Bolitho drehte sich in plötzlichem Ärger zu Herrick um.
«Und wie kommen Sie zu dieser bemerkenswerten Ansicht?«Er sah recht wohl, wie Herricks Miene sich verdüsterte, aber trotzdem fuhr er fort:»Ich bin so etwas von Ihnen nicht gewöhnt.»
Herrick entgegnete:»Es ist nur, daß ich nicht zusehen mag, wie Sie sich kaputtmachen, Sir. Mir geht der Verlust der Nervion ebenso an die Nieren wie Ihnen, aber es ist nun einmal passiert. Sie haben für die Leute getan, was Sie konnten.»
«Danke für Ihr Mitgefühl«, sagte Bolitho,»aber ich strapaziere weder mich noch die Mannschaft ohne bestimmten Grund. Ich glaube, daß wir gebraucht werden, schon jetzt, in diesem Moment.»
«Vielleicht, Sir.»
Bolitho sah ihn forschend an.»Eben — vielleicht. Aber das habe ich zu verantworten und kein anderer. Wenn ich falsch gehandelt habe, dann werden Sie vielleicht eher befördert, als Sie denken. «Er wandte sich ab.»Wenn die Leute gegessen haben, wird Kurs gewechselt. Nordost zu Ost. «Er blickte zum Wimpel im Topp auf.»Sehen Sie nur, wie es weht! Wir werden die Royals setzen und mit diesem Wind unter unseren Rockschößen laufen, solange es geht.»
Herrick biß sich auf die Lippen.»Ich bin immer noch der Meinung, wir sollten Land anlaufen, Sir, wenigstens um Wasser zu fassen.»
«Ich auch, Mr. Herrick. «Bolitho sah ihm kalt ins Gesicht.»Und ich tue das, sobald es möglich ist, ohne daß uns jemand dabei sieht. Ich habe meine Befehle. Und die führe ich aus, so gut ich kann — verstanden, Mr. Herrick?»
Sie starrten einander an, zornig, beunruhigt, betroffen über die plötzliche scharfe Kontroverse.
«Gewiß, Sir. «Herrick trat zurück und spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne.»Sie können sich auf mich verlassen.»
«Schön. Ich dachte schon… «Er war mit ausgestreckter Hand einen Schritt vorgetreten; aber in diesem Moment wandte sich Herrick ab, das Gesicht ganz starr, so verletzt war er.
Bolitho hatte seine Worte keineswegs böse gemeint. Er mochte in seinem Leben an vielem gezweifelt haben, aber nicht an Herricks Loyalität. Er war beschämt und wütend über sich selbst. Vielleicht machten ihn der ewige Druck dieser leeren Einförmigkeit, das ständige Zutunhaben mit Leuten, die nichts weiter wollten, als sich vor der Arbeit und der Sonne drücken, dazu die ständigen Pläne und Zweifel, doch mehr kaputt, als er glaubte.
Er drehte sich auf dem Absatz um und sah Davy, der ihn neugierig anblickte.»Mr. Davy«, sagte er scharf,»Sie haben zwar eben erst die Wache übernommen, und es sollte mir leid tun, Sie in Ihren Gedanken zu stören. Aber sehen Sie sich bitte die Fock an! Setzen Sie ein paar Leute an, damit das in Ordnung kommt!«Er sah das betroffene Gesicht des Leutnants und fügte noch hinzu:»Das Segel sieht genauso schlapp aus wie die ganze Wache!«Als er zum Kajütniedergang schritt, sah er, wie der Leutnant nach vorn eilte. Immerhin — das Focksegel zog zwar nicht ganz so, wie es sollte; aber das als Vorwand zu nehmen, um seine Wut an Davy auszulassen, war auch nicht richtig gewesen.
Am Wachtposten vorbei trat Bolitho in die Kajüte und knallte böse die Tür hinter sich zu. Aber auch hier fand er keine Ruhe. Hoddall war dabei, den Tisch zu decken, und machte ein ärgerliches Gesicht, weil Mrs. Raymonds Zofe dauernd hinter ihm hertrippelte wie ein Kind, das sich amüsiert.
Raymond lag schlaff in einem Stuhl bei den Heckfenstern; seine Frau saß auf der Sitzbank, fächelte sich und sah Noddall mit einer Miene zu, die äußerste Langeweile verriet.
Bolitho wollte wieder gehen, aber sie rief:»Bleiben Sie doch, Captain! Wir sehen Sie ja überhaupt nicht mehr!«Sie tippte mit dem Fächer neben sich auf die Holzbank.»Setzen Sie sich doch einen Moment. Ihr geliebtes Schiff wird's schon überstehen.»
Bolitho nahm Platz und stützte den Ellbogen auf das Fenstersims. Es war gut, wieder Leben und Wind zu spüren, das Wirbeln und Schäumen des Kielwassers zu sehen, wie es glatt von der Gillung abfloß oder blubbernd unter dem Ruder hervorkam.
