Литмир - Электронная Библиотека
A
A

»Bin dabei«, sagte Mathilde.

Köster stellte die Gläser auf den Tisch und schenkte ein. Mathilde goß den Rum mit einer Geschwindigkeit weg, als flösse er durch ein Sieb. Ihre Oberlippe zuckte heftig, und der Schnurrbart bebte.

»Noch einen?«fragte ich.

»Ich sage nicht nein.«

Sie bekam noch ein großes Glas voll, dann verabschiedete sie sich.

»Alles Gute in Bunzlau«, sagte ich.

»Ja, danke auch vielmals. Aber komisch ist es doch, daß es keiner kennt, wie?«

Sie schaukelte hinaus. Wir standen noch eine Weile in der leeren Werkstatt herum.»Könnten eigentlich auch gehen«, sagte Köster.

»Ja«, erwiderte ich.»Haben hier ja nichts mehr zu tun.«

Wir schlössen die Tür ab und gingen hinaus. Dann holten wir Karl. Er stand jetzt in einer Garage in der Nähe und war nicht mit verkauft worden. Wir fuhren zur Bank und zur Post, und Köster zahlte das Geld an den Konkursverwalter ein.»Ich gehe jetzt schlafen«, sagte er, als er wieder herauskam.»Bist du nachher da?«

»Ich habe mich heute für den ganzen Abend frei gemacht.«

»Gut, ich komme dann so um acht.«

Wir aßen in einer kleinen Kneipe vor der Stadt und fuhren dann wieder hinein. Als wir in die ersten Straßen kamen, platzte uns ein Vorderreifen. Wir wechselten ihn aus. Karl war lange nicht gewaschen worden, und ich wurde ziemlich schmutzig dabei.»Müßte mir mal die Hände waschen, Otto«, sagte ich.

In der Nähe war ein ziemlich großes Café. Wir gingen hinein und setzten uns an einen Tisch in der Nähe des Eingangs. Zu unserm Erstaunen war das Lokal fast ganz besetzt. Eine Damenkapelle spielte, und es herrschte großer Betrieb. Die Musik trug bunte Papiermützen, eine Anzahl Gäste war kostümiert, Papierschlangen flogen von Tisch zu Tisch, Luftballons stiegen auf, die Kellner rannten mit hochbeladenen Tabletts umher, und der ganze Raum war voll Bewegung, Gelächter und Lärm.

»Was ist denn hier los?«fragte Köster.

Ein blondes Mädchen neben uns überschüttete uns mit einer Wolke Konfetti.»Wo kommen Sie denn her?«lachte sie.»Wissen Sie nicht, daß heute Faschingsanfang ist?«

»Ach so«, sagte ich.»Na, dann werde ich mir mal die Hände waschen.«

Ich mußte das ganze Lokal durchqueren, um zu den Waschräumen zu gelangen. Eine Weile wurde ich aufgehalten durch einige Leute, die betrunken waren und eine Frau auf den Tisch heben wollten, damit sie singen sollte. Die Frau wehrte sich kreischend, dabei fiel der Tisch um und mit dem Tisch die ganze Gesellschaft. Ich wartete, bis der Durchgang frei wurde – aber plötzlich war es mir, als hätte ich einen elektrischen Schlag erhalten. Ich stand steif und erstarrt da, das Lokal versank, der Lärm, die Musik, nichts war mehr da, undeutliche, huschende Schatten waren es nur noch, aber deutlich, ungeheuer scharf und klar blieb ein Tisch, ein einziger Tisch und an dem Tisch ein junger Mensch, mit einer Narrenkappe schief auf dem Kopf, einen Arm um ein angetrunkenes Mädchen gelegt, glasige, dumme Augen, sehr schmale Lippen, und unter dem Tisch hellgelbe, auffallende, glänzend geputzte Ledergamaschen…

Ein Kellner stieß mich an. Ich ging wie betrunken weiter und blieb stehen. Mir war glühend heiß, aber ich zitterte am ganzen Körper. Meine Hände waren klatschnaß. Ich sah jetzt auch die andern Leute am Tisch. Ich hörte, daß sie im Chor mit herausfordernden Gesichtern irgendein Lied sangen und im Takt dazu mit den Biergläsern auf den Tisch klopften. Wieder stieß mich jemand an.»Versperren Sie doch nicht die Passage«, knurrte er.

Ich ging mechanisch weiter, ich fand die Waschräume, ich wusch mir die Hände, und ich merkte es erst, als ich mir die Haut fast verbrüht hatte. Dann ging ich zurück.

»Was hast du?«fragte Köster.

Ich konnte nicht antworten.»Ist dir schlecht?«fragte er.

Ich schüttelte den Kopf und sah nach dem Tisch nebenan, von wo das blonde Mädchen herüberschielte. Plötzlich wurde Köster blaß. Seine Augen verengten sich. Er beugte sich vor.

»Ja?«fragte er ganz leise.

»Ja«, erwiderte ich.

»Wo?«

Ich blickte in die Richtung.

