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Aber jetzt wurden die Schiffe von anderen befehligt, und er mußte sie alle führen und über ihr Geschick bestimmen. Was auch geschehen mochte, er wollte niemals vergessen, was sein erstes Schiff für ihn bedeutet hatte.

Browne meldete:»Kapitän Emes von der Phalarope, Sir.»

Bolitho trat hinter seinen Schreibtisch.»Ich brauche Sie nicht mehr, Oliver.»

Hätte Bolitho Kapitän Emes an Land oder in anderer Umgebung wiedergesehen, er hätte ihn wahrscheinlich nicht erkannt. Emes hielt sich immer noch sehr gerade, als er jetzt vor dem Tisch stand, den Hut unter den Arm geklemmt, eine Hand fest — zu fest — um den Säbelgriff gekrampft. Aber trotz der langen Wochen vor Belle Ile, bei schönstem Wetter, war Emes leichenblaß. In dem vom Wasser reflektierten Sonnenlicht leuchtete seine Haut wächsern. Er zählte erst 29 Jahre, sah aber um zehn Jahre älter aus.

«Nehmen Sie Platz, Kapitän Emes«, begann Bolitho.»Dies ist ein informelles Gespräch, ich muß Sie aber darüber informieren, daß Sie im günstigsten Falle eine Untersuchung zu erwarten haben, im schlimmsten Falle…«Er hob die Schultern.»Jedenfalls würde ich dann eher als Zeuge auszusagen haben denn als Ihr Vorgesetzter oder als Beisitzer.»

Emes ließ sich vorsichtig auf die Stuhlkante nieder.»Jawohl, Sir. Ich verstehe.»

«Das möchte ich bezweifeln. Aber bevor ich etwas unternehme, muß ich Ihre eigene Version der Ereignisse am Morgen des 21. Juli erfahren, als Styx unterging.»

Emes gab seine Erklärung langsam und überlegt ab, als hätte er für diesen Augenblick schon oft geprobt.»Ich fand mich mit meinem Schiff in der günstigen Lage, einerseits die von See herankommenden französischen Einheiten sehen zu können, andererseits auch die Streitmacht, die Sie mit Styx unter Beschuß nehmen wollten. Da der Feind den Windvorteil hatte, kam ich zu dem Ergebnis, daß uns nicht genug Zeit blieb, zunächst die französischen Landungsboote zu vernichten und uns anschließend rechtzeitig freizukreuzen. Wie befohlen, hielt ich mein Schiff deshalb in Luv, um notfalls.»

Bolitho beobachtete Emes ohne jede Regung. Es würde nicht schwer sein, ihn als Feigling abzustempeln, aber ebenso leicht überkam ihn Mitleid für den Mann.

Er unterbrach Emes mit einer Zwischenfrage:»Als Styx mit dem Wrack kollidierte, wie verhielten Sie sich?»

Emes sah sich um wie ein Tier in der Falle. »Styx hatte keine Überlebenschance. Ich sah sie in voller Fahrt auflaufen, ihre Masten kamen von oben, sie reagierte nicht mehr aufs Ruder. Sie war vom ersten Augenblick an, wie klar ersichtlich, ein Totalverlust. Ich — ich wollte zuerst alle Boote aussetzen und retten, was es noch zu retten gab. Es fällt schwer zuzusehen, wie Menschen sterben.»

«Aber genau das haben Sie getan. «Bolitho war selber überrascht, wie neutral seine Stimme klang; weder Hoffnung noch

Mitleid lag darin.

Emes' Blick zuckte zu ihm hinüber, bevor er wieder gehetzt durch die Kajüte wanderte.

Gepreßt sagte er:»Ich war der ranghöchste Kommandant auf dem Schauplatz, Sir. Da ich nur Rapid mit lediglich vierzehn Kanonen zur Unterstützung hatte, sah ich für ein Rettungsmanöver keine vernünftige Chance. Die feindlichen Schiffe, die unter vollen Segeln mit achterlichem Wind heranstürmten — ein Linienschiff und zwei Fregatten — , hätten Phalarope mit Sicherheit überwältigt. Was hätte ein so altes Schiff wie sie erreichen können? Es wäre ein sinnloses, blutiges Opfer gewesen. Und Rapid wäre ebenfalls dem Feind in die Hände gefallen.»

Bolitho sah an Emes' gequälten Zügen, daß er seine Entscheidung von damals mit all ihren Emotionen noch einmal durchlebte.

