«Sicherlich, Onkel. Trotzdem.»
«Herrgott, du wirst noch genauso stur wie Herrick. Und jetzt fort mit dir, zurück auf dein Schiff, und der Himmel sei dir gnädig, wenn ich drüben bei euch irgendwelche Laxheiten entdecke. Denn ich weiß nur zu gut, an wen ich mich dafür zu halten hätte!»
Diesmal grinste Pascoe übers ganze Gesicht.
«Danke, Onkel.»
Gemeinsam gingen sie aufs Achterdeck hinaus, wo Herrick in unbehaglichem Schweigen neben Kapitän Emes wartete.
«Der Wind frischt auf, Sir«, berichtete Herrick.»Darf ich vorschlagen, daß die Gig von Phalarope längsseits gerufen wird?«Er warf Emes einen schrägen Seitenblick zu.»Sollte mich nicht wundern, wenn ihr Kommandant so bald wie möglich auf sein Schiff zurückkehren möchte.»
Pascoes Blick glitt einmal zwischen den beiden hin und her, dann trat er forsch auf seinen Kommandanten zu.
«Vielen Dank, daß ich Sie begleiten durfte, Sir.»
Emes musterte ihn argwöhnisch.»Das war doch eine Selbstverständlichkeit, Mr. Pascoe.»
Bolitho wollte die enge Vertrautheit mit seinem Neffen noch einen Augenblick länger genießen.
«In Gibraltar habe ich Belinda Laidlaw getroffen«, berichtete er und spürte, wie ihm unter Pascoes überraschtem Blick das Blut ins Gesicht schoß.»Sie ist jetzt auf der Heimreise nach England.»
Pascoe lächelte.»Verstehe, Onkel — äh, Sir. Das wußte ich nicht. Es war sicher ein sehr erfreuliches Wiedersehen. «Sein Blick wanderte vergnügt von Bolitho zu Herrick.
Die Offiziere tippten zum Abschied grüßend an ihre Hüte, dann stieg Emes hinter Pascoe in die wartende Gig hinunter.
Wütend flüsterte Herrick ihnen nach:»Unverschämter junger Lümmel!»
Mit ernstem Gesicht wandte sich Bolitho ihm zu.»Weshalb, Thomas? Ist mir etwas entgangen?»
«Tja, äh, Sir, ich wollte sagen. «Herrick verstummte verwirrt.
Über ihnen beugte sich Wolfes mächtige Gestalt vor.»Gestatten Sie, daß wir das Schiff wieder in Fahrt bringen, Sir?»
Bolitho nickte knapp.»Gestattet. Ich fürchte, dem Kommodore hat es die Sprache verschlagen.»
Damit schritt er nach Luv hinüber, während die Deckswache wieder einmal an die Brassen und Schoten eilte.
Bewölkung war aufgezogen, es herrschte ein kurzer, steiler Seegang. Möglicherweise braute sich Schlechtwetter zusammen.
Bolitho sah der Gig nach, die gerade ihr Anlegemanöver am Mutterschiff fuhr, und ließ Pascoes Worte in sich nachklingen: >Ein sehr erfreuliches Wiedersehen.< Erriet er den wahren Sachverhalt, oder hatte er ihn nur necken wollen?
Eines stand jedenfalls fest: Pascoe freute sich für sie beide, und das machte die Dinge sehr viel leichter.
Die freudige Erregung, mit der Bolitho seine kleine Streitmacht wieder vereint hatte, wich allmählich nervtötender Langeweile, als die Tage sich zu Wochen dehnten, ohne daß etwas geschah. Durch Bolithos Anwesenheit wurde der Blockadedienst nicht kurzweiliger. Die öde Monotonie, mit der sie vor der feindlichen Küste auf und ab segelten, und das bei jedem Wetter, brachte es unausweichlich mit sich, daß Schlamperei und Aufsässigkeit einrissen; dies wiederum fiatte häufigere Disziplinarmaßnahmen zur Folge.
Zweifellos beobachtete der französische Admiral von einem sicheren Aussichtspunkt an der Küste das Auftauchen und Verschwinden ihrer Segel an der Kimm, während er sich reichlich Zeit nahm, seine wachsende Invasionsflotte für ihren letzten und entscheidenden Durchbruch zum Ärmelkanal vorzubereiten.
Ganymede war näher an die Küste befohlen worden, um nach verankerten Schiffen Ausschau zu halten, wurde aber von zwei feindlichen Fregatten sehr schnell verjagt, die auf dem Höhepunkt eines Gewitters über sie herfielen. Das engmaschige Nachrichtennetz der Semaphoren funktionierte also nach wie vor einwandfrei.
Aber bevor er sich auf die offene See zurückgezogen hatte, war dem Kommandanten der Ganymede der ungewöhnlich starke Fischereiverkehr aufgefallen.
