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»Bis du sicher?«

»So sicher, wie ich hier bin. Und so sicher, wie ich in zwei Jahren die Bücher auswendig kann, wie heute der Alte.« Er beugte sich vor. »Dann werde ich dir von Nutzen sein. Heute, ohne diese Routenbücher, wird dein Schiff auf Grund laufen, und folglich wirst du mir die Gedärme herausreißen. Wozu dienen mir zehntausend Pfund, wenn mir keine Zeit bleibt, sie auszugeben?«

Mombars nahm die Füße vom Tisch, stützte sich mit den Ellenbogen darauf und fuhr sich mit beiden Händen durch die weiße Mähne, als könne er damit die Gedanken vertreiben, die ihm durch den Kopf gingen.

Er schien viel zu müde oder zu alt, um das Piratenleben wieder aufzunehmen. In seinem gelblichen Gesicht waren tiefe Falten zu sehen, und der mächtige Rumpf wurde schon schlaff, doch noch immer flößte allein seine Anwesenheit Furcht ein, nicht nur, weil er so wild aussah, sondern vor allem seines Rufes wegen. Dieser eilte ihm nicht unbedingt voraus, sondern umgab ihn wie ein böser Heiligenschein.

Und Mombars, der Todesengel, strömte mit jeder Pore seines Körpers Gewalt aus.

»Es fällt mir schwer, aber ich glaube dir«, murmelte er schließlich. »Niemand, der bei klarem Verstand ist, schlägt zehntausend Pfund aus, wenn er nicht sehr triftige Gründe dafür hat, und deine scheinen triftig zu sein.« Er sah ihn an: »Und was machen wir jetzt?«

»In Cumaná gibt es einen Navigator, Martin Prieto. Vielleicht…« begann Sebastian schüchtern, brach aber angesichts der unwirschen Geste seines Gegenübers sofort ab.

»Hör auf! Wer denkt an Martin Prieto? Ich weiß, daß alle Kapitäne einen Arm dafür hergeben würden, um auf ihn zählen zu können, aber dieser Spanier ist seinem König so verdammt ergeben, daß er in der Lage wäre, ein Piratenschiff auf Grund zu setzen, nur damit es eines weniger gäbe. Reden wir von dir.« Er musterte ihn aufmerksam. »Wenn du die Routenbücher des alten Jacare Jack hättest, würdest du dann mein Angebot annehmen?«

»Mit dem Archiv des Alten? Natürlich! Wie ich dir doch schon sagte, wenn man weiß, wie man die Bücher lesen muß, kommt man mit verbundenen Augen überall hin. Und der Kapitän hat mir gezeigt, wie das geht.«

»In diesem Fall«, befand der Riese und legte seine riesigen nackten Füße wieder auf den Tisch, »müssen wir sie uns eben holen… Oder nicht?«

Jetzt dachte Sebastián über das nach, was er eben gehört hatte, dann stand er auf, ging zur Tür und betrachtete die Rothaarige, deren Silhouette sich gegen den rötlichen aufgehenden Mond abzeichnete.

Ohne sich umzudrehen, erwiderte er:

»Glaub nicht, daß ich daran nicht auch schon gedacht habe.« Seine Stimme klang so dünn, daß sein Gegenüber die Ohren spitzen mußte. »Eine Million Mal!« beharrte er. »Aber wie?« Jetzt wandte er sich erneut um und sah ihn an. »Wie?«

»Eine Möglichkeit muß es doch geben.«

»Ich kenne keine«, entgegnete der Margariteno. »Der Kapitän bewahrt alles in einer Kiste auf, die er binnen Sekunden ins Meer werfen kann. Und wenn die Bücher ins Wasser fallen, verläuft die Tinte, und alles ist verloren.« Er zuckte mit den Schultern, als wolle er seine Ohnmacht einräumen. »Ihm ist das egal, denn er hat die Bücher im Kopf. Aber ich noch nicht. Tut mir leid, aber so ist es!«

»Wir werden einen Weg finden, ihn zu überraschen!« rief der Franzose irritiert aus. »Er wird nicht ständig auf dieser verdammten Kiste sitzen.«

»In Port-Royal schon. Solange wir im Hafen sind, verläßt er seine Kajüte kaum und schließt sich dort ein, weil er niemandem vertraut. Auf offener See oder im Quartier sieht das anders aus, doch dann kann ich nichts machen, wie du verstehen wirst. Ich bin allein!«

