»Daran habe ich noch nicht gedacht.«
»Das solltest du aber, denn das werden die Männer als erstes wissen wollen«, ermahnte ihn der Panamese. »Viele an Bord sind abergläubisch. Und jetzt sollten wir uns aus dem Staub machen, denn hier sind wir in Gefahr.«
Als sie ins Boot stiegen, ergriff Celeste eine Fackel und deutete mit dem Kopf auf die Kutsche, deren Räder das Meer umspülte.
»Denk an dein Versprechen!« wandte sie sich an ihren Bruder.
»Wenn’s dir Spaß macht…«
»Du weißt ja nicht wie…!«
Bedächtig ging sie auf die Kutsche zu und setzte sie in Brand, bis die Flammen heftig loderten.
Anschließend kletterte sie in das Boot, machte es sich auf dem Achtersteven bequem und betrachtete den riesigen Scheiterhaufen, dessen Flammenschein sich in der stillen Bucht spiegelte. Die Rappen, die sich wieder etwas erholt hatten, galoppierten hin und her, während sie erschreckt oder vielleicht auch glücklich darüber wieherten, daß sie diesen schweren Sarg, an den sie viele Jahre lang gespannt waren, nie wieder über die staubigen und steinigen Wege würden ziehen müssen.
Als die Schaluppe schließlich an der Jacare anlegte, war von der verhaßten Kutsche nichts weiter übrig als ein Haufen rauchender Asche.
Don Cayetano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza musterte mit strengem Blick den Mann, der am anderen Ende der riesigen Mahagonitafel Platz genommen hatte, und nach einer kalkulierten Pause begann er mit tadelnder Stimme zu sprechen:
»In den Sümpfen des Orinoco-Deltas wimmelt es im Augenblick von über fünfhundert entlaufenen Sklaven, die, wenn ich richtig informiert bin, Euch gehören. Jetzt fügen sie unseren Truppen unzählige Verluste zu.« Er räusperte sich und nahm eine Prise Schnupftabak aus einem schweren goldenen Kästchen. »Und Ihr wißt sehr gut, daß die strengen Vorschriften es den Mitgliedern der Casa ausdrücklich verbieten, mit Sklaven zu handeln…«Er machte eine neuerliche Pause. »Oder wußtet Ihr es vielleicht nicht?«
»Es war mir bekannt.«
»Dann dürfte Euch auch klar sein, daß dieser schwere Verstoß allein genügt hätte, Eure brillante Karriere zu ruinieren.« Seine Exzellenz Don Cayetano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza stieß einen tiefen Seufzer aus, als könne er das, was er nun hinzufügen mußte, gar nicht fassen, und eigentlich konnte er es wirklich nicht. »Doch als wäre dies alles noch nicht genug, kommt Ihr heute zu mir, um zu beichten, daß man Euch über zweitausend Perlen bester Qualität gestohlen hat, die Ihr in Eurer Dummheit in Eurem eigenen Haus aufbewahrt habt. Das erscheint mir nun wirklich unerhört.«
»Ich schwöre Euch, daß ich sie dort sicherer glaubte.«
»Ihr seht ja, wie sicher sie dort waren, wo Ihr es auch noch Eurer Geliebten erzählt habt.«
»Emiliana wußte nichts davon.«
»Ihre Tochter offensichtlich schon, was um so schändlicher ist, da diese Tatsache eine in jeder Hinsicht verabscheuungswürdige Beziehung zwischen einem reifen Mann und einem Kind nahelegt.«
»Celeste ist kein Kind mehr«, protestierte der andere. »Seit Ihr sie das letzte Mal gesehen habt…«
»Sagt lieber nichts, Don Hernando!« rief sein Gegenüber empört aus. »Sagt lieber nichts! Was Ihr getan habt, ist unverzeihlich. Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste: Das Schlimmste ist, daß Ihr den guten Namen der Casa de Contratación in den Schmutz gezogen habt. Gütiger Gott!« Don Caye-tano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza warf einen langen Blick auf das riesige Bildnis von Monsignore Rodrigo de Fonseca, der über das strenge Gemach wachte. »Was würde unser Gründer sagen, wenn er sähe, wie tief wir gesunken sind…? Und was wird man in Sevilla sagen, wenn die Flotte dort eintrifft und man feststellt, daß keine einzige Perle dabei ist, die auch nur eine elende Dublone wert ist?«
Schweigen war die Antwort, denn Don Hernando Pedrárias Gotarredona wußte auf keine einzige Frage eine Antwort und war so beschämt und niedergeschlagen, daß er fast in Tränen auszubrechen schien.