Köster erhob sich langsam. Es war, als ob eine Schlange sich aufrichtete.»Achtung«, flüsterte ich.»Nicht hier, Otto!«

Er wehrte mit einer kurzen Handbewegung ab und ging langsam vorwärts. Ich hielt mich bereit, hinter ihm her zu stürzen. Eine Frau stülpte ihm eine grünrote Papiermütze auf und hängte sich an ihn. Sie fiel ab, ohne daß er sie berührt hätte, und starrte ihm nach. Er ging in einem flachen Bogen durch das Lokal und kehrte zurück.

»Nicht mehr da«, sagte er.

Ich stand auf und blickte durch den Saal. Köster hatte recht.

»Glaubst du, daß er mich erkannt hat?«fragte ich.

Köster zuckte die Achseln. Er bemerkte jetzt erst die Papiermütze auf seinem Kopf und streifte sie ab.»Ich verstehe das nicht«, sagte ich.»Ich bin doch höchstens ein, zwei Minuten im Waschraum gewesen.«

»Du warst über eine Viertelstunde weg.«

»Was?«Ich sah noch einmal zu dem Tisch hinüber.»Die andern sind auch weg. Da war noch ein Mädchen mit ihnen, das ist auch nicht mehr da. Wenn er mich erkannt hätte, wäre er doch bestimmt allein verschwunden.«

Köster winkte dem Kellner.»Gibt es hier noch einen zweiten Ausgang?«

»Ja, drüben, auf der andern Seite, nach der Hardenbergstraße.«

Köster zog ein Geldstück aus der Tasche und gab es dem Kellner.»Komm«, sagte er.

»Schade«, sagte das blonde Mädchen am Nebentisch und lächelte.»So ernste Kavaliere.«

Der Wind draußen schlug uns entgegen. Er schien eisig zu sein nach dem heißen Qualm des Cafes.»Geh nach Hause«, sagte Köster.

»Es waren mehrere«, erwiderte ich und stieg zu ihm ein.

Der Wagen schoß los. Wir kämmten rund um das Café sämtliche Straßen durch, immer weiter, aber wir sahen nichts. Endlich hielt Köster an.»Entwischt«, sagte er.»Aber das macht nichts. Wir werden ihn jetzt irgendwann kriegen.«

»Otto«, sagte ich.»Wir sollten es lassen.«

Er sah mich an.»Gottfried ist tot«, sagte ich und wunderte mich selbst darüber, was ich redete.»Er wird nicht wieder lebendig davon.«

Köster sah mich immer noch an.»Robby«, erwiderte er langsam,»ich weiß nicht mehr, wieviel Menschen ich getötet habe. Aber ich weiß noch, wie ich einen jungen Engländer abgeschossen habe. Er hatte eine Ladehemmung und konnte nichts mehr machen. Ich war mit meiner Maschine ein paar Meter hinter ihm und sah sein erschrockenes, kindliches Gesicht mit der Angst in den Augen ganz genau, es war sein erster Flug, das stellten wir nachher fest, und er war knapp achtzehn Jahre alt, und in dieses erschrockene, hilflose, hübsche Kindergesicht habe ich auf ein paar Meter Entfernung eine Garbe mit meinem Maschinengewehr gejagt, daß der Schädel platzte wie ein Hühnerei. Ich kannte den Jungen nicht, und er hatte mir nichts getan. Es hat damals länger gedauert als sonst, bis ich darüber weggekommen bin und bis ich mein Gewissen zugestampft hatte mit diesem verdammten: Krieg ist Krieg. Aber ich sage dir, wenn ich den, der Gottfried umgebracht hat, der ihn wie einen Hund niedergeschossen hat ohne Grund, nicht auch umbringe, dann war das mit dem Engländer ein furchtbares Verbrechen, verstehst du das?«

»Ja«, sagte ich.

»Und jetzt geh nach Hause. Ich muß sehen, daß es zu Ende kommt. Es ist wie eine Mauer. Ich kann nicht weiter, ehe sie nicht weg ist.«

»Ich gehe nicht nach Hause, Otto. Wenn es so ist, wollen wir zusammenbleiben.«

»Unsinn«, sagte er ungeduldig.»Ich kann dich nicht brauchen.«Er hob die Hand, als er sah, daß ich reden wollte.»Ich werde schon aufpassen! Ich werde ihn allein treffen, ohne die andern, ganz allein! Hab keine Angst.«

Er schob mich ungeduldig vom Sitz und raste sofort davon. Ich wußte, daß ihn nichts mehr aufhalten konnte. Ich wußte auch, weshalb er mich nicht mitgenommen hatte. Wegen Pat. Gottfried hätte er mitgenommen.

Ich ging zu Alfons. Er war der einzige, mit dem ich sprechen konnte. Ich wollte mit ihm beraten, ob wir etwas tun könnten. Aber Alfons war nicht da. Ein verschlafenes Mädchen sagte mir, er sei vor einer Stunde zu einer Versammlung gegangen. Ich setzte mich an einen Tisch, um zu warten.

88
{"b":"99811","o":1}