»Was hat sie dich noch gefragt?«
»Ob ich gern eine andere Arbeit hätte, aber natürlich wollte sie mich über das Schiff und den alten Kapitän aushorchen.«
»Also hat sie den Haken geschluckt.«
»Mit allem, was dazugehört. Jetzt kommt es darauf an, daß Mombars ihn ebenfalls schluckt.«
»Und wenn er das tut, aber sich dazu entschließt, an Bord zu stürmen und sich die Routenbücher mit Gewalt zu holen?«
»Mitten in der Bucht von Port-Royal?« fragte der Panamese ungläubig zurück. »Vergiß es! Das traut sich nicht einmal der Todesengel. Dieser Ort ist für alle Piraten, Korsaren, Freibeuter und Bukaniere der Welt heilig. Die einzige echte heilige Stätte, die es auf Erden noch gibt.«
»Schon merkwürdig, nicht?« bemerkte der Kapitän. »Hier versammeln sich so viele Verbrecher wie nirgendwo sonst, und doch ist das hier der einzige Ort, in dem ein ehrbarer Mensch sich sicher fühlen kann.«
Lucas Castano ließ ein rumseliges Lachen hören.
»Du kannst sicher sein, daß es in dieser wunderbaren Stadt zur Zeit keinen einzigen ehrlichen Menschen gibt. Der würde uns schließlich alle ausrauben. Ich leg mich schlafen. Der Köder ist ausgelegt, jetzt müssen wir Geduld haben.«
»Geduld« war ein Wort, das im Vokabular eines kaum Vierundzwanzigjährigen nicht vorgesehen war, und Sebastián Heredia machte da keine Ausnahme, auch wenn die Zeit an Bord der Jacare ihn gelehrt hatte, Stunden und Tage damit zu verbringen, den Horizont nach einer Beute abzusuchen.
Piraten und Korsaren waren im Prinzip nur Fischer, die Schiffe angelten und ständig auf ihre Opfer lauerten, doch in diesem Fall wußte der Margariteno schon im voraus, daß das Opfer ein harter Brocken sein würde. Nicht nur, weil es sich um eines der mächtigsten Schiffe der Karibik handelte, sondern weil der Kapitän als bestialischster aller Verbrecher galt.
Mombars – seinen richtigen Namen kannte niemand – hatte den größten Teil seines Lebens damit verbracht, den Spaniern die Eingeweide herauszureißen, nur weil es ihm Spaß machte oder weil ihn die unausgewogenen Berichte eines erleuchteten Geistlichen so verwirrt hatten, bis aus ihm ein blutrünstiger Fanatiker geworden war.
Als der junge Mombars Bartolome de Las Casas las, hätte er wissen sollen, daß dieser, bevor er sich zum Schutzpatron der Indios und zum unseligen Urheber der zu trauriger Berühmtheit gelangten »Schwarzen Legende« wandelte, der größte Sklavenhändler auf Hispaniola gewesen war und maßgeblich am ungerechten und grausamen Kommendengesetz beteiligt war, das sein guter Freund und Gouverneur Ovando eingeführt hatte. Hätte Mombars begriffen, daß man die Berichte von Las Casas als tätige Reue eines Missetäters auffassen mußte, dann hätte er vielleicht seinen blutigen Kreuzzug nie begonnen.
Der ehrgeizige Bartolome de Las Casas, ein Spieler, Schürzenjäger, Säufer und Raufbold, war einer der unangenehmsten Zeitgenossen Westindiens, bis zu dem unseligen Tag, an dem er an einem strengen Gottesdienst teilnahm, in dem man ihm öffentlich seine Laster und Ausschweifungen vorhielt. In diesem Augenblick beschloß er, sein Leben zu ändern, die Kutte anzuziehen und es den vielen verführerischen Frauen gleichzutun, die nach der Heirat die größten Puritanerinnen werden.
Wenige Menschen haben im Lauf der Geschichte so vielen Menschen Schaden zugefügt wie Bartolome de Las Casas: Durch seine Schuld wurden Millionen von Indios versklavt, und durch seine Schuld wurde eine große Anzahl Menschen, die ihn bei der Durchsetzung dieser Sklaverei niemals unterstützt hatten, in der Geschichte als schlimme Unterdrücker abgestempelt.
Das alles konnte jedoch das kränkliche Hirn eines leicht zu beeindruckenden jungen Franzosen nicht wissen. Vielmehr kam Mombars zu der Überzeugung, daß alle Spanier Verbrecher sein mußten. Daher schwor er sich, jeden Mann, der im Nachbarland geboren worden war, auf grausamste Weise zu vernichten.
