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Bolitho tastete sich hinüber zum Ruder, zu Gossett.»Klar zur Wende!«befahl er. Eine Musketenkugel peitschte an seinem Kopf vorbei und schlug in die Kampanjetreppe ein.»Jetzt kreuzen wir die feindliche Formation, wenn Sie soweit sind!»

Er wartete die Antwort nicht ab, sondern eilte zur Achterdecksreling zurück. Das feindliche Schiff rollte steuerlos vor dem Wind; die nachgeschleppte Masse der Takelage wirkte wie ein riesiger Treibanker. Jenseits des Bugs, der unter dem Gewirr fast verschwand, konnte Bolitho bereits die turmhohe Segelpyramide der Tenacious sehen, und noch ehe er seine Augen ab — und dem nächsten feindlichen Schiff zu wandte, erkannte er, daß die Breitseite des Dreideckers in das französische Flaggschiff schmetterte — dessen Großbramstenge kam von oben und erhöhte noch das Chaos an

Deck.

«Jetzt!«Bolitho mußte zweimal rufen, denn hinter ihm bellten gerade die Neunpfünder bösartig los. »Jetzt, Mr. Gossett!»

Gespannt beobachtete er, wie das große Doppelrad sich zu drehen begann — die Rudergasten mußten bei ihrem Kampf mit den Speichen über zwei tote Kameraden hinwegsteigen. Von der Achterdecksreling her brüllte Herrick:»An die Brassen! Loswerfen und überholen!»

Das dritte Schiff feuerte bereits durch den Rauch über den schmalen Streifen Wasser. Die Kugeln hämmerten in den Rumpf der Hyperion, durchschlugen Bramsegel und oberen Besan, zerfetzten Fallen und Wanten, wirbelten Holzsplitter hoch in die Luft.

Doch das alte Schiff reagierte. Langsam glitt sein Bugspriet auf das Heck des Feindes zu, und Bolitho sah eine Anzahl französischer Matrosen herbeirennen, als wollten sie einen Enterangriff abwehren. Doch als sie merkten, was die Hyperion vorhatte, eröffneten sie, von ihren Offizieren und der Wut des Kampfes getrieben, ein wildes Pistolen- und Musketenfeuer.

An der abgekehrten Bordseite sah Bolitho ein anderes Schiff gespenstisch durch den Qualm aufkommen; beinahe ungläubig stellte er fest, daß die Hyperion tatsächlich die feindliche Linie durchbrochen hatte; ihr Bugspriet mit dem killenden Klüver stieß bereits aus dem Rauch und hatte die Luvseite des Feindes erreicht.

«Achtung, Steuerbordbatterie! Jetzt seid ihr dran, Jungs!«schrie er.

Ein Mann stürzte von einem Neunpfünder rücklings an Deck, das Gesicht zu einem blutigen Brei zerschmettert; Bolitho sah, wie der junge Caswell, bleich, aber entschlossen, einen anderen Mann an dessen Platz wies.

Die Kanoniere an Steuerbord warteten auf den richtigen Moment. Der Rauch verbarg noch den Hauptteil dieses vierten Schiffes, aber der schwarze Bugspriet und die glänzende Galionsfigur boten ein ausgezeichnetes Ziel.

«Feuer frei!«schrie Rooke.

Die Hyperion reagierte weiterhin auf Wind und Ruder und passierte zielstrebig das Heck des dritten Schiffes, während ihre Steuerbordbatterie das Feuer auf ihr hilfloses Gegenüber eröffnete. Jeweils zwei Geschütze bellten auf und fuhren zurück; innenbords wischten die Bedienung unter Hurragebrüll die Rohre aus und hatten schon neu geladen, ehe auch die achteren Geschütze abgefeuert waren.

In Fetzen flog das Schanzkleid des unglückseligen Schiffes gen Himmel, und die Vorstagsegel wehten in Streifen davon wie alte Lumpen.

Bolitho wartete, bis die Masttopps der Tenacious hinter ihm in Kiellinie standen. Denn Dash zog nach; aus dem krachenden Gebrüll der eigenen Geschütze konnte er den tieferen Donner seiner Zweiunddreißigpfünder heraushören, mit denen der Dreidecker auf den Feind einhämmerte.

Als die Hyperion elegant durch den Wind ging, klärte der Rauch über ihrem Deck auf, als hätte eine Riesenhand ihn weggewischt. Mit einem Male lagen alle ihre Wunden bloß; und Bolitho war von dem furchtbaren Anblick wie gelähmt.

Überall auf dem Oberdeck lagen Tote und Verwundete. Die übrigen arbeiteten, die nackten Oberkörper schweißglänzend und pulvergeschwärzt, an ihren Kanonen mit so verzweifelter Wildheit wie Verdammte in der Hölle.

Das große Netz über dem splitterbesäten Deck war voller Leinwandfetzen und Holzstücke, und hier und da wand sich ein Mann, der oben abgeschossen worden war, mit gebrochenen Gliedern in den Maschen wie eine Fliege im Spinngewebe.

