Das Schiff mußte auf Grund gelaufen sein. Schon trieben mehrere Gestalten im Wasser davon, andere schwammen verzweifelt auf eine Felsgruppe zu.

«Feuer einstellen!»

Stille breitete sich auf Odin aus; selbst die Männer, die nach der letzten Breitseite noch die Kanonenrohre auswischten, richteten sich auf, um Phalarope bei ihrer langsamen und eleganten Annäherung zu beobachten.

Gepreßt sagte Allday:»Seht sie euch an, wie dicht sie rangeht! Die Franzosen könnten einem beinahe leid tun.»

Emes ging auf Nummer Sicher und riskierte weder einen Fehlschuß noch sein Schiff. Eine nach der anderen, vom Bug bis zum Heck fortlaufend, feuerten seine Karronaden, nicht mit dem hallenden Krachen der langen Kanonen, sondern mit flachem, hartem Knall — wie mächtige Hämmer, die auf den Amboß schlugen.

Die Karronaden selbst konnte Bolitho nicht sehen, wohl aber die Einschläge, die wie ein Orkan zwischen die restlichen Landungsboote fuhren. Ein Orkan aus großen hohlen Eisenkugeln, die beim Aufprall barsten und einen tödlichen Kartätschenhagel verspritzten.

Wenn eine einzige dieser Kugeln im geschlossenen Raum unter Deck explodierte, verwandelte sie ihre Umgebung in ein Schlachthaus. Ihre Wirkung auf die leichten, dünnwandigen Landungsboote mußte verheerend sein.

Emes ließ sich Zeit und nahm bis auf die Bramsegel alles Tuch weg, damit seine Stückmannschaften in Ruhe ihre Karronaden nachladen konnten. Dann ließ er sie eine letzte Salve abfeuern.

Als das Echo verhallt war und der Rauch sich hob, schwammen nur noch ein knappes Dutzend Boote im Wasser, und auch sie hatten Beschädigungen und Verletzte aufzuweisen.

Bolitho schob sein Fernrohr zusammen und reichte es einem Midshipman. Übers ganze Gesicht grinsend, schlug Inch seinem Ersten Offizier auf die Schulter.

Der ahnungslose Inch. Bolitho blickte auf, als ein gellender Ruf von oben kam:»An Deck!«und dann:»Segel in Lee voraus!»

Ein Dutzend Teleskope hoben sich fast gleichzeitig, und so etwas wie ein Aufseufzen lief über das ganze Oberdeck.

Allday neben Bolitho flüsterte:»Er kommt zu spät, Sir!«Aber in seiner Stimme lag kein Triumph.

Sorgsam ließ Bolitho sein Glas über die glitzernden Wellenkämme wandern. Es waren drei Linienschiffe, die auf diese Entfernung dicht zusammengedrängt wirkten; ihre Wimpel und Flaggen setzten bunte Farbtupfer auf den grauen Himmel. Ein viertes Schiff, wahrscheinlich eine Fregatte, rundete gerade erst die Landzunge.

Die Seesoldaten begriffen, daß die ganze Arbeit noch vor ihnen lag, und traten mit scharrenden Stiefeln näher an die Finknetze heran.

Allday hatte das von Anfang an gewußt, ebenso wie Inch. Aber den hatte die Rolle seines Schiffes im Gefecht so begeistert, daß er diese Erkenntnis verdrängt hatte.

Midshipman Stirling beschattete die Augen, um besser nach der Gruppe heller Segelpyramiden ausspähen zu können. Er spürte Bolithos Blick im Rücken und drehte sich um; in seinen Augen lag nicht mehr Siegesgewißheit, sondern kindliche Verwirrung.

«Kommen Sie näher, Mr. Stirling. «Bolitho deutete auf die fernen Schiffe.»Das ist Remonds Geschwader. Wir haben es heute morgen ziemlich unsanft aufgescheucht.»

«Stellen wir uns zum Gefecht, Sir?«fragte Stirling.

Bolitho blickte ernst auf ihn hinunter.»Sie sind Marineoffizier, Mr. Stirling, ebenso wie Mr. Inch oder ich selbst. Was sollte ich Ihrer Ansicht nach tun?»

Stirling versuchte sich vorzustellen, wie sich all dies im Brief an seine Mutter ausnehmen würde. Aber kein Bild entstand vor seinem geistigen Auge, und plötzlich fürchtete er sich sehr.

«Kämpfen, Sir!«sagte er.

«Dann gehen Sie zu Ihren Signalgasten und halten Sie sich bereit, Mr. Stirling. «Und zu Allday gewandt sagte Bolitho:»Wenn er trotz seiner Angst so sprechen kann, dann sollte das uns allen neuen Mut geben.»