«Als ranghöchster Offizier hatte ich auch Verpflichtungen gegenüber Kapitän Duncan von Sparrowhawk. Er war über das Geschehen nicht im Bilde. Auf sich allein gestellt, wäre er als nächster Beute der Franzosen geworden. Das ganze Teilgeschwader wäre ve rnichtet worden, und der Hintereingang zur französischen Küste hätte eine Zeitlang weit offengestanden. «Er blickte auf seinen Hut hinab, den er so fest gegen seine Knie preßte, als könne er Kraft daraus ziehen.»Deshalb beschloß ich, mich aus dem Gefecht zu lösen, und befahl Rapid das gleiche. Danach habe ich den Patrouillendienst und die Blockade der französischen Häfen wie befohlen fortgesetzt. Nachdem Ganymede zu uns gestoßen war, konnte ich die Lücke schließen, die der Verlust von Kapitän Nea-les Schiff hinterlassen hatte. «Mit gramvollen Augen blickte er auf.»Sein Tod hat mich sehr betroffen gemacht.»

Damit ließ er wieder den Kopf sinken und schloß:»Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe, Sir.»

Bolitho lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte Emes nachdenklich. Der Mann hatte weder um Milde gebeten noch um Entschuldigung für sein Verhalten.

«Und nun, Kapitän Emes: Bedauern Sie diese Entscheidung?»

Emes zuckte die Achseln, eine Bewegung, die den ganzen schmächtigen Mann zu schütteln schien.»Um die Wahrheit zu sagen, Sir, das weiß ich nicht. Ich war mir bewußt, daß ich meinen vorgesetzten Stabsoffizier seinem Schicksal auslieferte, indem ich Styx und ihre Überlebenden sich selbst überließ. Eingedenk meiner problematischen Personalakte hätte ich vielleicht alle Vernunft über Bord werfen und kämpfend untergehen sollen. Seither bin ich Offizieren begegnet, die aus ihrer Mißbilligung meines Verhaltens kein Hehl machen. Auch als ich an Bord der Benbow kam, schlug mir Feindschaft entgegen, und es wird genug Kameraden geben, die mich vor Ihnen verdammen. Also ein Kriegsgericht?«Mit einem Anflug von Trotz hob er den Blick.»Ich nehme an, das war unvermeidbar.»

«Aber Sie sind der Ansicht, daß Ihre Lordschaften schlecht beraten wären, wenn Sie vor Gericht gestellt würden?»

Emes kämpfte mit seinem Gewissen, als sei es ein Wesen außerhalb seiner selbst.»Nichts wäre leichter, als an Ihre Gnade zu ap-pelieren, Sir. Schließlich hätten Sie schon in den ersten Minuten des Gefechts von einer verirrten Kugel getroffen werden können, dann wäre ich ohnehin der ranghöchste Offizier vor Ort gewesen. In diesem Falle hätte ich Neale befohlen, das Treffen abzubrechen und sich zurückzuziehen. Und wenn er mir nicht gehorcht hätte, würde nun ihm und nicht mir ein Gerichtsverfahren drohen.»

Bolitho stand auf und trat zu den Heckfenstern. Dort draußen, nur zwei Kabellängen entfernt, lag Phalarope beigedreht, und ihre vergoldeten Schnitzereien an der Heckgalerie glänzten in der Sonne. Was mochte sie von ihrem neuesten Kommandanten halten? Er sah Emes' Spiegelbild im Glas, seine straffe, aber irgendwie leblose Körperhaltung. Ein Mann, der die Umstände gegen sich wußte, aber dennoch nicht klein beigab.

Bolitho sagte:»Ich kannte John Neale gut. Er war Kadett auf meinem Schiff. Das gleiche gilt für Kapitän Keen von der Nicator, während Kapitän Inch, der sich uns mit seiner Odin in Kürze anschließen wird, früher einer meiner Leutnants war. Und es gibt noch viele Männer wie sie, die ich seit Jahren kenne, deren Entwicklung ich verfolgte und zusah, wie sie den Anforderungen der

Kriegsmarine entsprachen oder ihnen zum Opfer fielen.»

Emes murmelte heiser:»Dann sind Sie vom Glück begünstigt, Sir, und um diese Freunde und ihre Haltung zu beneiden.»

Bolitho wandte sich um und studierte Emes eingehend.»Und natürlich ist da auch mein Neffe und Erbe. Ehemals Midshipman und jetzt Ihr Erster Offizier.»

Emes nickte.»Ich bin mir völlig klar darüber, daß er mir zürnt,

Sir.»

Bolitho setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und blickte auf den Stoß Papiere hinunter, die ihn nach dem Gespräch mit Emes in Anspruch nehmen würden. Nichts leichter, als Emes zu suspendieren, auch wenn kein geeigneter Ersatz für ihn aus England eintraf. Ein dienstälterer Leutnant, zum Beispiel einer wie Wolfe, konnte das Kommando bis auf weiteres übernehmen.

Und doch. Diese beiden Worte hingen fest wie Widerhaken.

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