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Lebenthal wußte, daß der viel kräftigere Bethke ihm den Zahn einfach wegnehmen würde, wenn er ihn sähe. Er hätte nichts dagegen machen können. Wenn er sich beschwert hätte, würde man ihn aufgehängt haben.»Schön, dann nicht«, sagte er ruhig.»Andere Leute sind nicht so schwierig.«

»Andere Leute! Quatschkopf! Finde erst mal welche.«

»Ich weiß welche. Gerade jetzt war einer da.«

»So? Den möchte ich sehen!«Bethke blickte verächtlich um sich. Er wußte, daß der Zahn nur für jemand von Nutzen sein konnte, der Beziehungen nach draußen hatte.

»Du hast meinen Reflektanten vor einer Minute selbst gesehen«, sagte Lebenthal. Es war eine Lüge.

Bethke stutzte.»Wer? Der Küchenbulle?«

Lebenthal hob die Schultern.»Es muß doch einen Grund haben, daß ich gerade hier bin. Vielleicht will jemand ein Geschenk für einen anderen kaufen und braucht dazu Geld. Gold ist draußen sehr gesucht. Essen hat er ja genug zum Tauschen.«

»Du Gauner!«sagte Bethke wütend.»Du Erzgauner!«

Lebenthal hob einmal die schweren Lider und klappte sie wieder nieder.»Etwas, was es im Lager nicht gibt«, fuhr er ungerührt fort.»Etwas Seidenes, zum Beispiel.«

Bethke erstickte fast.»Wieviel?«krächzte er.

»Fünfundsiebzig«, erklärte Lebenthal fest.»Ein Vorzugspreis.«Er hatte dreißig verlangen wollen.

Bethke sah ihn an.»Weißt du, daß ein Wort von mir dich an den Galgen bringen kann?«

»Sicher. Wenn du es beweisen kannst. Und was hast du davon? Nichts. Du willst den Zahn haben.

Also reden wir geschäftlich.«

Bethke schwieg einen Augenblick.»Kein Geld«, sagte er dann.»Essen.«

Lebenthal erwiderte nichts.»Ein Hase«, sagte Bethke.»Ein toter Hase. Überfahren. Wie ist das?«

»Was für ein Hase? Hund oder Katze?«

»Ein Hase, sage ich dir. Ich habe ihn selbst überfahren.«

»Hund oder Katze?«

Sie starrten sich eine Zeitlang an. Lebenthal blinkte nicht.»Hund«, sagte Bethke.

»Schäferhund?«

»Schäferhund! Warum kein Elefant? Mittlere Größe. Wie ein Terrier. Fett.«

Lebenthal verriet nichts. Der Hund war Fleisch. Ein riesiger Glücksfall.»Wir können ihn nicht kochen«, sagte er.»Nicht einmal abziehen. Wir haben nichts dazu.«

»Ich kann ihn abgezogen liefern.«

Bethke wurde eifriger. Er wußte, daß der Küchenbulle ihn im Essenbesorgen bei Ludwig leicht schlagen konnte. Er mußte deshalb etwas von außerhalb des Lagers bekommen, um konkurrieren zu können. Eine kunstseidene Unterhose, dachte er. Das würde wirken und ihm selber auch noch Vergnügen machen.»Gut, ich koche ihn dir sogar«, sagte er.

»Trotzdem schwierig. Wir müssen ein Messer dazu haben.«

»Ein Messer? Wozu ein Messer?«

»Wir haben keine Messer bei uns. Wir müssen ihn zerschneiden. Der Küchenbulle hat mir -«

»Gut, gut«, unterbrach Bethke ihn ungeduldig.»Also ein Messer dazu.«Die Unterhose sollte blau sein. Oder lila. Lila war besser. Da war ein Geschäft nahe dem Depot, das hatte so was. Der Kapo würde ihn hingehen lassen. Den Zahn würde er dem Dentisten nebenan verkaufen.

»Meinetwegen auch noch ein Messer. Damit ist es aber genug.«

Lebenthal sah, daß er im Moment nicht viel mehr herauskriegen würde.»Ein Brot natürlich noch«, sagte er.»Das gehört ja dazu. Wann?«

»Morgen abend. Wenn es dunkel ist. Hinter der Latrine. Bring den Zahn mit.«

»Ist es ein junger Terrier?«

»Wie soll ich das wissen? Bist du verrückt? So mittel. Warum?«

»Er muß sonst länger kochen.«

Bethke sah aus, als wollte er Lebenthal ins Gesicht springen.»Sonst noch was?«fragte er leise.

»Preiselbeersoße? Kaviar?«

»Das Brot?«

»Wer hat was von Brot geredet?«

»Der Küchenbulle -«

»Halt die Schnauze. Ich werde sehen -«Bethke hatte es plötzlich eilig. Er wollte Ludwig auf die Unterhose scharfmachen. Seinetwegen konnte der Küchenbulle ihn füttern; aber wenn er die Unterhose in Reserve hatte, so würde das den Ausschlag geben. Ludwig war eitel. Ein Messer konnte er stehlen. Brot war auch nicht so wichtig.

