Mombars’ Schiff war absichtlich mit den härtesten Edelhölzern Westindiens gebaut worden und hätte jeden feindlichen Treffer weggesteckt, aber niemand hatte an die Möglichkeit gedacht, daß man auf so kleinem Raum 22 sechsunddreißigpfündige Kanonenkugeln abbekommen konnte, die aus nur gut hundert Metern Entfernung abgefeuert worden waren.
Die Planken zersplitterten, die dicken Spanten brachen, das zweite Deck brach und riß die schweren Kanonen mit sich. Durch das riesige Leck strömte sofort das Wasser ein, wodurch die Ira de Dios in die für ein Segelschiff gefährlichste Schlagseite geriet: an der Leeseite des Bugs.
Dutzende Männer fielen von den Masten und Wanten auf das Deck, und wer nicht stürzte, konnte sich nur an irgend etwas klammern, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden.
Das Schiff bebte, die Mannschaft an der Steuerbordseite rutschte nach Backbord, wo sie über die Reling fiel, und als ein Dutzend Kanonen losgingen, feuerten die der einen Seite in die Luft, die der anderen ins Wasser.
Der noch immer ungläubige Todesengel rappelte sich auf und klammerte sich an das nutzlos gewordene Steuerrad, um zuzusehen, wie etwa dreißig Männer aus großen, tiefen Schanzgräben im Sand auftauchten und das grobe Segeltuch entfernten, unter dem sie ihre Kanonen versteckt hatten. Sie luden sie jetzt mit so atemberaubender Geschwindigkeit, daß Mombars kaum Zeit blieb, seine Männer vor einer neuen Breitseite zu warnen, als diese auch schon mit einer Rauchwolke einschlug.
Die zweite Breitseite war noch verheerender als die erste, denn sie traf ein bereits tödlich verwundetes Schiff und schlug eine neue Bresche, die den Hauptmast unmittelbar unter Deck zersplitterte, so daß dieser bei seinem Sturz das Freibord und alle, die sich darauf befanden, fünf Meter hoch in die Luft schleuderte.
Es war ein Massaker.
An Bord der Ira de Dios zeigten alle Götter die Größe ihres Zorns. Während die meisten Besatzungsmitglieder sich an irgend etwas klammerten, entschloß sich der Rest, ins Wasser zu springen und zur Küste zu schwimmen.
Jetzt spuckten die Kanonen kleine Säcke mit Pistolenkugeln aus, die einen tödlichen Regen über die an Deck gebliebenen Männer ausschütteten, und unter Jammern, Todesschreien und Flüchen streckte die gefürchtetste Besatzung der Karibik ihre Waffen, hob die Hände und flehte um Gnade.
Ächzend und knirschend wie eine sterbende Bestie streckte die Ira de Dios ihre Steuerbordseite in die Höhe und begann langsam zu sinken.
Sebastián Heredia, der seinen Blick nicht von dem Riesen mit der langen weißen Mähne gelassen hatte, sah, daß dieser sich bis zur Tür seiner Kajüte vorkämpfte und sich darin einsperrte, entschlossen, lieber mit seinem Schiff unterzugehen als in feindliche Hände zu fallen.
Niemals sah man ihn lebend wieder.
Die Wilden, die am Strand angelangt waren, wurden von den Männern der Jacare sofort in Ketten gelegt, und wer auch nur den geringsten Widerstand zeigte, bekam eine Kugel in den Kopf.
Eine Stunde nach dem Kampfgetümmel waren nur noch knapp dreißig Gefangene übrig, davon einige, die mit dem Tod rangen, und das Wrack eines Schiffs, das sanft auf dem sandigen Grund der Bucht ruhte, wobei die Masten und ein kleiner Teil des Achterdecks noch über Wasser ragten.
Sie blieben noch drei weitere Wochen auf der kleinen Insel und widmeten sich ganz der Aufgabe, die Ira de Dios zu zerlegen und von ihren unendlichen Schätzen zu »befreien«. Freudestrahlend sah die Mannschaft der Jacare dabei zu, wie sich diese Schätze allmählich auf dem Strand aufhäuften.
Vier der Wilden ertranken im Inneren des Wracks, das einmal ihr Schiff gewesen war, nachdem man sie gezwungen hatte, nach den Silberbarren, die als Ballast dienten, zu tauchen. Wie Zafiro Burman so schön sagte: »Sie haben sie dorthin gelegt, also sollen sie gefälligst ihr Leben riskieren, um sie zu holen.«
Da man den Gefangenen nur die Wahl gelassen hatte, entweder aufgeknüpft zu werden oder zu tauchen, hatten sie keinen Augenblick gezögert, sich für die zweite Möglichkeit zu entscheiden, um so mehr, da Sebastián ihnen feierlich versprochen hatte, daß er die Überlebenden auf der Insel mit Wasser, Lebensmitteln und Werkzeug zurücklassen würde, mit dem sie die Beiboote der Ira de Dios reparieren konnten, die während der Schlacht nicht in Stücke geschossen worden waren.
