Bolitho sah Seton geduckt, die Hand vor dem Mund, nach achtern rennen, und mußte ihn mehrmals beim Namen rufen, ehe er ein Zeichen des Verstehens erkannte.
«In die Gig, Mr. Seton! Alles von Bord!«Jenseits der Flammen sah er die hohe Bordwand des Zweideckers; jedes Geschützrohr glänzte in seiner Pforte wie in hellem Sonnenlicht, als der Brander immer nähertrieb.
«Kommen Sie, Captain!«brüllte Allday.»Wir sind gleich…»
Wieder fegte ein Schrotschuß übers Deck, jagte aus den Flammen Funken hoch und riß mehrere Männer nieder, die Fowler nach achtern trieb.
Seton faßte nach seiner Schulter und sagte schwach:»Ich bin getroffen, Sir!«Dann sank er um. Und gerade, als ein Matrose zu ihm hineilte, stieß der angekohlte Bugspriet der Fairfax wie eine Lanze ins Klüvergeschirr der Saphir.
«Zurück, Sir!«brüllte Fowler.»Schnell, sie entern uns!»
Schon sprangen Franzosen aufs Deck der Schaluppe, einige rannten zu den Flammen, andere tasteten sich durch den Rauch, feuerten mit Pistolen, hieben mit Entermessern nach Todwunden und Lebenden.
Bolitho sah einen französischen Matrosen auf sich zukommen und spürte den Luftzug einer Kugel an der Wange, ehe er die Pistole aus dem Gürtel riß. Aber dann zuckte die Waffe in seiner Hand auch schon im Rückstoß, der Mann taumelte, schrie auf, griff an die Brust und fiel zurück in den Qualm. Bolitho schleuderte die leergeschossene Pistole einem anderen Gegner ins Gesicht und zog den Degen. Immer mehr Gestalten erschienen auf dem Achterdeck, tasteten sich wie Blinde mit ausgestreckten Armen durch den treibenden Vorhang aus Qualm und Flugasche. Undeutlich hörte Bo-litho die Kirchturmuhr schlagen, doch jetzt aus einer anderen Richtung — daran merkte er, daß beide Schiffe zusammen abtrieben. Jemand an Bord der Saphir hatte noch die Ankertrosse gekappt; doch als eine Bö sekundenlang den Rauch teilte, sah er, daß es bereits zu spät war: Flammenzungen liefen die Takelage hinauf, das Schiff brannte unrettbar.
Dann ballte sich der Rauch wieder zu einer erstickenden Wolke zusammen. Heulend trieb der Wind die Flammen über das Deck der Schaluppe, Funkengeysire zischten himmelwärts, noch über den Masttopp hinaus. Um ihn herum fochten Männer; das scharfe Klirren von Stahl auf Stahl und vereinzelte Pistolenschüsse setzten spitze Akzente im dumpfen Kampfeslärm. Er fühlte das Deck unter seinen Füßen absacken, die Planken vibrierten im einströmenden Wasser. Es war ein Wettrennen zwischen dem Feuer und der See. Die Fairfax hatte ihre Aufgabe vollbracht; jetzt konnte sie unter die Wasseroberfläche gleiten, sei es auch nur, um ihren elenden Zustand zu verbergen.
Fowler war jetzt wieder neben Bolitho; sein Degen blitzte im Feuerschein, als er die Klingen der immer noch aus Rauch und Aschenregen anstürmenden Franzosen parierte.
«Wir müssen die Verwundeten zurücklassen, Sir!«überbrüllte er den Kampfeslärm. Er machte einen Ausfall, und ein Gegner taumelte schreiend gegen das Schanzkleid. Bei dem Fall schien sich das Deck unter seinem Rücken zu öffnen, Flammen sprühten zwischen verkohlten Planken hoch, so daß der Mann sich krümmte wie eine arme Seele im Höllenpfuhl; seine Haare brannten, seine Schreie gingen unter im furchtbaren Brausen der Flammen, die jetzt aus dem Schiffsrumpf schossen.
Bolitho stolperte vorwärts und fand Seton noch an der Reling liegen, den Kopf wie im Schlaf auf dem gebogenen Arm. Der Matrose, der ihn in die Gig schaffen sollte, war geflohen oder tot; mit fast wahnsinniger Wut stellte Bolitho sich breitbeinig über den Jungen, hieb einen Angreifer nieder und erwischte mit dem gleichen Schwung einen anderen, der beim Ruder gegen Allday kämpfte.
Aber es wurde immer gefährlicher. Lange konnte es nicht mehr dauern. Die Franzosen schienen so von Sinnen vor Wut und Verzweiflung, daß sie mehr danach trachteten, die Handvoll britischer Matrosen zu vernichten, als ihr eigenes Schiff zu retten.
