Außerdem warnte er noch einmal nachdrücklich vor diesem heimtückischen Küstenstrich und seinen unberechenbaren Winden. Aber die schlechten äußeren Bedingungen behinderten beide
Seiten, wie die Verluste von Styx und Ceres bewiesen hatten. Es stand unentschieden, genauso wie der ganze Krieg.
Die Kommandanten waren erfahrene Offiziere und hegten keinerlei Illusionen über einen Angriff bei Tageslicht; die Atmosphäre war eher erwartungsvoll als skeptisch, als ob alle — genau wie ihr Admiral — die Sache endlich anpacken und hinter sich bringen wollten.
Wie Mitspieler in einem Drama kamen und gingen noch andere Beteiligte: Ben Grubb, der Master, gab grummelnd und unbeeindruckt wie immer eine Übersicht über Tiden und Strömungen, vermutete Wracks und anderes, während Yovell alles gewissenhaft notierte und für jeden Anwesenden eine Kopie anfertigte.
Wolfe, der Erste Offizier, hatte in Friedenszeiten für die Handelsmarine diese Gewässer befahren und einiges an Ortskenntnis beizusteuern.
Bolitho sagte schließlich:»Wenn wir den Angriff erst begonnen haben, gibt es keine zweite Chance für uns. «Er blickte reihum in die nachdenklichen Gesichter.»Die Staffel der optischen Telegraphen bedeutet ein ebenso schwerwiegendes Hindernis wie ein ganzes französisches Geschwader. Um diese Kette auch nur für kurze Zeit zu zerbrechen, bedarf es besonderen Mutes und äußerster Entschlossenheit. Zum Glück haben wir einen solchen Mann in unseren Reihen. Er wird ein Stoßtruppunternehmen gegen einen Telegraphen führen, der dem Gefängnis benachbart ist, das uns vor kurzem gemeinsam beherbergte.»
Sofort stieg die Spannung in der Kajüte, und alle Blicke wandten sich Browne zu.
Bolitho fuhr fort:»Dieser Stoßtrupp bricht morgen im Schutz der Nacht auf, begünstigt von Tide und Neumond. «Er sah zu La-pishs aufmerksamem Gesicht hinüber.»Mr. Browne hat darum gebeten, daß Ihr Erster Offizier Mr. Searle wieder mit von der Partie ist. Darüber hinaus schlage ich vor, daß höchstens sechs sorgfältig ausgewählte Männer teilnehmen, unter denen mindestens zwei mit besonderer Erfahrung im Luntenlegen und Sprengen sein sollten.»
Lapish nickte.»Solche Männer habe ich, Sir. Einer war Bergmann und kennt sich mit Sprengladungen aus.»
«Gut. Das überlasse ich Ihnen, Kapitänleutnant Lapish. Sie werden also morgen nacht zur Küste segeln, den Stoßtrupp absetzen und sich zurückziehen. Danach stößt Rapid wieder zum Geschwader und berichtet durch vorher abgesprochene Nachtsignale. «Er hatte den Verlauf so genau im Kopf, daß es ihm vorkam, als zitiere er eines anderen Anweisungen.»Kommodore Herrick bezieht bei Belle Ile Station, begleitet von Nicator und Indomitable, und Sparrowhawk wird ihnen für das küstennahe Rekognoszieren beigegeben. «Dann sah er Inch direkt an.»Sofort nach dieser Besprechung werde ich auf Odin überwechseln. Unterstützt von Pha-laropes Karronaden, werden wir den ersten Angriff auf die noch verankerten Landungsboote fahren.»
Inch strahlte und hüpfte vor Freude, als hätte man ihm gerade die Erhebung in den Adelsstand versprochen.»Das wird ein Fest, Sir!«»Vielleicht. «Bolitho sah sich in der Kajüte um. »Ganymede wird mein Kundschafter, und Rapid übernimmt die Verbindung zwischen den beiden Geschwaderteilen. «Er wartete, bis das Gemurmel ve rstummte, und schloß:»Das Geschwader beginnt den Angriff übermorgen bei Tagesanbruch. Das wäre alles, meine Herren, bis auf den Wunsch, daß Gott mit uns sein möge.»
Die Kommandanten sprangen auf und scharten sich um Browne, dem sie schulterklopfend zu seiner Verwegenheit gratulierten, obwohl wahrscheinlich jeder wußte, daß sie sich von einem Mann verabschiedeten, der so gut wie tot war. Falls Browne sich dessen bewußt war, so ließ er sich nichts anmerken. Er schien in den letzten Wochen gereift zu sein und wirkte älter als die meisten Kommandanten in der Runde.
Herrick flüsterte eindringlich:»Und von den neuen Befehlen haben Sie ihnen kein Wort gesagt, Sir!»
