Es war die Zeit der Narzissen. Madame Arnulfi ließ die Blumen auf eigenen kleinen Parzellen Landes ziehen, die sie unterhalb der Stadt in der großen Schüssel besaß, oder sie kaufte sie von den Bauern, mit denen sie um jedes Lot erbittert feilschte. Die Blüten wurden schon in aller Früh geliefert, körbeweise in das Atelier geschüttet, zehntausendfach, in voluminösen, aber federleichten duftenden Haufen. Druot unterdessen verflüssigte in einem großen Kessel Schweine- und Rindertalg zu einer cremigen Suppe, in die er, während Grenouille unaufhörlich mit einem besenlangen Spatel rühren musste, scheffelweise die frischen Blüten schüttete. Wie zu Tode erschreckte Augen lagen sie für eine Sekunde auf der Oberfläche und erbleichten in dem Moment, da der Spatel sie unterrührte und das warme Fett sie umschloss. Und fast im selben Moment waren sie auch schon erschlafft und verwelkt, und offenbar kam der Tod so rasch über sie, dass ihnen gar keine andere Wahl mehr blieb, als ihren letzten duftenden Seufzer eben jenem Medium einzuhauchen, das sie ertränkte; denn – Grenouille gewahrte es zu seinem unbeschreiblichen Entzücken – je mehr Blüten er in seinem Kessel unterrührte, desto stärker duftete das Fett. Und zwar waren es nicht etwa die toten Blüten, die im Fett weiterdufteten, nein, es war das Fett selbst, das sich den Duft der Blüten angeeignet hatte.
Mitunter wurde die Suppe zu dick, und sie mussten sie rasch durch große Siebe gießen, um sie von den ausgelaugten Leichen zu befreien und für frische Blütenbereit zu machen. Dann scheffelten und rührten und seihten sie weiter, den ganzen Tag über ohne Pause, denn das Geschäft duldete keine Verzögerung, bis gegen Abend der ganze Blütenhaufen durch den Fettkessel gewandert war. Die Abfälle wurden – damit auch nichts verloren ginge – mit kochendem Wasser überbrüht und in einer Spindelpresse bis zum letzten Tropfen ausgewrungen, was immerhin noch ein zart duftendes Öl abgab. Das Gros des Duftes aber, die Seele eines Meeres von Blüten, war im Kessel verblieben, eingeschlossen und bewahrt im unansehnlich grauweißen, nun langsam erstarrenden Fett.
Am kommenden Tag wurde die Mazeration, wie man diese Prozedur nannte, fortgesetzt, der Kessel wieder angeheizt, das Fett verflüssigt und mit neuen Blüten beschickt. So ging es mehrere Tage lang von früh bis spät. Die Arbeit war anstrengend. Grenouille hatte bleierne Arme, Schwielen an den Händen und Schmerzen im Rücken, wenn er abends in seine Kabane wankte. Druot, der wohl dreimal so kräftig wie er war, löste ihn kein einziges Mal beim Rühren ab, sondern begnügte sich, die federleichten Blüten nachzuschütten, auf das Feuer aufzupassen und gelegentlich, der Hitze wegen, einen Schluck trinken zu gehen. Aber Grenouille muckte nicht auf. Klaglos rührte er die Blüten ins Fett, von morgens bis abends, und spürte während des Rührens die Anstrengung kaum, denn er war immer aufs neue fasziniert von dem Prozess, der sich unter seinen Augen und unter seiner Nase abspielte: dem raschen Welken der Blüten und der Absorption ihres Duftes.
Nach einiger Zeit entschied Druot, dass das Fett nun gesättigt sei und keinen weiteren Duft mehr absorbieren könne. Sie löschten das Feuer, seihten die schwere Suppe zum letzten Mal ab und füllten sie in Tiegel aus Steingut, wo sie sich alsbald zu einer herrlich duftenden Pomade verfestigte.
