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Der windet sich und muß es schließlich zugeben, als Kropp die gleichen Angaben macht.

»Weshalb hat denn niemand das damals gemeldet?«fragt Bertinck.

Wir schweigen; er muß doch selbst wissen, was eine Beschwerde über solche Kleinigkeiten beim Kommiß für Zweck hat. Gibt es beim Kommiß überhaupt Beschwerden? Er sieht es wohl ein und kanzelt Himmelstoß zunächst ab, indem er ihm noch einmal energisch klarmacht, daß die Front kein Kasernenhof sei. Dann kommt in verstärktem Maße Tjaden an die Reihe, der eine ausgewachsene Predigt und drei Tage Mittelarrest erhält. Kropp diktiert er mit einem Augenzwinkern einen Tag Arrest.

»Geht nicht anders«, sagt er bedauernd zu ihm. Er ist ein vernünftiger Kerl.

Mittelarrest ist angenehm. Das Arrestlokal ist ein früherer Hühnerstall; da können beide Besuch empfangen, wir verstehen uns schon darauf, hinzukommen. Dicker Arrest wäre Keller gewesen. Früher wurden wir auch an einen Baum gebunden, doch das ist jetzt verboten. Manchmal werden wir schon wie Menschen behandelt. Eine Stunde nachdem Tjaden und Kropp hinter ihren Drahtgittern sitzen, brechen wir zu ihnen auf. Tjaden begrüßt uns krähend. Dann spielen wir bis in die Nacht Skat. Tjaden gewinnt natürlich, das dumme Luder.

* * *

Beim Aufbrechen fragt Kat mich:»Was meinst du zu Gänsebraten?«

»Nicht schlecht«, finde ich.

Wir klettern auf eine Munitionskolonne. Die Fahrt kostet zwei Zigaretten. Kat hat sich den Ort genau gemerkt. Der Stall gehört einem Regimentsstab. Ich beschließe, die Gans zu holen, und lasse mir Instruktionen geben. Der Stall ist hinter der Mauer, nur mit einem Pflock verschlossen. Kat hält mir die Hände hin, ich stemme den Fuß hinein und klettere über die Mauer. Kat steht unterdessen Schmiere.

Einige Minuten bleibe ich stehen, um die Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Dann erkenne ich den Stall. Leise schleiche ich mich heran, taste den Pflock ab, ziehe ihn weg und öffne die Tür.

Ich unterscheide zwei weiße Flecke. Zwei Gänse, das ist faul: faßt man die eine, so schreit die andere. Also beide – wenn ich schnell bin, klappt es.

Mit einem Satz springe ich zu. Eine erwische ich sofort, einen Moment später die zweite. Wie verrückt haue ich die Köpfe gegen die Wand, um sie zu betäuben. Aber ich muß wohl nicht genügend Wucht haben. Die Biester räuspern sich und schlagen mit Füßen und Flügeln um sich. Ich kämpfe erbittert, aber, Donnerwetter, was hat so eine Gans für Kraft! Sie zerren, daß ich hin und her taumele. Im Dunkel sind diese weißen Lappen scheußlich, meine Arme haben Flügel gekriegt, beinahe habe ich Angst, daß ich mich zum Himmel erhebe, als hätte ich ein paar Fesselballons in den Pfoten.

Da geht auch schon der Lärm los; einer der Hälse hat Luft geschnappt und schnarrt wie eine Weckuhr. Ehe ich mich versehe, tappt es draußen heran, ich bekomme einen Stoß, liege am Boden und höre wütendes Knurren. Ein Hund.

Ich blicke zur Seite; da schnappt er schon nach meinem Halse. Sofort liege ich still und ziehe vor allem das Kinn an den Kragen.

Es ist eine Dogge. Nach einer Ewigkeit nimmt sie den Kopf zurück und setzt sich neben mich. Doch wenn ich versuche, mich zu bewegen, knurrt sie. Ich überlege. Das einzige, was ich tun kann, ist, daß ich meinen kleinen Revolver zu fassen kriege. Fort muß ich hier auf jeden Fall, ehe Leute kommen. Zentimeterweise schiebe ich die Hand heran. Ich habe das Gefühl, daß es Stunden dauert. Immer eine leise Bewegung und ein gefährliches Knurren; Stilliegen und erneuter Versuch. Als ich den Revolver in der Hand habe, fängt sie an zu zittern. Ich drücke sie auf den Boden und mache mir klar: Revolver hochreißen, schießen, ehe er zufassen kann, und türmen.

