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»Quatsch! Er flieht nicht.«

Die Flak schwieg. In der Stille hörte man Kommandos und Laufen.»Sollen wir nicht lieber in der Baracke verschwinden?«fragte Lebenthal.

»Richtig.«Berger stand auf.»Alles von C in die Stube zurück. Goldstein, sieh zu, daß eure Leute sich weit genug hinten verstecken. Handke kommt sicher jeden Augenblick.«

»Sie haben die SS bestimmt nicht erwischt«, sagte Lebenthal.»Die Bande kommt immer durch.

Wahrscheinlich sind ein paar hundert von uns in Stücke zerrissen.«

»Vielleicht kommen die Amerikaner schon«, sagte jemand im Nebel.

»Vielleicht war das schon Artillerie!«

Einen Moment schwiegen alle.»Halt die Schnauze«, sagte Lebenthal dann ärgerlich.

»Beruf es nicht.«

»Los 'rein, wer noch kriechen kann. Es gibt sicher einen Appell.«Sie krochen in die Baracke zurück. Es gab wieder fast eine Panik. Viele hatten plötzlich Angst, daß andere, die schneller waren, ihnen ihre alten Plätze wegnehmen würden, besonders die, die ein Stück Bettbrett besaßen.

Sie schrieen mit heiseren, kraftlosen Stimmen und fielen und drängten vorwärts. Die Baracke war immer noch überfüllt, und Platz war für weniger als ein Drittel da. Ein Teil blieb trotz aller Rufe draußen liegen; er war durch die Erregung zu erschöpft, um noch zu kriechen. Die Panik hatte sie mit den anderen hinausgetrieben; jetzt aber konnten sie nicht mehr weiter. Die Veteranen zerrten einige bis zur Baracke; im Nebel sahen sie, daß zwei tot waren. Sie bluteten.

Schüsse hatten sie getötet.

»Vorsicht!«Sie hörten kräftigere Schritte als die der Muselmänner durch das weiße Wogen.

Die Schritte kamen näher und hielten vor der Baracke. Lewinsky blickte hinein.

»Berger«, flüsterte er.»Wo ist 509?«

»In zwanzig. Was ist los?«

»Komm mal 'raus.«

Berger ging zur Tür.

»509 braucht keine Angst mehr zu haben«, sagte Lewinsky rasch und abgerissen.

»Handke ist tot.«

»Tot? Durch eine Bombe?«

»Nein. Tot.«

»Wie ist das passiert? Hat die SS ihn im Nebel erwischt?«

»Wir haben ihn erwischt. Das ist genug, oder nicht? Die Hauptsache ist, daß er erledigt ist. Er war gefährlich. Der Nebel war günstig.«Lewinsky schwieg einen Moment.»Du wirst ihn ja sehen im Krematorium.«

»Wenn der Schuß zu nahe war, wird man Pulverspuren und Brandwunden sehen.«

»Es war kein Schuß. Zwei andere Bonzen sind auch noch erledigt worden im Nebel und Durcheinander. Zwei der Schlimmsten. Der von unserer Baracke ist dabei. Er hat zwei Leute verraten.«

Das Entwarnungssignal kam. Der Nebel wogte und zerriß. Es war, als hätten die Explosionen ihn zerfetzt. Ein Stück Blau fing an in ihm zu leuchten, dann wurde er silbern, und die Sonne dahinter füllte ihn mit weißem Glanz. Wie dunkle Schafotte begannen die MG-Türme daraus aufzusteigen.

Jemand kam.»Vorsicht«, flüsterte Berger.»Komm herein, Lewinsky! Versteck dich.«

Sie schlossen die Tür hinter sich.»Es ist nur einer«, sagte Lewinsky.»Keine Gefahr.

Sie kommen schon seit einer Woche nicht mehr einzeln. Haben zu viel Angst.«

Die Tür wurde behutsam geöffnet.»Ist Lewinsky da?«fragte jemand.

»Was willst du?«

»Komm rasch. Ich habe es hier.«

Lewinsky verschwand im Nebel.

Berger sah sich um.»Wo ist Lebenthal?«

»Zu zwanzig gegangen. Er will es 509 sagen.«

Lewinsky kam zurück.»Hast du gehört, was drüben passiert ist?«fragte Berger.

»Ja. Komm heraus.«

»Was ist?«

Lewinsky lächelte langsam. Sein Gesicht war naß vom Nebel und entfaltete»ich zu Zähnen, Augen und breiter, bebender Nase.»Ein Stück der SS-Kaserne ist eingestürzt«, sagte er.»Tote und Verwundete. Weiß noch nicht, wieviel. Baracke I hat Verluste. Das Waffendepot und die Kammer sind beschädigt worden.«Er blickte vorsichtig in den Nebel.»Wir müssen etwas verstecken.

