«Entschuldigung, daß ich so hereinplatze. «Er blickte an Bolitho vorbei auf Mrs. Raymond.»Es wäre besser, wenn Sie mitkämen, Sir. «Bolitho trat hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Im Gang zur Offiziersmesse stand eine kleine Gruppe Männer, die offensichtlich auf ihn warteten. Sie sahen verwirrt und betroffen aus, wie Fremde: Bellairs und sein riesiger Sergeant; Triphook, die Pferdezähne entblößt, als wolle er nach einem unsichtbaren Angreifer schnappen; und hinter ihm versteckt der Küfer, ein kleiner, unscheinbarer Deckoffizier namens Joseph Duff. Er war der zweitälteste Mann an Bord und trug bei der Arbeit eine stahlgeränderte Brille, die er jedoch meist vor seinen Messegenossen zu verbergen wußte.
Herrick sagte fast überstürzt:»Duff hat festgestellt, daß unser Trinkwasser zum größten Teil ungenießbar ist, Sir. «Er schluckte mühsam.»Entdeckte es soeben bei einer Routineinspektion und meldete es sofort dem Schiffskorporal.»
Kopfschüttelnd murmelte Triphook:»So etwas habe ich im ganzen Leben noch nicht gesehen.»
Bolitho winkte den Küfer heran.»Nun, Duff, was haben Sie also entdeckt?»
Duff blinzelte ihn durch seine ovalen Brillengläser an; er sah aus wie ein grauer Maulwurf.»Es war eine Routineinspektion, Sir. «Alle drängten sich um ihn, und er schien immer kleiner zu werden. Soames war aus seiner Kajüte hinzugekommen und ragte hinter Bellairs wie ein Baum auf. Zitternd sprach Duff weiter:»Alles gute Fässer, Sir, dafür habe ich gesorgt. Das ist immer das erste, worauf ich achte. Hab' mein Geschäft bei einem erstklassigen alten Küfer auf der Gladiator gelernt, und… »
«Himmeldonnerwetter, sagen Sie es dem Captain endlich!«rief Herrick verzweifelt.
Duff ließ den Kopf noch tiefer hängen.»In den meisten Fässern ist das Wasser faul, Sir. Ist auch kein Wunder.»
Sergeant Coaker trat vor; seine Stiefel knarrten, als das Schiff plötzlich in ein Wellental tauchte. Er trug ein kleines Bündel in der Hand, hielt es aber von sich ab, als sei es lebendig.
«Aufmachen!»
Mit steinernem Gesicht faltete der Sergeant das Bündel auseinander. Bolitho hatte ein Gefühl, als stiege das Deck rasend schnell in die Höhe; Brechreiz würgte ihn, denn das Bündel enthielt eine menschliche Hand, verkrümmt wie im Zustand der Amputation.
Erstickt rief Soames:»Jesus Christus!»
Leise sagte Duff:»Und das in allen Fässern, Sir. Außer in den letzten beiden am Schott.»
«Stimmt, Sir«, bestätigte Triphook dumpf.»Überall Leichenteile drin. «Er zitterte heftig. Schweiß strömte über sein Gesicht.»Da war ein Teufel am Werk, Sir!»
Ein kurzer Schreckensschrei erscholl, und Bolitho trat rasch vor den Küfer; Mrs. Raymond, die unbemerkt herzugekommen war, keuchte:»Mir wird schlecht!«Sie lehnte sich an den Seesoldaten vor der Tür, das Gesicht kreideweiß, und starrte entsetzt die Gruppe an.
«Schaffen Sie das weg!«befahl Bolitho scharf. Und zu dem herumgeisternden Noddall:»Rufen Sie diese alberne Zofe und kümmern Sie sich um die Dame!«Sein Verstand wehrte sich noch gegen Duffs furchtbare Entdeckung, gegen ihre Bedeutung und die Maßnahmen, die er jetzt treffen mußte.»Der Schiffsarzt zu mir!»
Bellairs betupfte sich die Lippen mit seinem Taschentuch.»Übernehmen Sie, Sa'rnt Coaker! Lassen Sie den Doktor holen!«Er blickte die anderen bedeutungsvoll an.»Zweifle allerdings, ob er… Na ja.»
«Vielleicht gehen wir lieber hier hinein, Sir?«fragte Herrick und machte einen Schritt zur Seite, so daß Bolitho in die Offiziersmesse treten konnte. Dort war es eng und stickig; der für das Dinner gedeckte Tisch wirkte ziemlich deplaziert neben den beiden Zwölfpfündern. Bolitho sank schwer auf eine Seekiste und starrte durch die nächste Stückpforte. Der frische Wind und die tanzenden Wellen freuten ihn jetzt nicht mehr. Gefahr lauerte an Bord seines Schiffes.
«Ein wenig Wein, Sir?«schlug Herrick vor.