Und der Terrier war nur ein Dachshund.»Morgen abend also«, sagte er.»Warte hinter der Latrine.«

Lebenthal ging zurück. Er glaubte noch nicht ganz an sein Glück. Ein Hase, würde er in der Baracke sagen. Nicht, weil es ein Hund war, das schreckte keinen – es hatte Leute gegeben, die versucht hatten, Fleisch von Leichen zu essen -, sondern weil es zu den Freuden des Geschäfts gehörte, zu übertreiben. Außerdem hatte er Lohmann gern gehabt; deshalb sollte etwas Außerordentliches gegen seinen Zahn getauscht werden.

Das Messer konnte man im Lager leicht verkaufen; das gab neues Geld zum Handeln.

Das Geschäft war erledigt. Der Abend war neblig geworden, und weiße Schwaden zogen durch das Lager. Lebenthal schlich durch das Dunkel zurück. Er trug den Hund und das Brot unter seiner Jacke versteckt.

Ein Stück vor der Baracke bemerkte er einen Schatten, der mitten über die Straße schwankte. Er sah sofort, daß es keiner von den gewöhnlichen Sträflingen war; die bewegten sich nicht so. Einen Augenblick später erkannte er den Blockältesten von 22.

Handke ging, als sei er auf einem Schiri. Lebenthal wußte sofort, was es bedeutete.

Handke hatte seinen Tag; er mußte irgendwoher Alkohol bekommen haben. Es war nicht mehr möglich, unbemerkt an ihm vorüber in die Baracke zu kommen, um den Hund zu verstecken und die anderen zu warnen. Lebenthal glitt deshalb leise hinter die Rückwand der Baracke und versteckte sich im Schatten.

Westhof war der erste, dem Handke begegnete.»Heda, du!«schrie er.

Westhof blieb stehen.

»Weshalb bist du nicht in der Baracke?«

»Ich bin auf dem Wege zur Latrine.«

»Selber Latrine. Komm hierher!«

Westhof trat näher. Er sah im Nebel Handkes Gesicht nur undeutlich.

»Wie heißt du?«

»Westhof.«

Handke schwankte.»Du heißt nicht Westhof. Du heißt stinkender Saujude. Wie heißt du?«

»Ich bin kein Jude.«

»Was?«Handke schlug ihm ins Gesicht.»Von welchem Block bist du?«

»Zweiundzwanzig.«

»Auch das noch! Von meinem eigenen! Lump! Welche Stube?«

»Stube D!«

»Hinlegen!«

Westhof warf sich nicht hin. Er blieb stehen. Handke trat einen Schritt näher. Westhof sah jetzt sein Gesicht und wollte weglaufen. Handke trat ihm gegen das Schienbein. Er war als Blockältester gut genährt und viel stärker als jedermann im Kleinen Lager.

Westhof fiel, und Handke trat ihm gegen die Brust.»Hinlegen, Judenschwein!«

Westhof legte sich flach auf den Boden.

»Stube D 'raustreten!«schrie Handke.

Die Skelette kamen heraus. Sie wußten bereits, was geschehen würde. Einer von ihnen würde verprügelt werden. Handkes Sauftage endeten immer so.»Sind das alle?«lallte Handke.

»Stubendienst!«

»Jawohl!«meldete Berger.

Handke starrte durch das neblige Dunkel auf die Reihen. Bucher und 509 standen zwischen den anderen. Sie konnten mühselig wieder gehen und stehen. Ahasver fehlte.

Er war mit dem Schäferhund in der Baracke geblieben. Wenn Handke gefragt hätte, hätte Berger ihn als tot gemeldet. Aber Handke war betrunken und hätte auch nüchtern nicht genau Bescheid gewußt. Er ging ungern in die Baracken, aus Angst vor Dysenterie und Typhus.

»Wer sonst will hier noch Gehorsam verweigern?«Handkes Stimme wurde dicker.

»Laus – Lausejuden!«

Niemand antwortete.»Schteht schtramm! Wie Kultur – Kulturmenschen!«

Sie standen stramm. Handke glotzte sie eine Weile an, dann drehte er sich um und begann Westhof, der noch auf dem Boden lag, mit Füßen zu treten. Westhof hielt seinen Kopf mit den Armen geschützt. Handke trat ihn eine Zeitlang. Es war still, und man hörte nichts anderes als das dumpfe Aufschlagen der Stiefel Handkes gegen die Rippen Westhofs. 509 spürte, wie Bucher sich neben ihm regte. Er packte sein Handgelenk und hielt ihn fest. Buchers Hand zuckte. 509 ließ nicht los. Handke trat stumpfsinnig weiter. Endlich wurde er müde und sprang einige Male auf Westhofs Rücken. Westhof rührte sich nicht. Handke kam zurück. Sein Gesicht war naß von Schweiß.

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