Vielleicht nur bis heute abend. Wir haben etwas erwischt. Unsere Leute hatten wenig Zeit. Nur so lange, bis die SS wiederkam.«

»Gib her«, sagte Berger.

Sie stellten sich dicht zusammen. Lewinsky gab Berger ein schweres Paket.»Aus dem Waffendepot«, flüsterte er.»Versteck es in deiner Ecke. Ich habe noch ein zweites.

Wir werden es in das Loch unter dem Bett von 509 stecken. Wer schläft da jetzt?«

»Ahasver, Karel und Lebenthal.«

»Gut.«Lewinsky schnaufte.»Sie haben rasch gearbeitet. Sofort nachdem die Bombe die Wand des Depots eindrückte. Die SS war nicht da. Als sie kam, waren unsere Leute längst weg. Wir haben noch mehr erwischt. Das wird in der Typhusabteilung versteckt. Verteiltes Risiko, verstehst du? Werners Grundsatz.«

»Wird die SS nicht merken, daß was fehlt?«

»Vielleicht. Deshalb lassen wir nichts im Arbeitslager. Wir haben nicht zuviel genommen, und alles ist mächtig durcheinander. Vielleicht merken sie nichts. Wir haben versucht, das Depot anzuzünden.«

»Ihr habt verdammt gut gearbeitet«, sagte Berger.

Lewinsky nickte.»Ein glücklicher Tag. Komm, laß es unauffällig verstecken. Hier vermutet keiner was. Es wird heller. Wir konnten nicht noch mehr fassen, weil die SS rasch wiederkam. Sie glaubte, die Zäune sind kaputt. Schoß auf alles, was ihr in den Weg kam. Erwartete Flucht. Jetzt sind sie ruhiger. Haben festgestellt, daß der Stacheldraht in Ordnung ist. Was für ein Glück, daß die Arbeitskommandos heute morgen zurückgehalten worden sind; Fluchtgefahr wegen Nebel.

Konnten so unsere besten Leute 'rangehen lassen. Wahrscheinlich gibt's jetzt bald Appell. Komm, zeig mir, wo wir die Sachen lassen können.«

Eine Stunde später war die Sonne da. Der Himmel wurde weich und blau, und die letzten Nebel verschwanden. Feucht und jung und mit einem Schimmer von Grün lagen die Felder mit den Baumreihen da wie nach einem Bade.

Nachmittags hörte Block 22, daß siebenundzwanzig Häftlinge während und nach dem Bombardement erschossen worden seien; zwölf waren in Baracke I getötet, achtundzwanzig durch Splitter verletzt. Zehn SS-Leute waren tot; darunter Birkhäuser von der Gestapo. Handke war tot; ebenso zwei Mann von der Baracke Lewinskys.

509 kam herüber.»Was ist mit der Quittung, die du Handke über die Schweizer Franken gegeben hast?«fragte Berger.»Wenn man sie nun unter seinen Sachen findet? Was, wenn die Gestapo sie in die Hände kriegt? Wir haben nicht daran gedacht!«

»Doch«, sagte 509. Er zog den Briefbogen aus der Tasche.»Lewinsky wußte es. Und er hat daran gedacht. Er hat Handkes Sachen an sich gebracht. Ein zuverlässiger Kapo hat sie für ihn gestohlen, sofort nachdem Handke erledigt wurde.«

»Gut. Zerreiß sie! Lewinsky war verdammt tüchtig heute.«Berger atmete auf.»Ich hoffe, jetzt haben wir endlich etwas Ruhe.«

»Vielleicht. Es kommt darauf an, wer der neue Blockälteste wird.«

Ein Zug Schwalben erschien plötzlich über dem Lager. Sie kreisten lange, hoch, in großen Spiralen und kamen dann tiefer und schössen kreischend über die polnischen Baracken. Ihre blauen, glänzenden Flügel berührten fast das Dach.

»Das ist das erstemal, daß ich Vögel im Lager sehe«, sagte Ahasver.

»Sie suchen Plätze zum Nisten«, erklärte Bucher.

»Hier?«Lebenthal meckerte.

»Sie haben die Kirchtürme nicht mehr.«

Der Rauch über der Stadt hatte sich etwas geklärt.»Tatsächlich«, sagte Sulzbacher.

»Der letzte Turm ist eingestürzt.«

»Hier!«Lebenthal blickte kopfschüttelnd auf die Schwalben, die jetzt mit schrillen Rufen die Baracke umkreisten.»Und dazu kommen sie von Afrika zurück! Hierher!«

»Sie haben nirgendwo Platz in der Stadt, solange es brennt.«

Sie blickten hinunter.»Wie das aussieht!«flüsterte Rosen.

»Es muß noch eine Menge anderer Städte so brennen«, sagte Ahasver.

»Größere und wichtigere. Wie müssen die erst aussehen?«

»Armes Deutschland«, sagte jemand, der in der Nähe hockte.

»Was?«

»Armes Deutschland.«

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