»Niemand würde dir helfen?«

»Wer? Und wobei? Eine Rebellion anzuzetteln? Und warum? Um den Kapitän zu wechseln? Sie sind mit dem zufrieden, den sie haben.« Er winkte ab. »Nein! Wie ich gesagt habe. Man kann nichts tun.« Er machte einen zaghaften Versuch, sich nach draußen zu dem Mädchen zu begeben, doch zwei aus der Dunkelheit auftauchende Wilde versperrten ihm drohend den Weg und bedeuteten ihm, in die Hütte zurückzukehren. Er gehorchte und sah Mombars an, der in der Zwischenzeit keinen Mucks gemacht hatte. »Was soll das?« rief er aus. »Wirst du mir jetzt die Gedärme herausreißen, nur weil ich dir die Wahrheit gesagt habe? Ich wäre der erste, der sich diesen Schatz holen würde, denn ich gehöre zu den wenigen, die damit etwas anfangen können, aber was nicht geht, geht nicht.«

»Sei ruhig und laß mich nachdenken!« grunzte der menschliche Gorilla, dem das Hirn zu rauchen schien. »Wo ist euer Quartier?«

»Wir haben zwei: eins in den Jardines de la Reina für kurze Aufenthalte und das andere in den südlichen Grenadinen, wo wir den Sommer verbringen.«

»Wann werdet ihr euch in eins der beiden zurückziehen?«

»Ich denke, in ein paar Tagen, denn dem Alten steht Port-Royal bis hierher. Wahrscheinlich werden wir zu den Jardines de la Reina segeln, um das Schiff unterhalb der Wasserlinie zu reinigen und damit sich die Besatzung vom Suff und den Huren erholen kann.«

»Wie lange werdet ihr dort bleiben?«

»Höchstens zwei Wochen!«

»Setz dich!«

Sein autoritärer Ton duldete wie üblich keinen Widerspruch, daher setzte sich Sebastian in den klapprigen Stuhl am anderen Ende des Tisches.

»Was nun?« fragte er mißmutig.

»Wir müssen nachdenken. Und zwei Köpfen fällt mehr ein als einem allein.«

»Und worüber willst du nachdenken?«

»Wie wir deinem Kapitän das Spielzeug abnehmen.«

»Aha!«

»Sei nicht so pessimistisch«, tadelte ihn der Todesengel, der verblüfft, irritiert oder in seinem Ego verletzt schien, nur weil jemand so offen an seinem Erfolg zweifelte. »Du hast gesagt, daß er in dem Quartier und auf See nicht mehr so wachsam ist, stimmt’s?«

»Natürlich. In dieser Zeit kann ich die Dokumente studieren, wann immer ich will, solange ich keine Kopien mache.«

»Gut! Das ist die Gelegenheit, sie sich anzueignen.«

Sebastián sah ihn wie einen Geisteskranken an.

»Und was mache ich dann? Soll ich mit einer Kiste auf den Schultern über die Wellen laufen oder mich auf einer Insel verstecken, die so kahl ist, daß sogar die Kaninchen Sonnenschirme tragen?«

»Wie ist die Insel?«

»Welche?«

»Die im Jardin de la Reina.«

»Nur eine Sandbank mit einer tiefen Bucht.«

»Ihre maximale Höhe?«

»Über Meeresspiegel? Etwa zehn Meter. Aber der Jacare reicht das, denn wenn sie ihre Masten kappt, ist sie nicht höher als die Dünen, und niemand, der in der Umgebung segelt, würde vermuten, daß sich an einem solchen Ort ein Schiff verbirgt.«

»Er war schon immer ein schlauer Fuchs, dieser verdammte Schotte!« rief Mombars aus. »Wirklich verdammt gerissen! Aber ich denke, diesmal können wir ihn reinlegen.« Er beugte sich vor und legte seine schwere Pranke auf den Unterarm des Margariteno. »Hör mal!« fügte er mit seiner rauhen, jetzt etwas aufgeregt klingenden Stimme hinzu. »Mir fällt da ein Plan ein, der funktionieren könnte.«

»Ich kann nicht glauben, daß jemand ein so hohes Risiko eingeht, nur um sich eine Handvoll Papiere zu holen«, sagte Celeste mit ungewöhnlichem Ernst. »Und ich mache mir Sorgen, daß du in deine eigene Falle tappst.«

Die Geschwister aßen zusammen mit ihrem Vater unter einer schattigen westindischen Kastanie, die das stolze Kap beherrschte, zu Mittag, zur einen Seite das kristallklare blaue Meer, zur anderen die Ruinen der alten Villa von Kapitän Bardinet.

Die zahlreichen Arbeiter – fast alles Sklaven –, die mit dem Abriß beschäftigt waren, nutzten die heißen Stunden der Siesta, um sich im nahen Meer zu erfrischen. Fröhlich planschten, spielten und tollten sie im Wasser.

Allein die Tatsache, daß sie jetzt kein Zuckerrohr mehr schneiden mußten, sondern ein Haus abreißen konnten, eine wesentlich angenehmere Arbeit, schien Grund genug für ihre Begeisterung zu sein. Mit gewisser Bewunderung schaute Sebastian sie an, dann wandte er sich seiner Schwester zu, um ihr mit liebevoller Geduld zu antworten:

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