Als Bolitho sich umdrehte, sah er, daß die anderen kein Auge von ihm wandten. Soames stand am Kopf der Tafel, Bellairs und Triphook an ihrem anderen Ende. In diesen flüchtigen Sekunden erinnerte er sich an seine Zeit als junger Leutnant: In der Offiziersmesse speiste man nicht nur miteinander, sondern man teilte auch seine Zweifel und Befürchtungen und rechnete auf die Hilfe der Kameraden. Achtern, hinter dem Besanmast, war der Kapitän eine ferne, gottähnliche Gestalt und unerreichbar. Niemals, so lange er zurückdenken konnte, hatte er geglaubt, daß ein Kapitän mehr brauche als Gehorsam.
Man fühlte sich sogar anders in der Messe; Pistolen hingen in einem Wandgestell und auf einer Leine ein paar Hemden, die der Messejunge eben gewaschen hatte; dazu Essensgeruch aus einem leise brodelnden Topf.
«Danke sehr«, entgegnete Bolitho.»Ein Glas Wein wüßte ich im Augenblick durchaus zu schätzen.»
Sie entspannten sich etwas, und Soames sagte:»Wir müssen also umkehren, Sir. «Er überlegte einen Moment.»Oder lieber die afrikanische Küste anlaufen.»
Stiefel knarrten draußen, und Mudge schob sich herein; sein graues Haar stand ihm starr vom Kopf ab, als er den Hut in die Ecke warf.»Verdammt sollen meine Augen sein, aber was höre ich da für eine blutige Schweinerei?«Er sah Bolitho und murmelte:»Pardon, Sir. Wußte nicht, daß Sie hier sind.»
Herrick hielt Bolitho ein Glas Weißwein hin. Er lächelte nicht, wirkte jedoch gelassen.»Der ist noch ziemlich frisch,
Sir.»
Dankbar nippte Bolitho.»Sehr nett von Ihnen. «Er spürte die Säure des Weines in der Kehle.»Nach dem Anblick von vorhin… «Er fuhr herum, als der Arzt schlurfend durch die Tür trat, mit offenem Hemd und verschwommenen Augen.
«Sie wissen Bescheid, Mr. Whitmarsh?«Des Doktors Kinn war voller Stoppeln, und es kostete ihn augenscheinlich Mühe, geradeaus zu blicken. In aller Stille hatte er sich offenbar für die Zeit, in der er wegen seiner angestrengten Tätigkeit nicht hatte trinken können, schadlos gehalten.»Nun?«fragte Bolitho.
Whitmarsh tastete sich zu einem der Geschütze hin, hielt sich mit beiden Händen daran fest und sog durch die offene Stückpforte wie ein Erstickender die frische Luft ein.
«Ich habe es gehört, Sir. Ich weiß Bescheid.»
Bolitho sah ihn unbewegt an.»Da die Wasserfässer in Ordnung waren, als wir sie in Spithead an Bord nahmen, liegt es nahe; daß diese Leichenteile aus Ihrem Operationsraum stammen. «Er hielt inne; der Arzt tat ihm leid, aber Eile war nötig.»Meinen Sie nicht auch?»
«Vermutlich. «Whitmarsh wankte zum Tisch und schenkte sich ein großes Glas Wein ein. Scharf sagte Bolitho:»Wenn Sie das jetzt trinken, Mr. Whitmarsh, dann sorge ich dafür, daß Sie keinen Tropfen mehr kriegen, so lange Sie unter meinem Kommando sind!«Er stand auf.»Jetzt denken Sie nach, Mann! Wer kann das getan haben?»
Whitmarsh stierte das Glas in seiner Hand an; er schwankte stark, obwohl das Schiff nur schwach rollte.
«Ich hatte ununterbrochen zu tun, Sir, die Verwundeten waren in einem furchtbaren Zustand. Dabei halfen mir die Sanitätsgasten und mein Maat. «Er verzerrte das Gesicht vor angestrengtem Nachdenken; Schweiß tropfte ihm vom Kinn.»Sullivan war es. Er hatte amputierte Gliedmaßen und andere Abfälle fortzuschaffen. Er war sogar recht willig dabei. «Der Arzt nickte unsicher.»Jetzt weiß ich es wieder: Sullivan. «Er sah Bolitho starr an.»Der Mann, den Sie auspeitschen ließen,
Sir.»
«Seien Sie nicht so verdammt unverschämt zum Captain!«sagte Herrick grob.
Plötzlich war Bolitho völlig ruhig.»Ist das Wasser Ihrer Meinung nach für uns noch zu gebrauchen, Mr. Whitmarsh?»
«Auf keinen Fall. «Der Arzt starrte ihn immer noch an.»Es muß über Bord gegossen, die Fässer müssen sofort ausgescheuert werden. Ein Schluck Wasser, in dem verfaultes Fleisch war, und Sie haben eine Seuche an Bord! Ich hab' das schon erlebt. Da ist keine Heilung möglich!»
Ganz langsam stellte Bolitho sein Glas auf den Tisch, damit er Zeit hatte, sich zu beruhigen.
«Anscheinend sind Sie nicht der einzige, der auf Heimatkurs zu gehen wünscht, Mr. Herrick. Und nun schnappen Sie sich Sullivan und stellen ihn unter Bewachung, damit er nicht noch mehr Unheil anrichtet!«Er wandte sich wieder an Whitmarsh.»Ich bin noch nicht fertig mit Ihnen.»