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III

Der Mercedes schoß ins Tal hinunter. Obersturmbannführer Neubauer saß neben dem Chauffeur. Er war ein schwerer Mann mit dem schwammigen Gesicht des Biertrinkers. Die weißen Handschuhe an seinen breiten Händen leuchteten in der Sonne. Er bemerkte es und zog sie aus.

Selma, dachte er, Freya! Das Haus! Niemand hatte am Telefon geantwortet.»Los!«sagte er.

»Los, Alfred! Fahr zu!«

In der Vorstadt spürten sie den Brandgeruch. Er wurde beißender und dichter, je weiter sie kamen. Am Neuen Markt sahen sie den ersten Bombenkrater. Die Sparkasse war zusammengestürzt und brannte. Feuerwehr war ausgefahren und versuchte die Nachbarhäuser zu retten; aber die Wasserstrahlen schienen viel zu dünn zu sein, um Wirkung haben zu können. Der Krater auf dem Platz stank nach Schwefel und Säuren. Neubauers Magen krampfte sich zusammen.»Fahr durch die Hakenstraße, Alfred«, sagte er.»Hier kommen wir nicht weiter.«

Der Chauffeur wendete. Der Wagen fuhr in weitem Bogen durch die südliche Stadt.

Häuser mit kleinen Gärten lagen hier friedlich in der Sonne. Der Wind stand nördlich, und die Luft war klar. Dann, als sie den Fluß kreuzten, kam der Brandgeruch wieder, bis er in den Straßen lag wie schwerer Nebel im Herbst.

Neubauer zerrte an seinem Schnurrbart, der kurz gestutzt war wie der des Führers.

Früher hatte er ihn hochgezwirbelt getragen wie Wilhelm II. Dieser Krampf im Magen! Selma!

Freya! Das schöne Haus! Der ganze Bauch, die Brust, alles war Magen.

Sie mußten noch zweimal einen Umweg machen. Einmal war ein Möbelgeschäft getroffen worden.

Die Vorderseite des Hauses war weggerissen; ein Teil der Möbel stand noch in den Etagen, der Rest lag über die Straße verstreut auf dem Schutt und brannte. Das zweitemal war es ein Friseurladen, vor dem herausgeschleuderte Wachsbüsten zu Fratzen zerschmolzen.

Endlich bog der Wagen in die Liebigstraße ein. Neubauer lehnte sich hinaus. Da war sein Haus!

Der Vorgarten! Da waren der Terrakottazwerg und der Dachshund aus rotem Porzellan auf dem Rasen. Unbeschädigt! Alle Fenster heil! Der Krampf im Magen löste sich. Er stieg die Stufen empor und öffnete die Tür. Glück gehabt, dachte er. Verdammtes Schwein gehabt! Gehörte sich auch so! Warum sollte gerade ihm was passieren?

Er hängte seine Kappe an den Huthaken aus Hirschgeweihen und ging in das Wohnzimmer.

»Selma! Freya! Wo seid ihr?«

Niemand antwortete. Neubauer stampfte zum Fenster und riß es auf. Im Garten hinter dem Haus arbeiteten zwei russische Gefangene. Sie sahen kurz auf und gruben eifrig weiter.

»Heda! Bolschewiken!«

Einer der Russen hörte auf zu arbeiten.»Wo ist meine Familie?«schrie Neubauer.

Der Mann erwiderte etwas auf russisch.

»Laß deine Schweinesprache, Idiot! Du verstehst deutsch! Oder soll ich hinauskommen und es dir beibringen?«

Der Russe starrte ihn an.»Ihre Frau ist im Keller«, sagte jemand hinter Neubauer. Er drehte sich um. Es war das Dienstmädchen.»Im Keller? So, natürlich. Und wo waren Sie?«

»Draußen, einen Augenblick nur!«Das Mädchen stand in der Tür, das Gesicht gerötet, mit glänzenden Augen, als käme es von einer Hochzeit.»Hundert Tote schon, sagen sie«, plapperte es los.»Am Bahnhof, und dann im Kupferwerk, und in der Kirche -«

»Ruhe!«unterbrach Neubauer sie.»Wer hat das gesagt?«

»Draußen, die Leute -«

»Wer?«Neubauer trat einen Schritt vor.»Staatsfeindliche Reden! Wer hat das gesagt?«

Das Mädchen wich zurück.»Draußen – ich nicht – jemand – alle -«

»Verräter! Lumpen!«Neubauer tobte. Er konnte die aufgespeicherte Spannung endlich auslassen.

»Bande! Schweine! Meckerer! Und Sie? Was haben Sie draußen zu tun?«

»Ich – nichts -«

»Weggerannt vom Dienst, was? Weitertratschen von Lügen und Greuelnachrichten!

Wir werden das schon noch herausfinden! Durchgegriffen muß hier werden!

