Maurin kam und sagte munter:»Ich lasse ein Boot klarmachen. Auf Ihrem Schiff wird man überrascht sein, daß Sie so unbehelligt wieder eintreffen. Ebenso überrascht wie ich.»
Bolitho lächelte.»Danke. Ich hatte guten Schutz. «Sein Blick schweifte zum Kajütniedergang; aber es blieb ungewiß, wen genau er gemeint hatte.
XVI Weder besser noch schlechter als andere
Langsam schlenderte Bolitho an der Brustwehr auf der Landseite des Stützpunktes Pendang Bay entlang. Dunst stieg aus dem Dschungel empor; die Nachmittagssonne spielte auf den Blättern und Palmwedeln neben der Palisade. Kurz vor Mittag hatte die Undine bei blauem Himmel Anker geworfen, obwohl sie bei ihrer Annäherung den Stützpunkt noch unter einer dunklen Wetterwolke hatten liegen sehen und die Bewohner fast um den kurzen Regenguß beneideten. Jetzt atmete er widerwillig den dumpfigen Geruch der verrottenden Blätter und der tief im Schatten verborgenen Wurzeln ein, der Kopfschmerzen verursachte.
In den letzten zwei Tagen hatte sich die Undine mit widrigen Winden herumschlagen müssen; als sich der Wind schließlich drehte und günstiger zu ihrem Kurs stand, war er kaum mehr als ein Hauch und brachte nur wenig Leben in die Segel.
Er beobachtete ein paar rotröckige Sepoys, die außerhalb der Palisade arbeiteten, und zwei eingeborene Frauen, die sich mit Kopflasten dem Tor näherten. Auf den ersten Blick schien sich nichts verändert zu haben; dennoch fühlte er, in Erwartung einer weiteren Unterredung mit Conway — der zweiten innerhalb einer Stunde — , daß alles anders geworden war,
Er schritt weiter zur nächsten Ecke der primitiven, aus Pfählen errichteten Brustwehr. Unten lag die Undine an ihrer Ankertrosse, den erbeuteten Schoner dicht vor ihrem Bug. Als er zum flachen Wasser hinübersah, wo die Rosalind gelegen hatte, als er die Reise zu Muljadis Festung antrat, konnte er kaum das Fluchen unterdrücken. Sie war weg, ebenso das Transportschiff, die Bedford, zurückgesegelt nach Madras, mit Depeschen und Raymonds persönlichem Lagebericht für Sir Montagu Strang.
Als Bolitho sich eine halbe Stunde nach dem Ankerwerfen bei Conway gemeldet hatte, war er über dessen schlechtes Aussehen erschüttert. Conway wirkte gebeugter denn je, seine Augen glühten, und er schien vor Zorn und Verzweiflung fast außer sich zu sein.
«Sie wagen es«, hatte er Bolitho angebrüllt,»sich hinzustellen und mir zu erklären, daß Sie meine Befehle vorsätzlich mißachtet haben? Daß Sie, entgegen meinen ausdrücklichen Instruktionen, überhaupt nicht erst versucht haben, mit Le Chaumareys zu verhandeln?»
Bolitho stand bewegungslos, die Augen fest auf Conways verzerrtes Gesicht gerichtet. Eine leere Karaffe lag umgestürzt auf dem Tisch. Unverkennbar hatte Conway schon länger stark getrunken.
«Ich konnte nicht verhandeln, Sir. Das hätte die Anerkennung Muljadis bedeutet, und genau das wollen die Franzosen.»
«Sie glauben wohl, mir was Neues zu erzählen?«Conway packte heftig die Tischplatte.»Auf meinen ausdrücklichen Befehl hin sollten Sie von Le Chaumareys fordern, daß er Colonel Pastor unversehrt freiläßt! Die spanische Regierung hätte England schwere Vorwürfe machen können, weil wir ihn tatenlos und vor unseren Augen in Muljadis Gefangenschaft leiden ließen!»
Bolitho erinnerte sich gut, mit welcher Mühe er seine Stimme unter Kontrolle gehalten hatte. Trotz seiner Erregung hatte sie völlig ausdruckslos geklungen. Er wollte Conway nicht noch mehr in Wut bringen.
«Als ich wußte, daß ich Muljadis Sohn gefangengenommen hatte, konnte ich die Bedingungen stellen, Sir«, hatte er geantwortet.»Die Chancen standen gut für mich. Und wie sich herausstellte, kamen wir gerade noch zur rechten Zeit. Ich fürchte, ein paar Tage später wäre Pastor tot gewesen.»
«Zum Teufel mit Pastor!«hatte Conway gebrüllt.»Sie erwischen Muljadis Sohn — und wagen es, ihn freizulassen! Kniefällig und zu allem bereit hätte uns dieser blutige Seeräuber um das Leben seines Sohnes gebeten!»