«Vom Rückruf? Von der Aufgabe aller Angriffspläne?«Boli-tho sah traurig zu Browne hinüber.»Sie würden trotzdem meinen Standpunkt unterstützen und mir folgen. Wären sie aber informiert vom Sinneswandel Ihrer Lordschaften, müßten sie später bei jeder
Untersuchung oder vor einem Kriegsgericht als meine Komplizen gelten. Aber Yovell schreibt das alles nieder, und jeder, der will, kann es später schwarz auf weiß lesen.»
«Dieser Zusatz in Ihrer Order, Sir«, beharrte Herrick,»wonach Sie nach eigenem Gutdünken…»
Bolitho nickte.»Ich weiß. Wie die Sache auch ausgeht, die Verantwortung bleibt bei mir.«Überraschend lächelte er.»Das war schon immer so, oder?»
Einer nach dem anderen verabschiedeten sich die Kommandanten, denn jeder hatte es eilig, aufsein eigenes Schiff zurückzukehren und seine Besatzung auf den Angriff vorzubereiten.
Bolitho wartete an der Schanzkleidpforte, bis auch Browne erschien, der bereits jetzt auf die Brigg umsteigen sollte.
Browne begann:»Ich mache mir Gedanken darüber, Sir, daß Sie jetzt keinen geeigneten Adjutanten haben. Vielleicht könnte Ko-modore Herrick einen Ersatz für mich bestimmen?»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Ich nehme den Midshipman, der bei Ihrem Vorstoß verwundet wurde. Wie Sie sagten, ist er gut bewandert im Signalwesen und spricht ein annehmbares Französisch. «Nein, er konnte es unmöglich bei diesem beiläufigen Abschied belassen.
«Also Stirling. «Browne lächelte.»Jung, aber sehr bemüht. Zu Ihrem Adjutanten allerdings kaum geeignet, Sir.»
Bolitho sah zu, wie die Barkasse über Bord geschwungen und abgefiert wurde, in der er später auf Inchs Schiff übersetzen wollte.
«Ich bin sicher, Oliver, daß es sich dabei nur um eine kurzfristige Vertretung handelt. Nicht wahr?«Ihre Blicke trafen sich, dann ergriff Bolitho Brownes Hand.»Ich bin über die Sache gar nicht glücklich, Oliver. Geben Sie gut auf sich acht. Ich habe mich inzwischen zu sehr an Ihre Art gewöhnt.»
Browne erwiderte den Händedruck ohne zu lächeln.»Sorgen Sie sich nicht, Sir. Ich verschaffe Ihnen die Frist, die Sie brauchen. «Damit trat er zurück und griff grüßend an seinen Hut. Der Augenblick des Verstehens war vorbei.
Herrick sah dem davonrudernden Beiboot der Brigg nach und sagte:»Tapferer Kerl. «Dann machte er auf dem Absatz kehrt und wandte sich wieder den Bordangelegenheiten zu. Allday kam nach achtern und wartete, bis Bolitho ihn bemerkte.
«Ozzard hat Ihre Sachen schon zur Odin geschickt, Sir. Er ist gleich mitgefahren. Sagte, daß er nicht ein zweitesmal auf Benbow zurückgelassen werden wollte. Mit Verlaub, Sir: ich auch nicht.»
Bolitho lächelte.»Wir haben ja schon Übung auf dieser Strecke, Allday.»
An den Flaggleinen standen Midshipmen bereit, seine Admiralsflagge niederzuholen, sowie er das Schiff verließ, und Herricks Kommodorewimpel zu hissen. Damit war Herrick wenigstens vor jeder Kritik gefeit, wenn das Schlimmste eintrat.
Er wandte sich um und spähte nach Rapids Beiboot aus, aber es war schon im Dunst verschwunden.
Der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne hatte keine Sekunde gezögert. Wenn jene, die sich daheim in Sicherheit wiegen konnten, Zeugen seines Opfermuts geworden wären, hätte ihnen das vielleicht zu denken gegeben.
Herrick trat zu Bolitho und meldete:»Ihr Aushilfs-Adjutant ist zur Stelle, Sir.»
Alle blickten auf Midshipman Stirling hinab, der — das Signalverzeichnis unterm Arm und seinen Seesack in der Hand — seinerseits zu Bolitho emporstarrte. Dieser sah, daß Stirling einen Arm in der Schlinge trug, und befahl:»Helfen Sie ihm, Allday.»
Der Bootsführer unterdrückte ein Grinsen.»Aye, aye, Sir. Hier entlang, junger Herr. Ich werde schon dafür sorgen, daß Ihnen auf Odin keiner frech kommt.»
«Also dann, Thomas…»
Herrick rieb sich das Kinn.»Ja, es wird wohl Zeit, Sir.»
«Denken Sie daran, Thomas, wenn wir siegen, können die Leute daheim neuen Mut schöpfen. Im Lauf der Kriegsjahre hatten sie eine Menge zu erdulden. Krieg geht nicht nur auf Kosten der Soldaten, das müssen wir uns immer vor Augen halten.»