Wären die Männer von Kapitän Jack die Verlierer gewesen, hätte sie ein wesentlich schlimmeres Schicksal erwartet. Als die Taucher am fünften Tag die bereits verwesende Leiche ihres langjährigen und fast als »lebendige Gottheit« verehrten Kapitäns entdeckten, ergaben sie sich ihrem Los. Das nackte Leben zu retten lohnte allein die ganzen Mühen.
Auf diese Weise stapelten sich schließlich in den Laderäumen der Jacare 314 Silberbarren, 22 schwere Boiler, neun schöne Türgriffe und erlesenes Tafelgeschirr aus purem Gold, dazu eine riesige Kiste voller Perlen und Smaragde, die allein als Beute ausgereicht hätte.
Natürlich jubelten die Männer vor Begeisterung.
Jede Nacht legten sie die Gefangenen in Ketten, und mit Ausnahme der Wachen becherte, sang und würfelte die gesamte Mannschaft. Unablässig redete man davon, was man tun würde, sobald man wieder in Port-Royal an Land ging.
»An eines müßt ihr stets denken«, ermahnte sie Sebastián. »Wer den Schnabel nicht halten kann und herumerzählt, daß wir die Ira de Dios versenkt und geplündert haben, den lasse ich kielholen. Mombars war ein verdammter Hurensohn, den sie alle gehaßt haben, aber viele werden es nicht hinnehmen, daß man ungestraft einen Piraten beraubt, denn das nächste Mal könnten sie selbst dran sein.«
Die Gesetze der Bruderschaft der Küste von Tortuga – die in gewisser Weise auf Jamaika noch in Kraft waren – sahen ein Verbot, sich gegenseitig zu plündern, zwar nicht ausdrücklich vor, das hieß aber nicht, daß ein Mitglied des »Gremiums« ein anderes einfach massakrieren und berauben konnte.
Man schwor sich also eisernes Schweigen, und nachdem man drei Tage das Ende eines tobenden Sturms abgewartet hatte, der die kleine Insel mit wahren Sturzbächen überschüttete, ließ der Margariteno die Anker lichten und wieder Südkurs steuern.
Als sie eine Woche später wieder in der stets gastfreundlichen Bucht von Port-Royal vor Anker gingen, hatten Laurent de Graaf und weitere vier Schiffe den Hafen verlassen. Andere hatten ihre Stelle eingenommen, darunter eine wegen ihrer Feuerkraft besonders auffallende stolze portugiesische Brigg, die bis dahin noch niemand in der Karibik gesehen hatte.
Sie trug den merkwürdigen Namen Botafumeiro.
Als es dunkel wurde, ging Sebastian Heredia mit seinem gesamten Anteil an der gerecht verteilten Beute an Land und schlug den Weg zur kleinen Villa in Caballos Blancos ein, die er eine gute Stunde später erreichte.
Sein Vater und seine Schwester wollten ihren Augen kaum trauen, als sie die Schätze sahen, die Sebastian vor ihnen ausbreitete.
»Gütiger Gott! Was willst du denn damit alles anstellen?« wollte schließlich eine geradezu betäubte Celeste wissen.
»Zunächst einmal die Negrita komplett wieder aufbauen und dann die Rumbrennerei von Caballos Blancos kaufen. Dann sehen wir weiter.«
»Und was passiert mit dem Schiff?«
Sebastian zuckte mit den Schultern.
»Das habe ich noch nicht entschieden, denn die meisten meiner Leute wollen sich zur Ruhe setzen.«
»Mir kommt das seltsam vor, daß eine ganze Verbrecherbande plötzlich ehrbar werden will«, murmelte ein ungläubiger Miguel Heredia. »Ich verwette meinen Schnurrbart darauf, daß sie binnen eines Jahres ihren Anteil verschleudert haben.«
»Die wollen nicht ehrbare Leute werden«, stellte sein Sohn mit gewissem Humor klar. »Die haben einfach nur eingesehen, daß sie so eine Beute nie wieder kriegen werden, und sie sind es leid, auf der Suche nach einer armseligen Prise weiter über die Meere zu irren. Du weißt es besser als jeder andere, was für ein schweres Leben das ist.«