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Wegrennen vor den Amerikanern hieß näher zu den Russen rennen, und was die machen würden, konnte man sich ja denken. Die waren nicht umsonst von Moskau und Stalingrad her durch ihr verwüstetes Land gezogen.

Neubauer wischte sich den Schweiß aus den Augen. Er machte einige Schritte. Die Knie waren wacklig. Man mußte genauer nachdenken. Er tastete sich aus dem Stall heraus. Die Luft draußen war frisch. Er atmete tief; aber mit der Luft schien er auch das unregelmäßige Rollen vom Horizont einzuatmen. Es vibrierte in seinen Lungen und machte ihn wieder schwach. Sehr leicht, ohne Rülpsen, kotzte er gegen einen Baum in den Narzissen.»Das Bier«, sagte er.»Das Bier und der Steinhäger.

Bekommen mir nicht.«Er sah nach dem Eingang des Gartens. Alfred konnte ihn nicht sehen. Er stand noch eine Weile. Dann fühlte er, wie der Schweiß im Winde trocknete.

Langsam ging er zum Wagen zurück.

»Zum Puff, Alfred.«

»Wohin, Herr Obersturmbannführer?«

»Zum Puff!«schrie Neubauer plötzlich wütend.»Verstehst du kein Deutsch mehr?«

»Das Bordell ist geschlossen worden. Es ist jetzt ein Notlazarett.«

»Dann fahr zum Lager.«

Er stieg ein. Ins Lager – wohin sonst sollte er noch?

»Was halten Sie von der Lage, Weber?«

Weber blickte ihn gleichmütig an.»Ausgezeichnet.«

»Ausgezeichnet? Wirklich?«Neubauer kramte nach Zigarren; dann erinnerte er sich, daß Weber keine rauchte.»Ich habe leider keine Zigaretten hier. Hatte; eine Schachtel; sind verschwunden.

Weiß der Himmel, wohin ich sie verkramt habe.«

Er blickte unzufrieden auf das mit Holz verschalte Fenster. Das Glas war beim Bombardement zerbrochen, und neues war nicht zu bekommen. Er wußte nicht, daß seine Zigaretten während des Durcheinanders gestohlen worden waren und auf dem Umwege über den rothaarigen Schreiber und Lewinsky die Veteranen der Baracke 22 für zwei Tage mit Brot versorgt hatten. Zum Glück, waren seine geheimen Aufzeichnungen nicht fortgekommen – alle seine menschenfreundlichen Anweisungen, die dann von Weber und anderen falsch aufgefaßt worden waren. Er beobachtete Weber von der Seite. Der Lagerführer schien völlig ruhig zu sein, obschon er doch allerhand auf dem Kerbholz hatte. Da waren diese letzten Erhängungen – Es wurde Neubauer plötzlich wieder heiß. Er war gedeckt, doppelt sogar Trotzdem -»Was würden Sie machen, Weber?«sagte er herzlich,»wenn für eine gewisse Zeit, aus militärischen Gründen, Sie verstehen – nun also, wenn für eine kurze Periode von – von Abwarten, sagen wir, der Feind das Land besetzen würde, was«, fügte er hastig hinzu,»wie die Geschichte oft bewiesen hat, absolut keine Niederlage sein muß.«

Weber hatte ihm mit dem Schatten eines Lächelns zugehört.»Für jemand wie mich gibt es immer etwas zu tun«, erwiderte er sachlich.»Wir kommen schon wieder hoch – wenn auch unter anderem Namen. Meinetwegen als Kommunisten. Für einige Jahre wird es keine Nationalsozialisten mehr geben. Alle werden Demokraten sein. Das macht nichts. Ich werde wahrscheinlich irgendwo und irgendwann bei einer Polizei sein. Vielleicht mit falschen Papieren. Da geht die Arbeit dann weiter.«

Neubauer schmunzelte. Webers Sicherheit gab ihm seine eigene zurück. «Keine schlechte Idee.

Und ich? Was meinen Sie, was ich sein werde?«

»Das weiß ich nicht. Sie haben Familie, Obersturmbannführer. Da ist es nicht so leicht, zu wechseln und unterzutauchen.«

»Natürlich nicht.«Neubauers gute Laune war wieder verschwunden.»Wissen Sie, Weber, ich möchte mal einen Rundgang durchs Lager machen. Habe ich lange nicht getan.«

Als er in die Desinfektionsabteilung kam, wußte das Kleine Lager bereits, was bevorstand. Die meisten Waffen waren von Werner und Lewinsky wieder ins Arbeitslager geschafft worden; nur 509 hatte seinen Revolver behalten. Er hatte das durchgesetzt und ihn unter seinem Bett versteckt.