Dann wandte er sich Mrs. Raymond zu und sah sie an. Die ganze Zeit war sie schon an Bord, aber er wußte wenig von ihr. Sie beobachtete ihn amüsiert und forschend. Sie mochte zwei, drei Jahre älter sein als er selbst, war nicht ausgesprochen schön, hatte aber etwas Aristokratisches an sich, das sofort fesselte. Sie hatte schöne gleichmäßige Zähne, und ihr Haar, das ihr offen über die Schultern fiel, war braun wie Herbstlaub. Während er und seine Offiziere ständig schwitzten und Mühe hatten, nach der Tyrannei der Sonne oder nach einer wilden Bö ein sauberes Hemd zu finden, war sie stets untadelig gekleidet.
Wie jetzt auch. Sie trug ihr Kleid nicht nur, sie hatte es arrangiert, so daß nicht sie hier beim Heckfenster fehl am Platze wirkte, sondern er. Ihre schweren Ohrringe mußten mindestens den Jahressold eines Seesoldaten gekostet haben.
Mrs. Raymond lächelte.»Gefällt Ihnen der Anblick, Captain?»
Bolitho fuhr zusammen.»Entschuldigung, Ma'am. Ich bin müde.»
«Wie galant!«rief sie aus.»Und wie bedauerlich, daß Sie mich nur aus Müdigkeit ansehen. «Sie klappte den Fächer auf und fuhr fort:»Das war ein Scherz, Captain. Machen Sie nicht ein so betroffenes Gesicht!»
Bolitho lächelte.»Vielen Dank. «Plötzlich mußte er an eine andere Frau denken, damals vor drei Jahren in New York. Und an ein anderes Schiff: sein erstes Kommando. Die Welt hatte offen vor ihm gelegen, da hatte ihm jene andere Frau klargemacht, daß das Leben nicht so freundlich war und nicht so einfach.
«Ich habe allerlei Sorgen«, räumte er ein.»Die meiste Zeit meines Lebens habe ich mit Kämpfen und raschen Entschlüssen zu tun gehabt. Aber das jetzt — Tag für Tag nur Segel trimmen und auf die leere See starren — ist mir ungewohnt. Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich einen Kauffahrer und kein Kriegsschiff.»
Sie sah ihn nachdenklich an.»Das glaube ich Ihnen. Ich hätte das eher merken müssen. «Die Augen hinter den langen Wimpern verborgen, bot sie ihm ein zögerndes Lächeln.»Dann wäre ich vielleicht nicht so verletzend zu Ihnen gewesen.»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Es ist größtenteils meine Schuld. Weil ich so lange auf Kriegsschiffen gefahren bin, setze ich automatisch bei jedem die gleiche Dienstauffassung voraus wie bei mir. Wenn es brennt, erwarte ich, daß alle herbeirennen und löschen. Wenn ein Mann sich gegen mich wendet, Meuterer oder Feind, lasse ich ihn niedermachen oder tue es selbst. «Er blickte ihr ernst ins Gesicht.
«Deswegen hatte ich von Ihnen erwartet, daß Sie den verletzten Schiffbrüchigen helfen würden. «Er zuckte die Schultern.»Wie gesagt, ich hatte es erwartet und bat Sie nicht erst darum.»
Sie nickte.»Dieses Eingeständnis muß Sie ebenso überraschen wie mich, Captain. «Lächelnd zeigte sie ihre schönen Zähne.»Hat es die Luft ein bißchen gereinigt?»
«Ja. «Unwillkürlich wischte er die rebellische Locke beiseite, die ihm an der verschwitzten Stirn klebte. Er sah, wie sich beim Anblick der Narbe unter dem Haar ihre Augen weiteten, und sagte rasch:
«Entschuldigen Sie mich, Ma'am. Ich muß mir vor dem Essen noch die Seekarte ansehen.»
Als er aufstand und gehen wollte, blickte sie ihn wohlgefällig an.»Sie verstehen Ihre Autorität zu tragen, Captain. «Und mit einem Seitenblick auf ihren schlafenden Mann:»Besser als gewisse andere Leute.»
Bolitho wußte nicht recht, was er dazu sagen sollte.»Das ist wohl kaum ein Gesprächsgegenstand für mich, Ma'am«, brachte er schließlich heraus. Von Deck her hörte man Fußgetrappel, und Schatten glitten rasch über das Oberlicht. Er blickte hoch.
«Was ist das?«fragte sie. Er merkte nicht, daß sie sich über die Unterbrechung ärgerte.
«Ich weiß nicht. Ein Schiff vielleicht. Ich habe befohlen, daß mir dann Meldung gemacht wird, denn ich will jede Begegnung vermeiden.»
Noddall hielt in seiner Arbeit inne, zwei Gabeln in der Hand.»Hab' keine Meldung vom Ausguck gehört, Sir.»
Es klopfte, und Herrick stand keuchend in der Tür.