Dies war die Stunde von Madame Arnulfi, die kam, um das kostbare Produkt zu prüfen, zu beschriften und die Ausbeute genauestens nach Qualität und Quantität in ihren Büchern zu verzeichnen. Nachdem sie die Tiegel höchstpersönlich verschlossen, versiegelt und in die kühlen Tiefen ihres Kellers getragen hatte, zog sie ihr schwarzes Kleid an, nahm ihren Witwenschleier und machte die Runde bei den Kaufleuten und Parfumhandelshäusern der Stadt. Mit bewegenden Worten schilderte sie den Herren ihre Situation als alleinstehende Frau, ließ sich Angebote machen, verglich die Preise, seufzte und verkaufte endlich – oder verkaufte nicht. Parfumierte Pomade, kühl gelagert, hielt sich lange. Und wenn die Preise jetzt zu wünschen übrigließen, wer weiß, vielleicht kletterten sie im Winter oder nächsten Frühjahr in die Höhe. Auch war zu überlegen, ob man nicht, statt diesen Pfeffersäcken zu verkaufen, mit andern kleinen Produzenten gemeinsam eine Ladung Pomade nach Genua verschiffen oder sich an einem Konvoi zur Herbstmesse in Beaucaire beteiligen sollte – riskante Unternehmungen, gewiss, doch im Erfolgsfall äußerst einträglich. Diese verschiedenen Möglichkeiten wog Madame Arnulfi sorgsam gegeneinander ab, und manchmal verband sie sie auch und verkaufte einen Teil ihrer Schätze, hob einen anderen auf und handelte mit einem dritten auf eigenes Risiko. Hatte sie allerdings bei ihren Erkundigungen den Eindruck gewonnen, der Pomademarkt sei übersättigt und werde sich in absehbarer Zeit nicht zu ihren Gunsten verknappen, so eilte sie wehenden Schleiers nach Hause und gab Druot den Auftrag, die ganze Produktion einer Lavage zu unterziehen und sie in Essence Absolue zu verwandeln.
Und dann wurde die Pomade wieder aus dem Keller geholt, in verschlossenen Töpfen aufs Vorsichtigste erwärmt, mit feinstem Weingeist versetzt und vermittels eines eingebauten Rührwerks, welches Grenouille bediente, gründlich durchgemischt und ausgewaschen. Zurück in den Keller verbracht, kühlte diese Mischung rasch aus, der Alkohol schied sich vom erstarrenden Fett der Pomade und konnte in eine Flasche abgelassen werden. Er stellte nun quasi ein Parfum dar, allerdings von enormer Intensität, während die zurückbleibende Pomade den größten Teil ihres Duftes verloren hatte. Abermals also war der Blütenduft auf ein anderes Medium übergegangen. Doch damit war die Operation noch nicht zu Ende. Nach gründlicher Filtrage durch Gazetücher, in denen auch die kleinsten Klümpchen Fett zurückgehalten wurden, füllte Druot den parfumierten Alkohol in einen kleinen Alambic und destillierte ihn über dezentestem Feuer langsam ab. Was nach der Verflüchtigung des Alkohols in der Blase zurückblieb, war eine winzige Menge blass gefärbter Flüssigkeit, die Grenouille wohlbekannt war, die er aber in dieser Qualität und Reinheit weder bei Baldini noch etwa bei Runel gerochen hatte: Das schiere Öl der Blüten, ihr blanker Duft, hunderttausendfach konzentriert zu einerkleinen Pfütze Essence Absolue. Diese Essenz roch nicht mehr lieblich. Sie roch beinahe schmerzhaft intensiv, scharf und beizend. Und doch genügte schon ein Tropfen davon, aufgelöst in einem Liter Alkohol, um sie wieder zu beleben und ein ganzes Feld von Blumen geruchlich wiederauferstehen zu lassen.
Die Ausbeute war fürchterlich gering. Gerade drei kleine Flakons füllte die Flüssigkeit aus der Destillierblase. Mehr war von dem Duft von hunderttausend Blüten nicht übriggeblieben als drei kleine Flakons. Aber sie waren ein Vermögen wert, schon hier in Grasse. Und um wie viel mehr noch, wenn man sie nach Paris verschickte oder nach Lyon, nach Grenoble, nach Genua oder Marseille! Madame Arnulfi bekam einen schmelzend schönen Blick beim Anschauen dieser Fläschchen, sie liebkoste sie mit Augen, und als sie sie nahm und mit fügig geschliffenen Glaspfropfen verstöpselte, hielt sie den Atem an, um nur ja nichts vom kostbaren Inhalt zu verblasen. Und damit auch nach dem Verstöpseln nicht das kleinste Atom verdunstenderweise entweiche, versiegelte sie die Pfropfen mit flüssigem Wachs und umkapselte sie mit einer Fischblase, die sie am Flaschenhals fest verschnürte. Dann stellte sie sie in ein wattegefüttertes Kästchen und brachte sie im Keller hinter Schloss und Riegel.