Mitten in der Hektik der Überholungsarbeiten bekam er unerwartet Besuch von Konteradmiral Sir John Winslade, demselben, der ihn im Admiralitätsgebäude empfangen hatte. Er war ziemlich wortkarg gewesen, hatte das Schiff und Bolithos Vorbereitungen flüchtig inspiziert und dann beiläufig bemerkt:»Inzwischen kann ich Ihnen wenigstens so viel sagen: Sie segeln nach Indien. Mehr darf ich Ihnen im Moment nicht verraten. «Sein Blick glitt über die Takler, die in den Wanten und auf den Rahen werkten, und er fügte trocken hinzu:»Ich kann nur in Ihrem Interesse hoffen, daß Sie rechtzeitig fertig werden.»
Winslades Andeutungen waren keineswegs leichtzunehmen. Offiziere auf Halbsold gab es, so viele man wollte. Aber ein Schiff des Königs zu bemannen, ohne daß der Druck eines Krieges dahinterstand und Preßkommandos eingesetzt werden konnten — das war etwas völlig anderes. Und wäre Bolitho nicht der Mann gewesen, der er nun einmal war, so hätte er in Versuchung geraten können, das Ziel der Reise so lange geheimzuhalten, bis genügend Matrosen die Musterrolle
* Kleine Inselgruppe der Französischen Antillen (der Übersetzer).
unterschrieben hatten und dann nicht mehr entwischen konnten.
Er hatte die üblichen, in blumenreicher Sprache abgefaßten Flugblätter in Portsmouth und Umgebung verteilen lassen. Er hatte Werbekommandos ins Binnenland bis nach Guildfort, das auf halbem Wege nach London lag, ausgeschickt, aber ohne viel Erfolg. Und jetzt, als er hinter der Admiralitätsordonnanz auf eine hohe, goldverzierte Tür zuging, fehlten der Undine immer noch fünfzig Mann an der Sollstärke.
In anderer Hinsicht hatte Bolitho mehr Glück gehabt. Der vorige Kapitän der Undine hatte sein Stammpersonal scharf im Auge behalten. Als Bolitho das Schiff übernahm, fand er einen harten Kern altgedienter Matrosen vor, sowie alle Deckoffiziere, einen erstklassigen Segelmacher und den geschicktesten Schiffszimmermann, dem er jemals bei der Arbeit zugesehen hatte. Bolithos Vorgänger hatte den Dienst bei der Marine endgültig quittiert, um sich einer parlamentarischen Karriere zu widmen. Oder wie er es ausgedrückt hatte:»Ich habe die Nase voll davon, mit Stahl und Eisen zu kämpfen. Von jetzt ab, junger Freund, kämpfe ich mit Verleumdungen.»
Konteradmiral Sir John Winslade stand mit dem Rücken zum Kaminfeuer und hielt sich die Rockschöße auseinander, um möglichst viel von der Wärme abzubekommen. Kaum jemand wußte Genaueres über ihn. Irgendwie hatte er sich durch eine Einzelaktion vor Brest ausgezeichnet, und daraufhin hatte er eine ansehnliche Position in der Admiralität bekommen. An seinem bleichen, vornehmen Gesicht war nichts Auffälliges. Tatsächlich sah er so unauffällig aus, als trüge nicht er seinen goldbetreßten Rock, sondern der Rock ihn.
Bolitho war erst siebenundzwanzig Jahre alt; aber er hatte schon zwei Kommandos innegehabt und wußte mit Stabsoffizieren gut genug Bescheid, um sie nicht nach dem Äußeren zu beurteilen.
Winslade ließ seine Rockschöße fallen und wartete, bis Bolitho zu ihm herangetreten war. Dann streckte er ihm die Hand hin und sagte:»Sie sind pünktlich, das ist gut. Wir haben viel zu besprechen. «Er trat an ein zierliches Lacktischchen.»Ein Glas Wein?«Jetzt erst lächelte er. Es war ein Lächeln wie der blasse Sonnenschein draußen: spärlich und schnell vorbei.
Er zog einen Stuhl für Bolitho heran.»Auf Ihre Gesundheit, Captain. «Und als sie getrunken hatten:»Ich nehme an, Sie wissen, warum ich Sie für dieses Kommando angefordert habe?»
Bolitho räusperte sich.»Ich war der Ansicht, Sir, weil Captain Steward in die Politik geht, benötigen Sie einen neuen. .»
Wieder lächelte Winslade, etwas verkniffen diesmal.»Bitte, Bolitho! Bescheidenheit auf Kosten der Aufrichtigkeit macht die Sache nur topplastig. Darüber sind Sie sich doch klar?»
Er nippte an seinem Glas und fuhr im gleichen trockenen Ton fort:»Bei dieser Mission muß ich mich auf den Kapitän der Undine vollkommen verlassen können. Sie werden auf der anderen Seite der Welt stationiert sein. Ich muß wissen, was Sie denken, damit ich, wenn ich zu gegebener Zeit eine bestimmte Depesche erhalte, auch entsprechend handeln kann.»
