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Nachts wird Gas abgeblasen. Wir erwarten den Angriff und liegen mit den Masken fertig, bereit, sie abzureißen, sowie der erste Schatten auftaucht.

Der Morgen graut, ohne daß etwas erfolgt. Nur immer dieses nervenzerreibende Rollen drüben, Züge, Züge, Lastwagen, Lastwagen, was konzentriert sich da nur? Unsere Artillerie funkt ständig hinüber, aber es hört nicht auf, es hört nicht auf. – Wir haben müde Gesichter und sehen aneinander vorbei.

»Es wird wie an der Somme, da hatten wir nachher sieben Tage und Nächte Trommelfeuer«, sagt Kat düster. Er hat gar keinen Witz mehr, seit wir hier sind, und das ist schlimm, denn Kat ist ein altes Frontschwein, das Witterung besitzt. Nur Tjaden freut sich der guten Portionen und des Rums; er meint sogar, wir würden genauso in Ruhe zurückkehren, es würde gar nichts passieren. Fast scheint es so. Ein Tag nach dem andern geht vorüber. Ich sitze nachts im Loch auf Horchposten. Über mir steigen die Raketen und Leuchtschirme auf und nieder. Ich bin vorsichtig und gespannt, mein Herz klopft. Immer wieder liegt mein Auge auf der Uhr mit dem Leuchtzifferblatt; der Zeiger will nicht weiter. Der Schlaf hängt in meinen Augenlidern, ich bewege die Zehen in den Stiefeln, um wachzubleiben. Nichts geschieht, bis ich abgelöst werde; – nur immer das Rollen drüben. Wir werden allmählich ruhig und spielen ständig Skat und Mauscheln. Vielleicht haben wir Glück.

Der Himmel hängt tagsüber voll Fesselballons. Es heißt, daß von drüben jetzt auch hier Tanks eingesetzt werden sollen und Infanterieflieger beim Angriff. Das interessiert uns aber weniger als das, was von den neuen Flammenwerfern erzählt wird.

* * *

Mitten in der Nacht erwachen wir. Die Erde dröhnt. Schweres Feuer liegt über uns. Wir drücken uns in die Ecken. Geschosse aller Kaliber können wir unterscheiden. Jeder greift nach seinen Sachen und vergewissert sich alle Augenblicke von neuem, daß sie da sind. Der Unterstand bebt, die Nacht ist ein Brüllen und Blitzen. Wir sehen uns bei dem sekundenlangen Licht an und schütteln mit bleichen Gesichtern und gepreßten Lippen die Köpfe. Jeder fühlt es mit, wie die schweren Geschosse die Grabenbrüstung wegreißen, wie sie die Böschung durchwühlen und die obersten Betonklötze zerfetzen. Wir merken den dumpferen, rasenderen Schlag, der dem Prankenhieb eines fauchenden Raubtiers gleicht, wenn der Schuß im Graben sitzt. Morgens sind einige Rekruten bereits grün und kotzen. Sie sind noch zu unerfahren.

Langsam rieselt widerlich graues Licht in den Stollen und macht das Blitzen der Einschläge fahler. Der Morgen ist da. Jetzt mischen sich explodierende Minen in das Artilleriefeuer. Es ist das Wahnsinnigste an Erschütterung, was es gibt. Wo sie niederfegen, ist ein Massengrab.

Die Ablösungen gehen hinaus, die Beobachter taumeln herein, mit Schmutz beworfen, zitternd. Einer legt sich schweigend in die Ecke und ißt, der andere, ein Ersatzreservist, schluchzt; er ist zweimal über die Brustwehr geflogen durch den Luftdruck der Explosion, ohne sich etwas anderes zu holen als einen Nervenschock.

Die Rekruten sehen zu ihm hin. So etwas steckt rasch an, wir müssen aufpassen, schon fangen verschiedene Lippen an zu flattern. Gut ist, daß es Tag wird; vielleicht erfolgt der Angriff vormittags.

Das Feuer schwächt nicht ab. Es liegt auch hinter uns. So weit man sehen kann, spritzen Dreck- und Eisenfontänen. Ein sehr breiter Gürtel wird bestrichen. Der Angriff erfolgt nicht, aber die Einschläge dauern an. Wir werden langsam taub. Es spricht kaum noch jemand.

Man kann sich auch nicht verstehen.

Unser Graben ist fast fort. An vielen Stellen reicht er nur noch einen halben Meter hoch, er ist durchbrochen von Löchern, Trichtern und Erdbergen. Direkt vor unserm Stollen platzt eine Granate. Sofort ist es dunkel. Wir sind zugeschüttet und müssen uns ausgraben. Nach einer Stunde ist der Eingang wieder frei, und wir sind etwas gefaßter, weil wir Arbeit hatten.

