Er wollte etwas sagen, um den Schmerz in ihrer Stimme zu lindern, aber sie redete schnell weiter.»Ich glaube, James hat Verdacht geschöpft. Er war in letzter Zeit sehr merkwürdig. Vielleicht hat meine Zofe etwas verlauten lassen. Sie ist ein gutes Mädchen, aber wenn man ihr schmeichelt, kann sie den Mund nicht halten. «Viola blickte ihn forschend an.»Doch das spielt keine Rolle, er wird nichts unternehmen. Um dich mache ich mir Sorgen. «Sie senkte den Kopf.»Und es ist alles meine Schuld. Ich wollte, daß er in der Welt etwas darstellt — in erster Linie, fürchte ich, um meiner selbst willen. Ich habe ihn zu sehr angestachelt, ihn ständig vorwärtsgetrieben. Ich wollte ihn zu dem Mann machen, der er nie sein kann. «Sie preßte seine Hand.»Aber das alles weißt du ja.»
Unter der Brüstung erklangen Stimmen; Bolitho glaubte, auch Schritte zu hören. Gedämpft fuhr sie fort:»James hat Sir Montagu einen Geheimbericht gesendet. Er weiß jetzt, daß Conway nicht der richtige Mann für diesen Posten ist, und dieses Wissen wird er zu seinem eigenen Vorteil verwenden. Aber auch von dir, mein geliebter Richard, wird in diesem Bericht die Rede sein. Ich kenne ihn doch. Um dir eins auszuwischen, um seine kleinliche Rachgier zu befriedigen, wird er dir anlasten, daß du nicht imstande warst, Muljadi zu erledigen, diesen — seiner Meinung nach — primitiven Piraten, ob ihm nun Frankreich hilft oder nicht.»
Gedämpft erwiderte er:»Es ist sogar noch schlimmer. Muljadi hat starke Unterstützung. Wenn er erst einmal den Stützpunkt hier erobert hat, wird die Bevölkerung in diesem ganzen Gebiet revoltieren und sich ihm anschließen. Es geht gar nicht anders. Die Piraten sind für sie die Befreier, die europäischen Schutzmächte die Eindringlinge und Unterdrücker. Das ist nichts Neues.»
Sie wandte ihm rasch den Kopf zu, und er sah, wie der Puls an ihrem Hals klopfte.
«Hör mir zu, Richard! Laß dich nicht weiter auf die Sache ein. Du bist zu wertvoll für dein Land und für alle, die auf dich blicken. Ich flehe dich an, laß dir nicht länger von Leuten befehlen, die es nicht wert sind, dir die Stiefel zu putzen!«Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände.»Rette dein Schiff und dich selbst, und zum Teufel mit diesem Pack!»
Sanft umfaßte er ihre Handgelenke.»So einfach ist es nicht mehr. «Er dachte an Le Chaumareys, den er beschworen hatte, mit Muljadi Schluß zu machen, wegzusegeln und so seine Ehre zu retten.»Und ich wünschte bei Gott, du wärest mit der Brigg abgereist. Muljadi ist jetzt stärker denn je, und wenn er kommt… »
Seine Augen schweiften zu seiner unten vor Anker liegenden Fregatte. Wie klein sie in diesem grellen Licht aussah.»Zwischen ihm und dieser Palisade steht nur noch die
Undine.»
Sie begriff plötzlich und starrte ihn mit schreckgeweiteten Augen an.»Du willst gegen sie alle kämpfen?»
Bolitho schob ihre Hände weg, denn ein Sepoy-Korporal kam um die Ecke des Turmes und meldete:»Captain Bolitho, Sahib, der Gouverneur möchte Sie sprechen, bitte.»
«Nun werden wir ja sehen, Viola. «Er versuchte zu lächeln.»Die Schlacht ist noch nicht vorbei.»
Conway saß am Tisch; der schwere Uniformrock verbarg sein weinbeflecktes Hemd. Puigserver hatte sich anscheinend nicht vom Fleck gerührt. Raymond stand mit dem Rücken zum Fenster, das Gesicht tief im Schatten. Außer ihnen nahmen noch Major Jardine und sein Stellvertreter an der Besprechung teil.
Scharf sagte Conway:»Ich habe es ihnen erzählt, Bolitho. Wort für Wort, wie Sie es mir berichtet haben.»
«Danke, Sir«, erwiderte Bolitho und blickte Raymond an — von ihm würde es kommen.
«Sie haben da allerhand auf sich genommen, Captain. Mehr, fürchte ich, als in des Gouverneurs Absicht lag.»