Unvermittelt hatte Bolitho gesagt:»In den letzten Monaten des Krieges ist in diesen Gewässern eine Fregatte verlorengegangen.»
Conway hatte sich überrumpeln lassen.»Stimmt. Die Imogen unter Captain Balfour. «Die Sonne blendete ihn, er kniff die Augen zusammen.»Achtundzwanzig Geschütze. War im Gefecht mit den Franzosen, ist dann in einen Sturm geraten und gestrandet. Ihre Mannschaft wurde von einer meiner Schaluppen übernommen. Was, zur Hölle, hat sie damit zu tun?»
«Alles, Sir. Hätte ich nicht mit Muljadi persönlich gesprochen, so wären wir völlig ahnungslos. Die Imogen liegt hier, Sir, im Benua-Archipel, und zwar — soweit ich gesehen habe — vollständig seeklar. Sie hätte uns mit ihrer Kampfkraft völlig überrascht.»
Conway war gegen den Tisch getaumelt, als hätte ihm Bolitho einen Schlag versetzt.»Wenn das ein Trick von Ihnen ist, irgendein Schwindel, um… »
«Nein. Sie ist da, Sir. Neu ausgerüstet und repariert, und die Mannschaft, darüber habe ich nicht die geringsten Zweifel, wurde von Le Chaumareys' Offizieren aufs beste ausgebildet. «Er konnte seine Verbitterung nicht verbergen.»Ich hatte gehofft, die Brigg Rosalind sei noch hier. Dann hätten Sie Nachricht schicken und Verstärkung anfordern können. Jetzt haben wir keine Wahl mehr.»
Der nächste Teil der Unterredung war am schlimmsten gewesen. Unsicher war Conway zum Büfett gegangen, hatte sich mit einer neuen Karaffe zu schaffen gemacht und dabei gemurmelt:»Man hat mich verraten, von Anfang an. Raymond bestand darauf, daß die Brigg nach Madras segelte. Sie war ein Schiff der Company, und ich konnte sie nicht länger hierbehalten. Er hatte alle Trümpfe auf seiner Seite. Und auch auf alle Einwände die Antworten parat. «Wie Blut war der Rotwein auf sein Hemd gespritzt.»Und ich?«brüllte er.»Ich bin weiter nichts als ein Strohmann! Ein Werkzeug, das Strang und seine Freunde benutzen, wie es ihnen paßt!»
Beim Eingießen hatte er den Becher an der Karaffe entzweigeschlagen und griff jetzt nach einem neuen.»Und nun kommen Sie, der einzige Mann, dem ich vertraue, und sagen mir, daß Muljadi meinen Stützpunkt jederzeit angreifen kann! Und Raymond… Ganz abgesehen davon, daß er mir dauernd Unfähigkeit nachweisen will, kann er jetzt seinen verfluchten Vorgesetzten auch noch berichten, daß ich nicht imstande bin, dieses Territorium der britischen Flagge zu erhalten.»
Lautlos hatte sich die Tür geöffnet, und Puigserver war eingetreten. Nach einem kurzen Blick auf Conway hatte er zu Bolitho gesagt:»Ich bin geblieben, um Ihre Rückkehr abzuwarten. Meine Leute sind mit der Bedford gesegelt, aber ich wollte nicht abreisen, ohne Ihnen dafür zu danken, daß Sie Pastor befreit haben. Sie haben es sich anscheinend angewöhnt, Ihr Leben für andere zu riskieren. Diesmal werden Sie, hoffe ich, nicht unbelohnt bleiben. «Wieder glitten seine schwarzen Augen zu Conway hinüber.»Nicht wahr, Admiral?»
Conway hatte ihn nur leeren Blicks angestarrt.»Ich muß nachdenken.»
«Das müssen wir alle. «Der Spanier hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht und ließ den Blick nicht von Conway.»Ich hörte einiges durch die Tür. Wohlgemerkt, ich wollte nicht horchen, aber Ihre Stimme war ziemlich kräftig.»
Conway hatte nochmals versucht, sich zusammenzunehmen.»Dienstbesprechung, sofort!«Gläsern blickte er Bolitho an.»Sie warten draußen! Ich muß nachdenken.».
Jetzt, als Bolitho geistesabwesend auf die kleinen Gestalten unter der Palisade starrte, stieg wieder Ärger in ihm auf — und ein Gefühl der Dringlichkeit.
«Richard!»
Er fuhr herum und sah sie an der Ecke des Turmes im tiefen Schatten stehen; sie trug denselben breitrandigen Hut wie damals.
«Viola! Ich dachte schon…«Er war zu ihr geeilt und ergriff ihre Hände.
Sie schüttelte den Kopf.»Später. Hör zu. «Sanft berührte sie seine Wange, und ihre Augen waren plötzlich traurig.»Es hat so lange gedauert: elf Tage — aber für mich waren sie wie elf Jahre. Als der Sturm kam, war ich so in Sorge um dich.»