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Bolitho bückte sich und nahm Keens Dolch von dem blutbesudelten Deck auf. Er gab ihn Davy und sagte:»Wir werden mit der Bedford Kontakt aufnehmen. Im Augenblick können wir nichts weiter tun, als zum Stützpunkt zurückzukehren.»

«Gerettet durch die alte Bedford!«sagte Herrick bitter.»Ein lausiges Transportschiff aus Madras, vollgestopft mit seekranken Soldaten und ihren Weibern!»

Sorgfältig brachte der Rudergänger die Undine auf Kurs zurück, wobei er geschickt den Kraftverlust ausglich, der durch die Löcher in den Segeln entstand.

«Wenn die Argus das gewußt hätte«, sagte Bolitho,»dann hätte sie uns alle beide fertiggemacht. «Er sah die Bestürzung in ihren Gesichtern und fügte kurz hinzu:»Aber dabei wäre sie selbst draufgegangen. «Er warf einen Blick nach oben, zum Wimpel am Masttopp, und dann auf seine Uhr. Das ganze Seegefecht hatte weniger als zwei Stunden gedauert, und schon war die Argus fast in dem Dunst verschwunden, der vor der Küste lag und das Nahen des Abends verkündete. Er beschattete die Augen und schaute nach der Bedford aus; wie kleine gelbe Muscheln standen ihre Bramsegel an der Kimm.

Dann blickte er sich um. Zersplitterte Planken; die Toten, die unter dem Luv-Decksgang aufgereiht worden waren. Es gab viel zu tun; er durfte die Zügel keine Minute lockerlassen, wenn die Männer ihren Kampfeswillen behalten sollten — sie würden ihn noch brauchen. Wieder brachten sie einen Toten von der Kampanje herbei. Er mußte sich mit den Schadensmeldungen befassen, die Ausfälle ersetzen, Reparaturen anordnen. Und die Bestattungen.

Aus dem Oberlicht der Kapitänskajüte drang ein scharfer Schrei — dort unten lag Keen, und Allday versuchte, den Splitter herauszuholen.

«Ich gehe nach unten, Mr. Herrick«, sagte er.»Befassen Sie sich mit den Schadens — und Verlustmeldungen!»

Bolitho eilte am Wachtposten vorbei und blieb dann stehen. Es war sehr still in der Kajüte. Keen lag still und nackt auf dem Fußboden. War es schon zu spät?

«Alles vorbei, Captain«, sagte Allday und hielt den blutigen Holzsplitter mit einer Pinzette hoch.»Für so einen jungen Bengel hat er sich tapfer gehalten.»

Bolitho blickte auf Keens aschgraues Gesicht hinunter. Seine Lippen waren blutig. Ein Matrose hatte ihm einen Lederriemen zwischen die Zähne gezwängt, damit er sich nicht die Zunge durchbiß. Noddall und der zweite Matrose legten ihm einen Verband an, und es roch stark nach Rum.

«Danke, Allday«, sagte Bolitho leise.»Ich wußte nicht, daß Sie auch davon etwas verstehen.»

Allday schüttelte den Kopf.»Hab's auch nur einmal gemacht, bei einem Schaf. Das arme Vieh war von einer Klippe auf einen jungen Baumstumpf gefallen. Kein großer Unterschied.»

Bolitho trat zum Heckfenster und füllte sich die Lungen mit frischer Luft.»Das müssen Sie Mr. Keen erzählen, wenn er wieder zu sich kommt. «Er wandte sich um und sah Allday ins Gesicht.»Wird er wieder ganz gesund?»

Allday nickte.»Ja. Einen Zoll weiter, dann wäre es aus gewesen. «Er sah, wie Bolitho zusammenzuckte, und rang sich ein Grinsen ab.»Jedenfalls was die Mädchen betrifft.»

Die Tür ging auf, und Herrick meldete:»Wir sind auf Signaldistanz mit der Bedford, Sir.»

«Ich komme an Deck. «Bolitho hielt inne und warf noch einen Blick auf Keen. Der Junge atmete schon leichter, das sah man deutlich.»Die Verluste?»

Herrick senkte den Kopf.»Zehn Tote, Sir, und zwanzig Verwundete. Ein Wunder, daß wir nicht mehr verloren haben. Der Zimmermann und seine Leute sind schon unten, aber die meisten Löcher scheinen über der Wasserlinie zu liegen. Die Undine hat Glück gehabt, Sir.»

Bolitho blickte von Herrick zu Allday. »Ich habe Glück gehabt. «Dann ging er aus der Kajüte.

Allday schüttelte den Kopf und seufzte, und es roch noch stärker nach Rum.»Wenn Sie mich fragen, lassen Sie ihn lieber in Ruhe, Mr. Herrick, Sir.»

Herrick nickte.»Ich weiß. Aber er nimmt sich diesen Rückschlag sehr zu Herzen, obwohl ich keinen Kapitän kenne, der sich besser aus der Affäre gezogen hätte.»

Allday senkte die Stimme.»Aber ein Kapitän war heute besser. Und unserer wird nicht ruhen, bis er ihn wieder vor den Rohren hat.»