Gegen Ende der dritten Woche sichteten die Ausguckposten die Linienschiffe Indomitable und Odin, die von Norden her zu ihrem Geschwader stießen. Bolitho atmete auf. Denn er hatte einen nachdrücklichen Rückruf erwartet oder einen Befehl Ihrer Lordschaften, Herrick den Oberbefehl abzutreten und sich selbst auf den Heimweg zu machen. Es hätte bedeutet, daß Beauchamps Pläne aufgegeben wurden und Styx umsonst geopfert worden war. Als die beiden Linienschiffe gravitätisch in Lee von Benbow ihre Stationen bezogen, säumten alle Männer der Freiwache die Reling und starrten neugierig hinüber, ob sie bekannte Gesichter entdeckten oder Neuigkeiten aus der Heimat erfuhren. Jede Kleinigkeit, die das traurige Einerlei des Blockadedienstes vertrieb, war hochwillkommen.
Bolitho stand mit Herrick an Deck, beobachtete den Austausch von Signalen und freute sich am vertrauten Anblick dieser stolzen Schiffe. Odin hatte er nicht mehr gesehen, seit sie vor Kopenhagen so grausam zusammengeschossen worden war; aber ohne Mühe konnte er sich das lange Pferdegesicht von Francis Inch, ihrem Kommandanten, vorstellen und wie er bei ihrem Wiedersehen vor Freude springen würde. Aber das mußte noch warten. Erst mußten Nachrichten ausgetauscht, Depeschen gelesen und beantwortet werden. Und außerdem hatte er gar keinen Anlaß, seine Kommandanten zusammenzurufen, dachte Bolitho, plötzlich ernüchtert.
Er nahm seinen gewohnten ungestörten Spaziergang auf dem Achterdeck wieder auf. Hin und her, hin und her marschierte er, und seine Füße stiegen dabei wie von selbst über Decksbeschläge und aufgeschossene Leinen hinweg.
Die Neuankömmlinge kürzten die Segel, und ein Beiboot mit einem dicken Postsack im Heck strebte auf die Benbow zu.
Als er sich genug Bewegung verschafft hatte, kehrte Bolitho in seine Kajüte zurück; ihm war seltsam melancholisch zumute, was vielleicht an der ersten Andeutung von Septemberfrost in der Luft lag oder auch an dem Mangel an Neuigkeiten. Bei rauhem Wetter war die Biskaya ein höllisches Seegebiet. Dann brauchte es mehr als tägliches Exerzieren, um die Besatzung alarm- und kampfbereit zu halten.
Also mußte bald etwas geschehen. Sonst hinderte der nahende Winter die Franzosen daran, ihre neue Invasionsflotte nach Norden zu verlegen. Aus demselben Grund mußten die Engländer dann ihre Blockadeschiffe von der gefährlichen Küste abziehen. Viel Zeit blieb nicht mehr.
Browne öffnete einen Briefumschlag nach dem anderen und stapelte die dienstlichen Schreiben auf der einen Seite, Bolithos private Post auf der anderen.
Schließlich faßte er zusammen:»Keine neuen Befehle, Sir.»
Das klang so heiter, daß Bolitho eine Zurechtweisung schon auf der Zunge lag. Aber er unterdrückte seinen Ärger. Es war nicht Brownes Schuld. Vielleicht hatte sein Geschwader von Anfang an nur Flagge zeigen sollen, weiter nichts.
Sein Blick blieb an einem Brief hängen, der auf dem Privatstapel ganz oben lag.
«Danke, Oliver.»
Er setzte sich und las ihren Brief ganz langsam, um nur ja nichts zu übersehen. Halb fürchtete er ein Wort des Bedauerns von ihr über das, was in Gibraltar zwischen ihnen geschehen war.
Aber ihre Worte streichelten ihn wie eine warme Sommerbrise. In Minutenfrist fühlte er sich seltsam erleichtert und entspannt, und sogar der alte Schmerz in seiner Schenkelwunde ließ nach.
Sie wartete auf ihn.
Entschlossen stand Bolitho auf.»Signal an Phalarope, Oliver, mit der Maßgabe, es an Rapid weiterzuleiten. «Belindas Brief in der Hand, schritt er ungeduldig in der Kajüte auf und ab.
Browne starrte ihn stumm an; dieser plötzliche Stimmungswechsel faszinierte ihn.
«Wachen Sie auf, Oliver!«schnappte Bolitho.»Sie wollten neue Befehle — gut, hier sind sie: Rapid wird angewiesen, die Umstände zu erkunden, unter denen ein Fischkutter gekapert werden könnte, und sofort Rückmeldung zu erstatten, wenn es soweit ist.»
Geistesabwesend hatte er sich mit dem Brief an die Lippen getippt und hob ihn jetzt an die Nase. Das war ihr Parfüm. Sie mußte ihn absichtlich parfümiert haben.