Unser Kompanieführer klettert herein und berichtet, daß zwei Unterstände weg sind. Die Rekruten beruhigen sich, als sie ihn sehen. Er sagt, daß heute abend versucht werden soll, Essen heranzubringen.

Das klingt tröstlich. Keiner hat daran gedacht, außer Tjaden. Nun rückt etwas wieder von draußen näher; – wenn Essen geholt werden soll, kann es ja nicht so schlimm sein, denken die Rekruten. Wir stören sie nicht, wir wissen, daß Essen ebenso wichtig wie Munition ist und nur deshalb herangeschafft werden muß.

Aber es mißlingt. Eine zweite Staffel geht los. Auch sie kehrt um. Schließlich ist Kat dabei, und selbst er erscheint unverrichtetersache wieder. Niemand kommt durch, kein Hundeschwanz ist schmal genug für dieses Feuer.

Wir ziehen unsere Schmachtriemen enger und kauen jeden Happen dreimal so lange. Doch es reicht trotzdem nicht aus; wir haben verfluchten Kohldampf. Ich bewahre mir eine Kante auf; das Weiche esse ich heraus, die Kante bleibt im Brotbeutel; ab und zu knabbere ich mal daran.

* * *

Die Nacht ist unerträglich. Wir können nicht schlafen, wir stieren vor uns hin und duseln. Tjaden bedauert, daß wir unsere angefressenen Brotstücke für die Ratten vergeudet haben. Wir hätten sie ruhig aufheben sollen. Jeder würde sie jetzt essen. Wasser fehlt uns auch, aber noch nicht so sehr.

Gegen Morgen, als es noch dunkel ist, entsteht Aufregung.

Durch den Eingang stürzt ein Schwärm flüchtender Ratten und jagt die Wände hinauf. Die Taschenlampen beleuchten die Verwirrung. Alle schreien und fluchen und schlagen zu. Es ist der Ausbruch der Wut und der Verzweiflung vieler Stunden, der sich entlädt. Die Gesichter sind verzerrt, die Arme schlagen, die Tiere quietschen, es fällt schwer, daß wir aufhören, fast hätte einer den anderen angefallen. Der Ausbruch hat uns erschöpft. Wir liegen und warten wieder. Es ist ein Wunder, daß unser Unterstand noch keine Verluste hat. Er ist einer der wenigen tiefen Stollen, die es jetzt noch gibt.

Ein Unteroffizier kriecht herein; der hat ein Brot bei sich. Drei Leuten ist es doch geglückt, nachts durchzukommen und etwas Proviant zu holen. Sie haben erzählt, daß das Feuer in unverminderter Stärke bis zu den Artillerieständen läge. Es sei ein Rätsel, wo die drüben so viele Geschütze hernähmen.

Wir müssen warten, warten. Mittags passiert das, womit ich schon rechnete. Einer der Rekruten hat einen Anfall. Ich habe ihn schon lange beobachtet, wie er ruhelos die Zähne bewegte und die Fäuste ballte und schloß. Diese gehetzten, herausspringenden Augen kennen wir zur Genüge. In den letzten Stunden ist er nur scheinbar stiller geworden. Er ist in sich zusammengesunken wie ein morscher Baum.

Jetzt steht er auf, unauffällig kriecht er durch den Raum, verweilt einen Augenblick und rutscht dann dem Ausgang zu. Ich lege mich herum und frage:»Wo willst du hin?«

»Ich bin gleich wieder da«, sagt er und will an mir vorbei.

»Warte doch noch, das Feuer läßt schon nach.«

Er horcht auf, und das Auge wird einen Moment klar. Dann hat es wieder den trüben Glanz wie bei einem tollwütigen Hund, er schweigt und drängt mich fort.»Eine Minute, Kamerad!«rufe ich. Kat wird aufmerksam. Gerade als der Rekrut mich fortstößt, packt er zu, und wir halten ihn fest.

Sofort beginnt er zu toben:»Laßt mich los, laßt mich ‘raus, ich will hier ‘raus!«

Er hört auf nichts und schlägt um sich, der Mund ist naß und sprüht Worte, halbverschluckte, sinnlose Worte. Es ist ein Anfall von Unterstandsangst, er hat das Gefühl, hier zu ersticken, und kennt nur den einen Trieb: hinauszugelangen. Wenn man ihn laufen ließe, würde er ohne Deckung irgendwohin rennen. Er ist nicht der erste.

Da er sehr wild ist und die Augen sich schon verdrehen, so hilft es nichts, wir müssen ihn verprügeln, damit er vernünftig wird. Wir tun es schnell und erbarmungslos und erreichen, daß er vorläufig wieder ruhig sitzt. Die andern sind bleich bei der Geschichte geworden; hoffentlich schreckt es sie ab. Dieses Trommelfeuer ist zuviel für die armen Kerle; sie sind vom Feldrekrutendepot gleich in einen Schlamassel geraten, der selbst einem alten Mann graue Haare machen könnte.

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