Keen stieß einen leisen Seufzer aus, und Allday schnauzte die Matrosen an:»Los, ran, ihr Faulpelze! Eine Schüssel neben seinen Kopf! Ich habe ihm so viel Rum in die Eingeweide gepumpt, daß er die ganze Kajüte vollkotzen wird, wenn er wieder aufwacht!»

Herrick schritt lächelnd zur Tür. Die Matrosen zurrten die Geschütze wieder fest und grinsten ihn an, als er vorbeiging. Einer rief:»Den Scheißkerlen haben wir's aber gezeigt, Sir, wie?»

Herrick blieb stehen.»Jawohl, das haben wir, Jungs. Der Captain ist stolz auf euch.»

Die Matrosen grinsten noch breiter.»Aye, Sir. Ich hab ihn gesehen. Mitten im dicksten Beschuß ist er rumspaziert, als ob er in Plymouth wäre. Hoho! Da hab' ich gewußt, wir schaffen es.»

Herrick kletterte nach oben in die Sonne und starrte auf die zerfetzten Segel. Wenn ihr wüßtet, dachte er trübe.

Die anderen Leutnants und die Deckoffiziere waren bereits auf dem Achterdeck versammelt und gaben ihre Meldungen ab. Bolitho lehnte am Großmast. Als er Herrick sah, meinte er:»Uns bleibt noch eine ganze Weile Tageslicht. Wir werden die zerschossenen Segel und das laufende Gut auswechseln lassen, so lange es noch hell ist. Ich habe Befehl gegeben, daß in der Kombüse Feuer gemacht wird. Die Leute sollen anständig zu essen bekommen. «Er deutete auf das schwerfällige Transportschiff, das nun knapp eine Meile entfernt war.»Wir könnten uns sogar von denen ein paar Helfer ausleihen, was?»

Herrick sah, daß die anderen nur halb zuhörten; sie waren noch abgestumpft von der Anstrengung und dem Schock, den sie erst jetzt richtig spürten. Vermutlich war es dieser andere Bolitho — kühl, selbstsicher, den Kopf schon wieder voll neuer Ideen — , den jener Matrose von der Geschützbedienung während des Gefechtes zu sehen geglaubt hatte.

Aber daß er, Herrick, den richtigen Bolitho kannte, der sich hinter dieser Maske verbarg, das machte ihn plötzlich so stolz, daß alle Erschöpfung von ihm abfiel.

XII Sturm

Wie ein Scherenschnitt stand die Gestalt des Konteradmirals vor dem farbenfrohen Viereck des Fensters; obwohl er Bolitho den Rücken zuwandte, konnte dieser erkennen, daß Conway vor Ungeduld fast zersprang. Draußen vor dem Fenster, still und friedlich im Spiel der in der Abendsonne ständig wechselnden Schatten, ankerten die Schiffe.

Die Undine lag etwas abseits von dem ungefügen Transporter und der kleinen Brigg; die Schäden, welche die Achtzehnpfünder der französischen Fregatte angerichtet hatten, waren nicht mehr zu erkennen. Gelegentlich, wenn das Stimmengewirr verstummte, hörte Bolitho das Klopfen und Hämmern, das Knirschen der Sägen — die Undine bot nur aus der Ferne einen so schmucken Anblick.

Nach der Hitze draußen in der Bucht kam es ihm in dem großen Raum mit den Balkenwänden kühl vor; obwohl die Männer, die darin saßen, so aussahen, als hätten sie sich seit ihrer letzten Begegnung kaum bewegt, hatte sich doch der Raum selber in der kurzen Zeit beträchtlich verändert. Es gab mehr Möbel, ein paar Teppiche, eine ganze Sammlung von blitzenden Karaffen und Gläsern — man hatte den Eindruck, in einer Wohnstätte zu sein, nicht mehr in einer belagerten Festung.

Don Luis Puigserver hockte auf einer messingbeschlagenen Truhe und nippte an seinem Wein. Ihm gegenüber saß James Raymond an dem mit Papieren bedeckten Schreibtisch und machte ein todernstes, verkniffenes Gesicht. Der Kapitän der Brigg, Hauptmann Vega von der ursprünglichen spanischen Garnison und zwei Offiziere der Bedford in roten Uniformen vervollständigten die kleine Versammlung. Einen der letzteren, einen breitgesichtigen Mann, der als Major Frederick Jardine vorgestellt worden war und die von Madras gekommenen Soldaten befehligte, erkannte Bolitho sofort wieder: er hatte ihn in Madras mit Viola Raymond zusammen gesehen. Jardine ließ die bösartigen kleinen Schweinsaugen kaum einen Moment von Bolitho. Der andere Offizier, ein Hauptmann Strype, war sein Stellvertreter und vollkommenes Gegenteil: lang und dünn wie ein Stock, lispelnd unter seinem schwarzen Schnurrbart, und wenn er lachte, klang das wie ein kurzes Bellen. Er kam Bolitho ziemlich dumm vor, hatte jedoch offenbar großen Respekt vor seinem Vorgesetzten.

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