Die Marine-Infanteristen unterhielten von den Wanten aus lebhaftes Musketenfeuer, beschimpften beim Laden den Feind und tauschten ermutigende Zurufe mit ihren Kameraden in den schwankenden Masttopps.

Auch die Backbordbatterie feuerte jetzt wieder; ihre Kugeln hatten kaum zwanzig Yards bis zum Heck des Feindes zu überqueren, auf dem es bald wie in einem blutigen Schlachthaus aussah.

Bolitho hieb mit der Faust auf die Reling, als wolle er sein Schiff anspornen, die Wende zu vollenden. Aber es konnte nicht so gut weitergehen. Bald mußten sich die anderen französischen Schiffe erholt haben, sich erneut zur Gefechtslinie formieren und den Kampf wieder aufnehmen. Ehe es soweit war, mußte er das feindliche Flaggschiff gestellt und die drei vordersten Schiffe so stark beschädigt haben, daß sie den Kampf aufgaben.

Er fuhr herum, denn Piper rief:»Signal von Zenith: >Brauche Hilfe«!»

Bolitho hatte es bereits gesehen. Der Zweidecker war total ent-mastet, nur vom Großmast stand noch ein Stumpf; manövrierunfähig trieb er mit dem Wind dem Flaggschiff vor den Bug. Wo die beiden Schiffe kollidierten, war bereits der Kampf Mann gegen Mann im Gange, und über den schmalen Wasserkeil zwischen den Rümpfen feuerten die Batterien beider Schiffe pausenlos aufeinander — mit wenigen Fuß Abstand.

Bolitho schüttelte den Kopf.»Signalisieren Sie: >Nicht möglich«, Mr. Piper!«Als die Wimpel hochflogen, befahl er:»Und jetzt das andere Signal — lebhaft, Mr. Piper!»

Bolitho kümmerte sich nicht weiter um das unregelmäßige Feuer seiner eigenen Geschütze, die das am nächsten liegende Schiff beschossen — es klang wie das trotzige Gebell von Höllenhunden. Der Feind schoß kaum zurück, und er konnte auf dem zerstörten Deck so etwas wie Panik erkennen, als die Tenacious gravitätisch durch die Lücke in der Gefechtsformation brach und ihre dreifache Reihe Kanonen auf das ungeschützte Heck des Franzosen richtete. Er packte Herrick an der Schulter und merkte, daß dieser bei der plötzlichen Berührung zusammenzuckte. Wahrscheinlich, dachte Bolitho grimmig, erwartet er genau wie ich eine Musketenkugel.

«Die Zenith ist so gut wie erledigt, Thomas…«Er brach ab, denn eine Kanonenkugel pflügte durch die Achterdecksleiter in eine Gruppe kniender Seesoldaten. Ihm wurde übel, als sich das Blut wie rote Farbe über die Planken ergoß — es schien überhaupt nicht versiegen zu wollen. Aus dem Chaos zerschmetterter Glieder und schreiender Männer rollte ein Kopf mit weitaufgerissenen, stieren Augen über Deck.

Er mußte schlucken, um den Brechreiz zu unterdrücken.»Wir müssen unbedingt das feindliche Flaggschiff nehmen, Thomas!«In Herricks rußverschmierten Zügen leuchtete Begreifen auf. Er fuhr herum, denn irgend jemand hatte einen halberstickten Hurraruf ausgestoßen: der junge Caswell war es; er deutete auf das letzte Signal und schwenkte wie ein Verrückter den Hut:»Kampf auf kürzeste Distanz!»

Durch den wirbelnden Rauch leckte eine neue Reihe gelbroter Feuerzungen, und Caswell war tot. Er hatte eben eine Hand vor die Brust gehalten; die Kugel trieb sie durch seine Rippen und zerschnitt sein Hurra wie mit einem Messer.

Bolitho wandte sich dem gigantischen Dreidecker zu. Rasende Wut, Haß, Verzweiflung, Bitterkeit kochten in ihm. Er hatte den Degen in der Faust, und als er ihn schwenkte, riß ihm eine Musketenkugel den Hut vom Kopf, so daß ihm die rebellische Strähne übers Auge fiel und er den zerfetzten Körper Caswells mit den ungläubigen Augen nicht mehr sah.

«Steuerbordgeschützbedienungen klar zum Entern!«Seine

Stimme überschlug sich beinahe.»Los, Jungs, England braucht den Sieg — worauf wartet ihr noch?»

Er hörte das Jubelgeschrei nicht, denn er rannte bereits den Backborddecksgang hinunter. Er sprang über das zerschossene Schanzkleid und über die halbnackten Kanoniere, den Degen in der Faust und die Augen starr auf das eine bunte Stück Tuch gerichtet, das noch im Masttopp des feindlichen Schiffes flatterte.

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