Allday warf ihm einen seltsamen Blick zu.»Wenn Sie meinen, Sir?»

«An Deck! Zwei weitere Schiffe runden die Landspitze!»

Bolitho verschränkte die Hände auf dem Rücken. Also fünf gegen eins. Inchs Verzweiflung war berechtigt.

Es hatte keinen Sinn, umsonst zu kämpfen und zu sterben, Menschenleben grausam zu opfern. Sie hatten schon erreicht, was vorher fast unmöglich geschienen hatte. Neale, Browne und die vielen anderen waren nicht sinnlos gestorben.

Andererseits — fast ebenso grausam wie der Tod würde Inch den Befehl empfinden, die Flagge zu streichen und zu kapitulieren.

«An Deck!»

Bolitho starrte angestrengt zu dem Ausguckposten auf der Be-sansaling hinauf. Der Anblick des heransegelnden Feindes mußte ihn so gefesselt haben, daß er vergessen hatte, seinen eigenen Sektor zu beobachten.

«Mein Glas!»

Bolitho riß das Teleskop dem Midshipman fast aus der Hand, ignorierte die verblüfften Blicke der Umstehenden, rannte zu den Wanten und enterte in den Webeleinen so weit auf, bis er hoch über Deck stand.

«Drei Linienschiffe in Lee achteraus!»

Bolitho, der keinen Blick von den Neuankömmlingen wandte, spürte einen Kloß im Hals. Irgendwie hatte es Herrick trotz der widrigen Windverhältnisse geschafft. Bolitho wischte sich die überanstrengten Augen trocken und richtete das Glas wieder aus.

Benbow hatte die Führung übernommen. Mit ihrem vollen

Rumpf und der kühnen Galionsfigur war sie unverkennbar. Hoch oben wand sich Herricks Kommodorewimpel gequält hin und her, als das Führungsschiff und mit ihm der Rest des Geschwaders abermals über Stag gingen — wohl zum hundertsten Male — , um mühsam nach Luv aufzukreuzen und zu ihrem Admiral aufzuschließen.

Bolitho enterte aufs Achterdeck nieder und merkte, daß die anderen ihm wie Fremde entgegensahen. Leise fragte Inch:»Ihre Befehle, Sir?»

Bolitho blickte kurz zu Stirling und seinem Sortiment bunter Signalflaggen hinüber.

«Signal an alle, Mr. Stirling: >In Schlachtlinie ansegeln!<»

Allday sah den Signalflaggen nach, die knatternd zur Rah aufstiegen.»Ich wette, das haben die Musjös nicht erwartet!»

Bolitho mußte lächeln. Der Zahl nach waren sie zwar noch immer unterlegen, aber er hatte schon unter schlechteren Voraussetzungen gekämpft. Genau wie Herrick. Zu Stirling gewandt, sagte er:»Sie sehen, ich befolge Ihren Rat!»

Allday mußte den Kopf schütteln. Er verstand nicht, wie Bolitho das fertigbrachte. Denn in einer Stunde, vielleicht schon eher, würden sie alle um ihr Leben kämpfen müssen.

Den Blick auf den Wimpel im Masttopp gerichtet, ließ Bolitho ein Bild des bevorstehenden Gefechts vor seinem geistigen Auge entstehen. Wenn der Wind durchstand, konnte Schiff gegen Schiff kämpfen, aber das bot Remond einen Vorteil. Besser war es, den einzelnen Kommandanten freie Hand zu lassen, wenn die Schlachtlinie des Feindes erst einmal durchbrochen war.

Sein Blick schweifte übers Deck nach vorn, streifte die nackten Rücken der Kanoniere und die Bootsmannsgehilfen, die alles für das Aussetzen der Beiboote vorbereiteten. An Deck bedeuteten Boote nur erhöhte Splittergefahr im Falle eines Treffers, und diesmal hatten sie es nicht mit hilflosen, überraschten Landungsfahrzeugen zu tun.

Bolitho sah, daß einige Neulinge seiner Mannschaft flüsternd beisammenstanden; die Freude an ihrem ersten Sieg war ihnen wohl seit der Ankunft des starken französischen Geschwaders verdorben.»Kapitän Inch!«rief er.»Die Pfeifer sollen uns zum Gefecht aufspielen. Das gibt bessere Laune!»

Inch, der seinem Blick gefolgt war, nickte eifrig.»Dieser Krieg dauert schon so lange, Sir, daß ich es manchmal vergesse, aber es gibt tatsächlich noch Matrosen, die kein einziges wirkliches Seegefecht erlebt haben.»

71
{"b":"113331","o":1}