Langsam hole ich Atem und werde ruhiger. Dann halte ich ‘ die Luft an, zucke den Revolver hoch, es knallt, die Dogge spritzt jaulend zur Seite, ich gewinne die Tür des Stalles und purzele über eine der geflüchteten Gänse. Im Galopp greife ich schnell noch zu, schmeiße sie mit einem Schwung über die Mauer und klettere selbst hoch. Ich bin noch nicht hinüber, da ist die Dogge auch schon wieder munter und springt nach mir. Rasch lasse ich mich fallen. Zehn Schritt vor mir steht Kat, die Gans im Arm. Sowie er mich sieht, laufen wir.

Endlich können wir verschnaufen. Die Gans ist tot, Kat hat das in einem Moment erledigt. Wir wollen sie gleich braten, damit keiner etwas merkt. Ich hole Töpfe und Holz aus der Baracke, und wir kriechen in einen kleinen verlassenen Schuppen, den wir für solche Zwecke kennen. Die einzige Fensterluke wird dicht verhängt. Eine Art Herd ist vorhanden, auf Backsteinen liegt eine eiserne Platte. Wir zünden ein Feuer an.

Kat rupft die Gans und bereitet sie zu. Die Federn legen wir sorgfältig beiseite. Wir wollen uns zwei kleine Kissen daraus machen mit der Aufschrift:»Ruhe sanft im Trommelfeuer!«

Das Artilleriefeuer der Front umsummt unsern Zufluchtsort. Lichtschein flackert über unsere Gesichter, Schatten tanzen auf der Wand. Manchmal ein dumpfer Krach, dann zittert der Schuppen. Fliegerbomben. Einmal hören wir gedämpfte Schreie. Eine Baracke muß getroffen sein. Flugzeuge surren; das Tacktack von Maschinengewehren wird laut. Aber von uns dringt kein Licht hinaus, das zu sehen wäre.

So sitzen wir uns gegenüber, Kat und ich, zwei Soldaten in abgeschabten Röcken, die eine Gans braten, mitten in der Nacht. Wir reden nicht viel, aber wir sind voll zarterer Rücksicht miteinander, als ich mir denke, daß Liebende es sein können. Wir sind zwei Menschen, zwei winzige Funken Leben, draußen ist die Nacht und der Kreis des Todes. Wir sitzen an ihrem Rande, gefährdet und geborgen, über unsere Hände trieft Fett, wir sind uns nahe mit unseren Herzen, und die Stunde ist wie der Raum: überflackert von einem sanften Feuer, gehen die Lichter und Schatten der Empfindungen hin und her. Was weiß er von mir – was weiß ich von ihm, früher wäre keiner unserer Gedanken ähnlich gewesen – jetzt sitzen wir vor einer Gans und fühlen unser Dasein und sind uns so nahe, daß wir nicht darüber sprechen mögen.

Es dauert lange, eine Gans zu braten, auch wenn sie jung und fett ist. Wir wechseln uns deshalb ab. Einer begießt sie, während der andere unterdessen schläft. Ein herrlicher Duft verbreitet sich allmählich.

Die Geräusche von draußen werden zu einem Band, zu einem Traum, der aber die Erinnerung nicht ganz verliert. Ich sehe im Halbschlaf Kat den Löffel heben und senken, ich liebe ihn, seine Schultern, seine eckige, gebeugte Gestalt – und zu gleicher Zeit sehe ich hinter ihm Wälder und Sterne, und eine gute Stimme sagt Worte, die mir Ruhe geben, mir, einem Soldaten, der mit seinen großen Stiefeln und seinem Koppel und seinem Brotbeutel klein unter dem hohen Himmel den Weg geht, der vor ihm liegt, der rasch vergißt und nur selten noch traurig ist, der immer weitergeht unter dem großen Nachthimmel. Ein kleiner Soldat und eine gute Stimme, und wenn man ihn streicheln würde, könnte er es vielleicht nicht mehr verstehen, der Soldat mit den großen Stiefeln und dem zugeschütteten Herzen, der marschiert, weil er Stiefel trägt, und alles vergessen hat außer dem Marschieren. Sind am Horizont nicht Blumen und eine Landschaft, die so still ist, daß er weinen möchte, der Soldat? Stehen dort nicht Bilder, die er nicht verloren hat, weil er sie nie besessen hat, verwirrend, aber dennoch für ihn vorüber? Stehen dort nicht seine zwanzig Jahre?

Ist mein Gesicht naß, und wo bin ich? Kat steht vor mir, sein riesiger gebückter Schatten fällt über mich wie eine Heimat. Er spricht leise, er lächelt und geht zum Feuer zurück.

Dann sagt er:»Es ist fertig.«

»Ja, Kat.«

Ich schüttele mich. In der Mitte des Raumes leuchtet der braune Braten. Wir holen unsere zusammenklappbaren Gabeln und unsere Taschenmesser heraus und schneiden uns jeder eine Keule ab. Dazu essen wir Kommißbrot, das wir in die Soße tunken. Wir essen langsam, mit vollem Genuß.

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