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Blumenthal thronte hinter seinem Schreibtisch und aß gerade einen Apfel. Er hörte auf zu essen und sah mich einen Augenblick an.

»Gut«, schnaubte er dann und aß weiter.

Ich wartete, bis er das Kerngehäuse in den Papierkorb warf.

»Sie sind also einverstanden?«fragte ich dann.

»Moment!«Er holte einen neuen Apfel aus der Schreibtischschublade.

»Wollen Sie auch einen?«

»Danke, nicht gerade jetzt…«

Er biß krachend hinein.»Viel Äpfel essen, Herr Lohkamp! Äpfel verlängern das Leben! Jeden Tag ein paar Äpfel – und Sie brauchen nie einen Arzt!«

»Auch nicht, wenn ich mir den Arm breche?«

Er grinste, warf das zweite Kerngehäuse weg und stand auf.»Sie brechen sich dann eben keinen Arm!«

»Das ist praktisch«, sagte ich und wartete ab, was jetzt kommen würde. Dieses Apfelgespräch war mir zu verdächtig.

Blumenthal holte eine Zigarrenkiste aus einem kleinen Schrank und bot sie mir an. Es waren die Coronas, die ich schon kannte.»Verlängern die auch das Leben?«fragte ich.

»Nein, die verkürzen es. Das gleicht sich dann aus mit den Äpfeln.«

Er blies eine Wolke Rauch aus und sah mich mit schiefem Kopf wie ein nachdenklicher Vogel von unten herauf an.»Ausgleichen, Herr Lohkamp, immer ausgleichen – das ist das ganze Geheimnis im Leben…«

»Wenn man's kann…«

Er blinzelte.»Ja, können, das ist das Geheimnis. Wir wissen zuviel und können zuwenig. Weil wir zuviel wissen.«

Er lachte.»Entschuldigen Sie – nach Tisch werde ich immer etwas philosophisch…«

»Das ist auch die beste Zeit«, sagte ich.»Also mit dem Cadillac sind wir dann auch ausgeglichen, nicht wahr?«

Er hob die Hand.»Sekunde…«

Ich senkte ergeben den Kopf. Blumenthal sah es und lachte.»Nicht, wie Sie meinen! Ich wollte Ihnen nur ein Kompliment machen. Überrumpelung von der Tür aus, mit offenen Karten!

Das war gut berechnet auf den alten Blumenthal. Wissen Sie, was ich erwartet habe?«-»Daß ich mit viertausendfünfhundert anfangen würde zu bieten…«

»Genau das! Aber es wäre Ihnen schlecht bekommen. Sie wollen doch mit sieben verkaufen, nicht wahr?«

Ich zuckte vorsichtigerweise die Achseln.»Warum gerade sieben?«

»Weil das damals Ihre erste Forderung bei mir war…«

»Sie haben ein glänzendes Gedächtnis«, sagte ich.

»Für Zahlen. Nur für Zahlen. Leider. Also um zum Schluß zu kommen: Sie können den Wagen für den Preis haben.«

Er hielt mir die Hand hin und ich schlug ein.»Gott sei Dank«, sagte ich aufatmend,»das erste Geschäft seit langer Zeit. Der Cadillac scheint uns Glück zu bringen.«

»Mir auch«, sagte Blumenthal.»Ich habe ja auch fünfhundert Mark dran verdient.«

»Das schon. Aber weshalb haben Sie ihn eigentlich so bald wieder verkauft? Gefällt er Ihnen nicht?«

»Einfacher Aberglaube«, erklärte Blumenthal.»Ich mache jedes Geschäft, bei dem ich verdiene…«

»Fabelhafter Aberglaube«, erwiderte ich.

Er wiegte den glänzenden Schädel.»Sie glauben es nicht – aber es stimmt. Damit mir nichts schiefgeht – bei anderen Sachen. Heute ein Geschäft auslassen, ist eine Herausforderung des Schicksals. Und das kann sich keiner mehr leisten.«

Um halb fünf Uhr nachmittags stellte Gottfried Lenz mit ausdrucksvollem Gesicht eine leere Ginflasche vor mich auf den Tisch.»Die möchte ich gerne von dir gefüllt haben, Baby! Kostenlos! Du erinnerst dich an unsere Wette?«

»Ich erinnere mich«, sagte ich,»aber du kommst zu früh.«

Gottfried hielt mir wortlos seine Uhr vor die Nase.

»Halb fünf«, sagte ich,»Sternwartezeit sogar wahrscheinlich. Verspäten kann sich jeder mal. Ich biete dir übrigens die Wette doppelt, zwei zu eins an…«

»Angenommen«, erklärte Gottfried feierlich.»Macht vier Flaschen Gratis-Gin für mich. So was nennt man Heldenmut auf verlorenem Posten. Ehrenvoll, Baby, aber falsch…«

»Abwarten…«

Ich war längst nicht so sicher, wie ich tat. Im Gegenteil, ich nahm schon ziemlich bestimmt an, daß der Bäcker nicht mehr kommen würde. Ich hätte ihn vormittags festhalten müssen. Er war zu unzuverlässig.