Im Prinzip war dieser Haß wohl nur der Firnis, der andere, wesentlich tiefere Haßgefühle verdeckte. Im Lauf der Jahre war es dem sadistischen Mombars nämlich herzlich egal geworden, ob der Mann, dem er die Eingeweide herausriß, nun Spanier, Engländer oder Holländer war.
Mombars war der uneingeschränkte Bewunderer und Schüler seines Landsmannes L’Olonnois, dessen größtes Vergnügen darin bestand, seinem Opfer das Herz auszureißen und es vor den Augen des Sterbenden zu verschlingen. Zusammen bildeten die beiden das makabre Duo, das die Seeräuberei in den schlimmsten Verruf brachte.
Die erfolgreichsten Korsaren der Antillen waren zweifellos die Engländer Drake, Raleigh und Morgan, die meistgehaßten Piraten die Franzosen Mombars und L’Olonnois. Allerdings waren auch die zwei am meisten »bewunderten« Seeräuber, Vent en Panne und Chevalier de Grammont, ebenfalls Franzosen.
Von diesen großen Namen war inzwischen nur noch der blutrünstige Todesengel am Leben, vielleicht auch noch der elegante Chevalier de Grammont, der sich wie Mombars angeblich unwiderruflich in sein Winterquartier zurückgezogen hatte.
Kein Wunder also, daß Sebastián das Herz bis zum Hals schlug, als ihn am folgenden Samstag abend die Rothaarige in ihre Hütte führte und dort ein Riese auf ihn wartete, der ihn mit dämonischen Augen, die sich unter buschigen Augenbrauen verbargen, fixierte.
»Also du bist der Navigator der Jacare?« fragte er mit kellertiefer Stimme. »Ich bin Mombars, der Todesengel.«
Er sprach sehr langsam, im Pidgin-Englisch, das alle einfachen Seeleute der Antillen verwendeten: eine bunte Mischung aus englischen, französischen, spanischen, portugiesischen und holländischen Wörtern, wobei Mombars aber auch immer wieder Wörter aus dem karibischen Dialekt einstreute, den die Mehrheit seiner indianischen Besatzung sprach.
Der Margariteno wandte sich sofort der Rothaarigen zu, als wolle er ihr seine Empörung darüber ins Gesicht schleudern, daß sie ihm eine so schmutzige Falle gestellt hatte:
»Warum hast du mir das angetan? Ich hab dir doch gesagt, daß ich das Schiff nicht wechseln will.«
Der haarige Gorilla, den die Last der Jahre gebeugt hatte und dessen weiße Löwenmähne zu winzigen Ringellocken geflochten war, was ihm ein wirklich bizarres Aussehen gab, beschränkte sich darauf, seine riesigen nackten Füße auf den Tisch zu legen, während der Korbstuhl, in dem er saß, fast unter seinem Gewicht zusammenbrach. Mit der gleichen tiefen Stimme fuhr er fort:
»Ich will ja nur mit dir reden. Ich werde dich schon nicht fressen.« Er sah ihn so an, als könne ihn niemand anlügen, ohne daß er es bemerkte. »Bist du ein Spanier?«
»Margariteno der dritten Generation. Ist schon lange her, daß ich alles aufgegeben habe, was mit Spanien zu tun hat.«
»Renegat?«
»Einfach aufgegeben. Punktum.«
»Na schön«, versetzte der Todesengel, als genügte ihm diese Erklärung. »Du hast Spanien also aufgegeben. Warum hängst du so an diesem alten Säufer Jacare Jack?«
»Weil er immer gerecht gewesen ist, gut bezahlt und ein großartiger Kapitän ist.«
»Ich bin auch ein gerechter Mann, biete dir das Zwanzigfache dessen, was er dir bezahlt, und als guter Kapitän gelte ich auch. Was ist der Unterschied?«
»Sein Schiff ist sicherer.«
»Woher weißt du das?«
Sebastian machte nur eine vielsagende Geste.
»Ich weiß es eben!«
»Verstehe!« murmelte der andere. »Ist das wegen dieser berühmten Routenbücher? Sind die so wichtig?«
Sebastián hatte am Fußende des riesigen Betts der Rothaarigen Platz genommen, die sich diskret nach draußen an den Strand verdrückt hatte, als ginge sie das alles nichts an. Er nickte entschlossen.
»Ich habe viel von deinem Schiff gehört. Von seiner gewaltigen Feuerkraft und seinen märchenhaften Schätzen, aber ich garantiere dir, nicht mit allem Gold Perus könntest du bezahlen, was der Alte hat.«
»Du übertreibst.«
»Keineswegs! Wie viele Schiffe voller Schätze ruhen auf dem Grund der Karibik…? Dutzende? Vielleicht Hunderte? Mit den Routenbüchern des Kapitäns wären die meisten von ihnen niemals untergegangen.«