Verdammt scharf durchgegriffen! Marsch, in die Küche!«

Das Mädchen lief hinaus. Neubauer schnaufte und schloß das Fenster. Nichts passiert, dachte er.

Im Keller sind sie, natürlich. Hätte ich mir gleich denken können.

Er holte eine Zigarre hervor und zündete sie an. Dann zog er seinen Rock glatt, wölbte die Brust, sah in den Spiegel und ging hinunter.

Seine Frau und seine Tochter saßen dicht nebeneinander auf einer Chaiselongue, die an der Wand stand. Über ihnen hing in breitem Goldrahmen ein mehrfarbiges Bild des Führers.

Der Keller war 1940 als Luftschutzkeller hergerichtet worden. Neubauer hatte ihn damals nur aus Repräsentationsrücksichten bauen lassen; es gehörte zum Patriotismus, in diesen Dingen mit gutem Beispiel voranzugehen. Niemand hatte je im Ernst daran gedacht, daß Deutschland bombardiert werden könne. Die Erklärung Görings, man möge ihn fortan Meier nennen, wenn feindliche Flugzeuge so etwas im Angesicht der Luftwaffe fertig brächten, war jedem ehrlichen Deutschen genug gewesen. Leider war es anders gekommen. Ein typisches Beispiel für die Heimtücke der Plutokraten und Juden: sich schwächer zu stellen, als sie waren,»Bruno!«Selma Neubauer erhob sich und begann zu schluchzen.

Sie war blond und fett und trug einen Morgenrock aus lachsfarbener französischer Seide mit Spitzen. Neubauer hatte ihn ihr 1941 von einem Urlaub aus Paris mitgebracht. Ihre Backen zitterten, und ihr zu kleiner Mund kaute an Worten.

»Es ist vorbei, Selma. Beruhige dich.«

»Vorbei -«sie kaute weiter, als wären die Worte zu große Königsberger Klopse.

»Für wie – wie lange?«

»Für immer. Sie sind weg. Der Angriff ist abgeschlagen. Sie kommen nicht wieder.«

Selma Neubauer hielt ihren Morgenrock über der Brust fest.»Wer sagt das, Bruno?

Woher weißt du das?«

»Wir haben mindestens die Hälfte abgeschossen. Die werden sich hüten, wiederzukommen.«

»Woher weißt du das?«

»Ich weiß es. Sie haben uns diesmal überrascht. Das nächstemal werden wir ganz anders auf dem Posten sein.«

Die Frau hörte auf zu kauen.»Das ist alles?«fragte sie.»Das ist alles, was du uns sagen kannst?«

Neubauer wußte, daß es nichts war.»Ist es nicht genug?«fragte er deshalb barsch zurück.

Seine Frau starrte ihn an. Ihre Augen waren wässerig und hellblau.»Nein!«kreischte sie plötzlich.

»Das ist nicht genug! Das ist nichts als Quatsch! Es heißt gar nichts!

Was haben wir nicht alles schon gehört? Erst erzählt man uns, wir wären so stark, daß nie ein feindlicher Flieger nach Deutschland hereinkäme, und auf einmal kommen sie doch. Dann heißt es, sie kämen nicht wieder, wir schössen sie von nun an alle an den Grenzen ab, und statt dessen kommen zehnmal so viele zurück, und der Alarm geht andauernd. Und jetzt haben sie uns schließlich hier auch erwischt, und da kommst du großartig und sagst, sie würden nicht wiederkommen, wir würden sie schon kriegen! Und das soll ein vernünftiger Mensch glauben?«

»Selma!«Neubauer warf unwillkürlich einen Blick auf das Bild des Führers. Dann sprang er zur Tür und warf sie zu.»Verdammt! Nimm dich zusammen!«zischte er.

»Willst du uns alle ins Unglück bringen? Bist du verrückt geworden, so zu schreien?«

Er stand dicht vor ihr. Über ihren dicken Schultern blickte der Führer weiter kühn in die Landschaft von Berchtesgaden. Neubauer hatte einen Augenblick fast geglaubt, er hätte alles mit angehört.

Selma sah den Führer nicht.»Verrückt?«kreischte sie.»Wer ist verrückt? Ich nicht.

Wir hatten ein wunderbares Leben vor dem Kriege – und jetzt? Jetzt? Ich möchte wissen, wer da verrückt ist?«

Neubauer ergriff mit beiden Händen ihre Arme und schüttelte sie so, daß ihr Kopf hin- und herflog und sie nicht mehr schreien konnte. Ihr Haar löste sich, ein paar Kämme fielen heraus, sie verschluckte sich und hustete. Er ließ sie frei. Sie fiel wie ein Sack auf die Chaiselongue.»Was ist mit ihr los?«fragte er seine Tochter.

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