Fowler ließ den Degen fallen und schlug die Hände vors Gesicht.»O Jesus, o mein Gott!«brüllte er. Im Licht der flackernden Flammen glitzerte sein Blut, das ihm über Hals und Brust strömte, wie schwarzes Glas. Gurgelnd brach er in die Knie, und ein französischer Leutnant, barhaupt, den Uniformrock in verkohlten Fetzen, riß den Degen hoch, um Fowlers ungeschützten Schädel zu spalten. Bolitho sprang nach vorn, blieb mit dem Fuß an einer gesplitterten Planke hängen und sah, wie die Klinge des Franzosen die Richtung wechselte und sausend die Luft durchschnitt. Mit letzter Kraft hielt er sich im Gleichgewicht und hob instinktiv den linken Arm zum Schutz. Die Klinge fuhr in seinen Unterarm; er fühlte einen betäubenden Schmerz. Aber der französische Leutnant rutschte aus, die Wucht seines Angriffs warf ihn fast um; sein Gesicht glühte im Feuer wie eine Maske aus Metall, mit funkelnden Augen starrte er Bolithos Degen entgegen, der über Setons Körper eine Finte schlug — dann stach die rasiermesserscharfe Klinge zu. Der Franzose schrie nicht einmal auf, sondern taumelte zurück, die Finger in die Brust gekrallt, den Rücken wie in grotesker Verneigung gekrümmt.
«Sie sinkt, Captain!«brüllte Allday. Bolitho blinzelte und versuchte, sich den Schweiß aus den Augen zu wischen. Aber sein Arm hing wie tot herab, und mit ungläubigem Schrecken sah er, daß Blut an seiner Seite niederrann, sein Hosenbein durchfeuchtete und an Deck tropfte. Betäubt schüttelte er den Kopf und starrte zum Bug. Die hohe Flammenwand hatte sich auf die Saphir verlagert, wo aufgegeite Segel und geteerte Leinen als peitschende Flammenschnüre davonflogen; kleinere Feuerherde huschten, vom Wind getrieben, zum Achterschiff und setzten alles in Brand, was sie unterwegs berührten. Durch die verlassenen Stückpforten konnte er sehen, daß das Schiff auch innen wie ein Schmelzofen brannte. Blindlings sprangen Männer über Bord und schrien furchtbar, wenn sie zwischen die brennenden Rümpfe gerieten und zu einem blutigen Brei zerquetscht wurden. Aber das Deck der Schaluppe kippte nun schnell ab. Unten strömte die See ein und erstickte die Flammen mit triumphierendem Zischen. Der Fockmast war ganz über Bord gegangen; das hatte Bolitho in dem Chaos aus Tod und Vernichtung überhaupt nicht gemerkt. Leichen rollten die Deckschräge abwärts, einige Verwundete krochen wimmernd von den Flammen weg oder versuchten mit letzter Kraft, das Achterdeck zu erreichen.
«Gig ist klar!«brüllte Allday.»Los, Captain, ich helfe Ihnen!»
Bolitho blickte sich noch immer um, als erwarte er den nächsten Angriff. Aber außer ihm waren nur noch Tote an Bord.
«Keiner mehr da«, schrie Allday.»Sie haben alle erledigt!«Dann sah er Bolithos Arm.»Hier, Captain, meine Hand!«Sie gerieten beide ins Taumeln, denn die Sloop legte sich schwerfällig auf die Seite, die leichten Deckgeschütze rissen sich aus ihren Halterungen, rutschten polternd zum Schanzkleid oder stürzten zischend in den feurigen Krater.
Bolitho sprach mit zusammengebissenen Zähnen, denn der Schmerz wühlte in seinem Arm wie mit glühenden Zangen.»Der Junge! Hol ihn, Allday!«Mühsam schob er die blutverklebte Klinge in die Scheide und zog sich mit dem gesunden Arm zur Heckreling, während Allday den bewußtlosen Seton aufnahm und über die Schulter warf.
An der Reling stand O'Neil, nackt bis zum Gürtel, und wickelte sein Hemd um Fowlers Gesicht, wobei der Leutnant hin und her schwankte und zu sprechen versuchte, aber Stoff und Blut erstickten seine Worte.
«Hab' getan, was ich konnte«, sagte der Ire und duckte sich, als eins der Geschütze in der Hitze explodierte, wie von unsichtbarer Hand abgefeuert.»Der arme Kerl hat fast kein Gesicht mehr!»
Bolitho konnte nur krächzen.»Da ist die Gig! Wir müssen springen!«Er fühlte kaum den Sprung, spürte aber Salzwasser in seinen Lungen kratzen und kühle Luft im Gesicht, als er wieder an die Oberfläche kam. Turmhoch erschien ihm die Gig, aber da war Piper, das kleine Affengesicht rauchgeschwärzt; er gestikulierte mit seinem Dolch und kreischte:»Da ist der Captain! Helft ihm, Jungs!»