Als die Sirene von der Bettfedernfabrik gegenüber fünf Uhr tutete, stellte Gottfried schweigend drei weitere leere Ginflaschen vor mich auf den Tisch. Dann lehnte er sich ans Fenster und starrte mich an.

»Ich bin durstig«, sagte er nach einer Weile mit Betonung.

In diesem Augenblick hörte ich das unverkennbare Rasseln eines Fordmotors auf der Straße, und gleich darauf bog der Wagen des Bäckers in unsere Einfahrt ein.»Wenn du durstig bist, lieber Gottfried«, erwiderte ich mit großer Würde,»so lauf schnell, die beiden Flaschen Rum einkaufen, die ich mit meiner Wette gewonnen habe. Du darfst einen Gratisschluck daraus nehmen. Siehst du draußen den Bäckermeister? Psychologie, mein Junge! Und nun räume die leeren Ginflaschen hier weg! Nachher kannst du dann mit dem Taxi losfahren. Für das feinere Geschäft bist du noch zu jung. Servus, mein Sohn!«

Ich ging hinaus und erzählte dem Bäcker, daß der Wagen wahrscheinlich zu haben sein werde. Der Kunde verlange allerdings noch siebentausendfünfhundert Mark, aber wenn er Bargeld sehe, werde er schon auf siebentausend heruntergehen.

Der Bäcker hörte so zerstreut zu, daß ich stutzte.»Um sechs Uhr werde ich den Mann noch mal anrufen«, sagte ich schließlich.

»Um sechs?«Der Bäcker wachte aus seiner Abwesenheit auf.»Um sechs muß ich…«Er wandte sich mir plötzlich zu.»Wollen Sie mitgehen?«

»Wohin?«fragte ich erstaunt.

»Zu Ihrem Freund, dem Maler. Das Bild ist fertig.«

»Ach so, zu Ferdinand Grau…«

Er nickte.»Kommen Sie doch mit. Wir können dann nachher auch über den Wagen sprechen.«

Es schien ihm etwas daran zu liegen, nicht allein zu gehen. Mir dagegen lag ebensoviel daran, ihn nicht mehr allein zu lassen.»Gut«, sagte ich deshalb,»es ist ja ziemlich weit – wir fahren am besten gleich los.«

Ferdinand Grau sah schlecht aus. Sein Gesicht war graugrün, verschattet und verquollen. Er begrüßte uns an der Tür zum Atelier. Der Bäcker sah ihn kaum an. Er war merkwürdig unsicher und aufgeregt.»Wo ist es?«fragte er sofort.

Ferdinand zeigte mit der Hand zum Fenster. Das Bild lehnte dort auf einer Staffelei. Der Bäcker ging rasch hinein und blieb dann ohne Bewegung dicht vor dem Bilde stehen. Nach einer Weile nahm er den Hut ab. Er war so eilig gewesen, daß er das vorher ganz vergessen hatte.

Ferdinand und ich blieben an der Tür stehen.»Wie geht es, Ferdinand?«fragte ich.

Er machte eine vage Handbewegung.

»Ist was los?«-»Was soll los sein?«

»Du siehst schlecht aus…«

»Weiter nichts?«

»Nein«, sagte ich,»weiter nichts…«

Er legte mir seine große Hand auf die Schulter und lächelte mit einem Gesicht wie ein alter Bernhardiner.

Wir warteten noch eine Zeitlang. Dann gingen wir zu dem Bäcker hinüber. Ich war überrascht, als ich das Bild sah. Der Kopf war sehr gut geworden. Ferdinand hatte nach dem Foto von der Hochzeit und der zweiten, sehr verhärmten Aufnahme eine noch junge Frau gemalt, die mit ernsten, etwas ratlosen Augen vor sich hin schaute.

»Ja«, sagte der Bäcker, ohne sich umzudrehen,»das ist sie.«Er sagte das mehr für sich, und es schien mir, als wüßte er nicht einmal, daß er es sagte.

»Haben Sie genug Licht?«fragte Ferdinand.

Der Bäcker antwortete nicht.

Ferdinand ging heran, um die Staffelei etwas herumzurücken. Dann trat er zurück und nickte mir zu, mit in das kleine Zimmer neben dem Atelier zu kommen.»Das hätte ich nie gedacht«, sagte er verwundert,»die Rabattmaschine hat's erwischt! Er heult…«

»Einmal erwischt es jeden«, erwiderte ich.»Für den da ist es nur zu spät…«

»Zu spät«, sagte Ferdinand,»immer zu spät. Das ist nun mal so im Leben, Robby.«

Er ging langsam hin und her.»Wir wollen ihn ruhig eine Zeitlang da drüben für sich lassen. Könnten inzwischen eine Partie Schach spielen.«

»Du hast ein goldenes Gemüt«, sagte ich.

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