«Jawohl. Aber ich habe gelernt, daß ich gelegentlich Eigeninitiative entwickeln muß, besonders dann, wenn ich nicht an den Bändseln der Flotte hänge. «Puigserver studierte mit plötzlichem Interesse seinen linken Schuh.»Tatsache ist«, fuhr Bolitho fort,»daß Muljadi beabsichtigt, diesen Stützpunkt anzugreifen. Er kann jetzt gar nicht anders, da er seinen Gefangenen verloren hat und weiß, daß wir über seine neue Fregatte informiert sind. Das hat die Situation total verändert.»
Jardine sagte kurz:»Falls er angreift, können meine Männer ihn so lange aufhalten, bis Hilfe kommt. Sobald die Brigg erst in Madras ist, werden sehr rasch Truppen kommen, um den
Schurken zu vernichten — wozu die Marine offensichtlich nicht imstande ist.»
Bolitho beobachtete Raymonds Hände auf dem Fensterbrett und wartete ein paar Sekunden. Dann sagte er:»Nun, Mr. Raymond? Hat der tapfere Major recht?«Er merkte, daß Raymonds Hände sich fester um das Fensterbrett krampften.»Oder haben Sie in Ihrem Bericht an Sir Montagu angedeutet, daß Pendang Bay Ihrer Meinung nach abgeschrieben werden muß?»
Jardine bleckte wütend die Zähne.»Quatsch!«Aber nach einer kleinen Pause wurde er unsicher und fragte Raymond:»Nun, Sir?»
Dessen Antwort klang sehr ruhig.»Ich habe die Wahrheit berichtet. Man wird keine Schiffe schicken außer Transportern, um die Soldaten der Company und deren Angehörige abzuholen.»
Jardine explodierte.»Aber ich kann es schaffen, Sir! Sie hätten mir das früher sagen müssen!»
«Sie können es nicht schaffen, Major!«warf Bolitho dazwischen.»Wenn Muljadi kommt, dann mit mehr als tausend Mann. Seine Festung ist voller Krieger, das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Vielleicht hätten Sie die Palisaden halten können, bis Hilfe aus Madras kommt. Doch ohne diese Hilfe haben Sie nur eine Chance, wenn Sie in einem Gewaltmarsch durch den Urwald nach Osten ausweichen, um vielleicht die Niederlassung der Holländischen Kompanie zu erreichen und dort Sicherheit zu finden. «Er machte eine kleine Pause.»Aber in dieser Jahreszeit ist der Dschungel noch dichter als sonst, und ich bezweifle, daß viele von Ihren Männern den Marsch überleben, ganz abgesehen davon, daß Sie mit Überfällen von Eingeborenen rechnen müssen, die Muljadi ihre Ergebenheit beweisen wollen.»
Er hatte nüchtern und hart gesprochen. Gepreßt erwiderte Raymond:»Mir kann niemand einen Vorwurf machen. Ich habe nur berichtet, was ich weiß. Von dieser zweiten Fregatte wußte ich nichts. «Er versuchte, seine Selbstsicherheit wiederzufinden.»Genausowenig wie Sie!»
Conway stand langsam auf; jede Bewegung kostete ihn Willensanstrengung.»Aber Sie hatten es ja so eilig, Mr. Raymond. Sie haben Ihre Befugnisse dazu mißbraucht, Ihre eigenen Interessen zu verfolgen, haben sogar die Brigg weggeschickt, obwohl ich ausdrücklich forderte, die Rückkehr der Undine abzuwarten!»
Er schritt zum gegenüberliegenden Fenster und starrte blicklos in den dichten Urwald.»Was können wir tun? Wie können wir uns am besten aufs Schlachtfest vorbereiten?«Blitzschnell fuhr er herum und schrie:»Na, Mr. Raymond? Möchten Sie uns das vielleicht erklären? Ich kann es nämlich nicht.»
Major Jardine stotterte:»Aber so hoffnungslos kann es doch nicht sein?»
Puigserver beobachtete Bolitho.»Nun, Capitan! Sie waren schließlich in der Höhle des Löwen, nicht wir.»
«Darf ich einen Vorschlag machen, Sir?«wandte sich Bolitho an Conway.
Der Admiral nickte, sein schütteres Haar war ganz zerrauft.»Wenn da noch etwas vorzuschlagen ist — bitte!»
Bolitho ging zum Tisch und schob die schweren silbernen Tintenfässer in eine bestimmte Stellung.»Die Benuas sind auf unseren Karten ziemlich zutreffend dargestellt, Sir; aber ich nehme an, von den kleineren Durchfahrten sind manche verschlickt und zu flach. Die Festung steht erhöht auf einer zentral gelegenen Insel, auf einem Felskegel, könnte man sagen. Zur See hin fällt der Felsen senkrecht ab, und was ich erst für Riffe am Fuß dieses Felsens gehalten hatte, sind, wie ich jetzt glaube, große Felsen von oben, die im Lauf der Zeit verwittert und abgestürzt sind.»
Düster brummte Hauptmann Strype:»Dann kann man die Festung auch nicht erstürmen. Wirklich hoffnungslos.»