Bolitho versuchte, sich zu entspannen.»Danke. «Er lächelte etwas unsicher.»Für Ihr Vertrauen, meine ich.»
«Gewiß. «Winslade griff nach der Karaffe.»Ich kenne Ihre Herkunft, Ihre dienstlichen Leistungen, speziell im letzten Krieg gegen Frankreich und seine Alliierten. Über Ihr Verhalten auf dem amerikanischen Kontinent liegt ein sehr günstiger Bericht vor. Ein ausgewachsener Krieg und eine blutige Rebellion in Amerika müssen eine gute Schulung für einen so jungen Kommandanten gewesen sein. Doch dieser Krieg ist aus und vorbei — «, wieder das flüchtige Lächeln,»- aber wir, oder wenigstens einige von uns, wollen jetzt nach Möglichkeit verhindern, daß wir je wieder in eine so hilflose Pattsituation geraten.»
«Aber wir haben doch den Krieg nicht verloren, Sir!«rief Bolitho.
«Wir haben ihn auch nicht gewonnen. Und das ist das Wesentliche.»
Bolitho mußte unwillkürlich an die letzte Seeschlacht denken: das Schreien und Brüllen auf beiden Seiten, das Krachen der Geschütze und der fallenden Spieren. So viele hatten an diesem Tag den Tod gefunden. So viele vertraute Gesichter wurden einfach ausgelöscht. Und manche, die übriggeblieben waren wie jene beiden zerlumpten Soldaten mußten jetzt sehen, wie sie ihr Leben fristen konnten.»Wir taten unser Bestes, Sir«, sagte er gedämpft.
Der Admiral sah ihn nachdenklich an.»Das stimmt. Sie haben vielleicht den Krieg nicht gewonnen, aber Sie haben uns eine gewisse Frist verschafft. Zeit, um zu Atem zu kommen und den Tatsachen ins Gesicht zu sehen.»
«Sie denken, daß der Friede nicht lange dauern wird, Sir?»
«Ein Feind bleibt immer ein Feind, Bolitho. Nur die endgültig Besiegten sind friedlich. O ja, wir werden wieder kämpfen, seien Sie sicher. «Er setzte sein Glas nieder und fragte in scharfem Ton:»Und nun Ihr Schiff. Sind Sie soweit?»
Bolitho hielt seinem Blick stand.»Mir fehlen immer noch Seeleute, aber das Schiff selbst ist so klar, wie es nur sein kann. Vor zwei Tagen habe ich es aus der Werft schleppen lassen; jetzt liegt es in Spithead vor Anker, bis aller Proviant an Bord ist.»
«Wie viele Leute fehlen Ihnen?»
Fünf Worte nur, aber da gab es kein Drumherumreden.
«Fünfzig, Sir. Aber meine Offiziere bemühen sich weiter.»
Der Admiral verzog keine Miene.»Aha. Nun, das ist Ihre Sache. Ich werde Ihnen ein Patent zur Anwerbung von Freiwilligem auf den Gefängnishulken[1] im Hafen von Portsmouth besorgen.»
«Traurig, daß wir auf Sträflinge angewiesen sind«, warf Bolitho ein.
«Es sind Männer — mehr brauchen Sie im Moment nicht. Wie die Dinge liegen, tun Sie vielleicht manchem dieser armen Teufel etwas Gutes damit. Die meisten sollten in die amerikanischen Strafkolonien verschifft werden. Jetzt, da wir Amerika los sind, müssen wir uns nach anderen Möglichkeiten umsehen. Man spricht von der Botany Bay in Neu-Holland; aber das kann natürlich bloß ein Gerücht sein.»
Er stand auf und trat ans Fenster.»Ich kannte Ihren Vater und war sehr betrübt, als ich von seinem Tod hörte. Er starb, als Sie in Westindien waren, glaube ich?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Gerade dieser Auftrag wäre etwas für ihn gewesen. Da hätte er sich so richtig beweisen können: auf sich selbst angewiesen und auf Sofort-Entscheidungen, die ihren Urheber vernichten können, wenn sie falsch sind. Alles das, wovon ein junger Fregattenkapitän träumt — hab' ich recht?«»Jawohl, Sir. «Bolitho erinnerte sich deutlich daran, wie sein Vater bei ihrem letzten Zusammensein ausgesehen hatte. Am selben Tage war er mit der Phalarope nach Westindien abgesegelt. Ein müder, gebrochener Mann, den der Verrat seines ältesten Sohnes verbittert hatte. Hugh war sein Augapfel gewesen. Er war fünf Jahre älter als Richard, ein geborener Spieler und Abenteurer, und schließlich hatte er einen Kameraden, einen Offizier, im Duell getötet. Schlimmer noch: er war nach Amerika geflohen,