Eine Viertelstunde später kam aus dem Hospital über die Latrine die erstaunliche Nachricht, die Inspektion sei keine Strafangelegenheit; die Baracken würden nicht genau inspiziert; Neubauer sei im Gegenteil geradezu wohl» wollend.

Der neue Blockälteste war nervös. Er schrie herum und kommandierte.»Schrei nicht so«, sagte Berger.»Es wird dadurch nicht besser.«

»Was?«

»Genau das!«

»Ich schreie, wann ich will. Antreten! 'raustreten!«Der Blockälteste rannte die Baracke entlang.

Die Leute, die gehen konnten, sammelten sich.»Das sind nicht alle!

Da sind mehr!«

»Sollen die Toten auch antreten?«

»Halt die Schnauze, 'raus! Die Bettlägerigen 'raus!«

»Hör zu. Es ist nichts von einer Inspektion bekannt. Es ist keine befohlen worden. Du brauchst die Baracke nicht im voraus antreten zu lassen.«

Der Blockälteste schwitzte.»Ich mache das, wie ich will. Ich bin Blockältester. Wo ist der, der hier immer mit euch 'rumsitzt? Mit dir und dir.«Er zeigte auf Berger und Bucher.

Der Blockälteste öffnete die Tür zur Baracke, um nachzusehen. Gerade das wollte Berger verhindern. 509 war versteckt; er sollte Weber nicht noch einmal begegnen.

»Er ist nicht hier.«Berger stellte sich in die Tür.

»Was? Geh aus dem Wege!«

»Er ist nicht hier«, sagte Berger, ohne aus dem Wege zu gehen.»Fertig.«

Der Blockälteste starrte ihn an. Bucher und Sulzbacher stellten sich neben Berger.

»Was soll das heißen?«fragte der Blockälteste.

»Er ist nicht hier«, sagte Bucher.»Willst du wissen, wie Handke gestorben ist?«

»Seid ihr verrückt?«

Rosen und Ahasver waren dazugekommen.»Wißt ihr, daß ich euch allen die Knochen brechen kann?«fragte der Blockälteste.

»Horch!«sagte Ahasver und streckte seinen knochigen Zeigefinger in die Richtung des Horizontes aus.»Schon wieder näher.«

»Er ist nicht durch das Bombardement umgekommen«, erklärte Bucher.

»Wir haben Handke nicht das Genick gebrochen. Nicht wir«, sagte Sulzbacher.»Hast du nie von einer Lagerfeme gehört?«

Der Blockälteste trat einen Schritt zurück. Er wußte, was alles schon mit Verrätern und Denunzianten geschehen war.»Ihr hier gehört dazu?«fragte er ungläubig.

»Sei vernünftig«, sagte Berger ruhig.»Und mach dich und uns nicht verrückt. Wer will jetzt noch auf die Liste derer kommen, mit denen abgerechnet wird?«

»Wer hat denn davon geredet?«Der Blockälteste begann zu gestikulieren.»Wenn mir keiner was gesagt hat, kann ich doch nicht wissen, was gespielt wird. Was ist denn los? Auf mich hat sich bis jetzt jeder verlassen können.«»Dann ist es ja gut.«»Bolte kommt«, sagte Bucher.

»Schön, schön.«Der Blockälteste zerrte seine Hosen hoch.»Ich passe schon auf. Ihr könnt euch auf mich verlassen. Ich bin einer von euch.«

Verdammt, dachte Neubauer, warum sind die Bomben nicht hierher gefallen? Dann wäre alles aufs beste erledigt. Immer passiert das Falsche!

»Das ist das Schonungslager?«sagte er.

»Das Schonungslager«, wiederholte Weber.

»Na ja.«Neubauer hob die Schultern.»Schließlich – wir lassen sie nicht arbeiten.«

»Nein.«Weber war belustigt. Die Vorstellung, diese Gespenster arbeiten zu lassen, war absurd.

»Die Blockade«, sagte Neubauer.»Nicht unsere Schuld – die Feinde -«, er wandte sich Weber zu.»Es stinkt hier wie in einem Affenkasten.«

»Dysenterie«, erwiderte Weber.»Es ist ja eigentlich ein Erholungsplatz für Kranke -«

»Kranke, richtig!«Neubauer nahm sofort den Faden auf.»Kranke, Dysenterie, daher stinkt es natürlich. Würde ja im Hospital ebenso sein.«Er blickte sich unentschlossen um.»Können die Leute nicht mal baden?«

»Die Ansteckungsgefahr ist zu groß. Wir haben diesen Teil des Lagers deshalb ziemlich abgeschlossen gehalten. Die Badeeinrichtungen sind auf der anderen Seite.«

Neubauer war bei dem Wort Ansteckung unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten.

»Haben wir genug Wäsche, damit die Kerle frische kriegen können? Die alte muß dann wohl verbrannt werden, wie?«

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