»Viele Irrtümer haben wir im Laufe der Jahre begangen!« fuhr schließlich Seine Exzellenz fort. »Leider viele, auch wenn ich felsenfest daran glaube, daß die meisten ohne böse Absicht geschahen. Aber daß einer unserer Beamten nicht nur des Sklavenhandels und der Verführung Minderjähriger anzuklagen, sondern darüber hinaus auch noch ein unfähiger Einfaltspinsel ist, das ist die Höhe. O Herr!« rief er aus und hob die Augen gen Himmel. »Ein Glück, daß Euer Vater, den ich so bewundert habe, das nicht mehr miterleben muß.«
»Ich bin hier, um für meine Taten Rede und Antwort zu stehen und öffentlich die Verantwortung dafür zu übernehmen, Exzellenz«, murmelte Don Hernando Pedrárias schließlich fast tonlos. »Was noch kann ich tun?«
»Verantwortung?« wiederholte sein Vorgesetzter mit knirschenden Zähnen und rang um Fassung. »Was hilft es mir, daß Ihr öffentlich Verantwortung übernehmt? Damit gießt Ihr nur mehr Öl ins Feuer und macht den Skandal noch größer, ohne daß wir unser Ansehen zurückerhalten, geschweige denn unsere Perlen.«
Der hochgewachsene, hagere, ja asketisch wirkende Mann, der geradewegs einem Gemälde El Grecos entstiegen zu sein schien, erhob sich, ging zum Fenster und blickte lange Zeit auf den ruhigen, dunklen Fluß hinaus, der nicht weit von hier in die kristallklare Karibische See mündete.
Schließlich und ohne sich zu dem Mann umzudrehen, der unentwegt auf seine Stiefelspitzen starrte, wies er mit einer leichten Kopfbewegung auf die massive Festung, die sich in der Ferne abzeichnete.
»Meine Pflicht wäre es, Euch für den Rest Eures Lebens in den tiefsten Kerker der Festung San Antonio werfen zu lassen, und ich gestehe, daß dies mein sehnlichster Wunsch ist, weil Ihr in mir nur Abscheu und Widerwillen erweckt.« Er blickte aus dem Fenster, bis ein schwerer Pelikan, der sich kopfüber ins Wasser gestürzt hatte, mit einem dicken Fisch im Schnabel wieder auftauchte und auf drollige Weise den Hals hin und her schüttelte, um den Fisch hinunterzuwürgen, ohne ihn dabei zu verlieren, und schließlich fügte er im gleichen Tonfall hinzu: »Dennoch ist es meine Pflicht, die Interessen der Casa vor alle anderen Überlegungen zu stellen. Im Augenblick verlangen es die Interessen der Casa, daß alle Welt erfährt, daß dieser Kapitän Jacare Jack und seine gesamte Besatzung schnell und streng bestraft worden sind. Aus diesem Grund werde ich Euch eine Gnadenfrist gewähren.«
Er kehrte zu seinem Sessel zurück und richtete seine bohrenden grauen Augen drohend auf den rötlichen schütteren Bart des wieder Hoffnung schöpfenden Don Hernando Pedrárias:
»Kehrt zurück nach Margarita. Versetzt alle Eure Habe und rüstet auf eigene Kosten ein Schiff aus, mit dem Ihr diese Elenden bis ans Ende der Welt verfolgen könnt. Wenn Ihr binnen Jahresfrist mit ihren an den Masten baumelnden Köpfen zurückkehrt, werdet Ihr begnadigt.« Wieder nahm er eine kleine Prise Schnupftabak. »Falls nicht, werden Euch meine eigenen Schiffe verfolgen, um mit Eurem Kopf zurückzukehren. Ist das klar?«
»Völlig klar, Exzellenz!«
»Dann macht Euch auf den Weg und denkt immer daran: Spätestens in einem Jahr möchte ich vor diesem Fenster Köpfe sehen, und ich versichere Euch, daß es mich wenig kümmert, ob Eurer dabei ist oder nicht.«
Der nunmehr Ex-Gesandte der Casa de Contratación von Sevilla auf der Insel Margarita verließ tief beschämt das Gemach und ging langsam am Fluß entlang die anderthalb Meilen vom Palast Seiner Exzellenz Don Cayetano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza in Cumaná zum Hafen zurück, ohne sich um die Sonne zu kümmern, die mörderisch auf sein Haupt brannte. Erst gegen Abend hatte er seine Sprache teilweise wiedergefunden und betrat die einsame Schenke, in der seit Stunden sein treuer Sekretär Lautario Espinosa auf ihn wartete.
»Du bleibst hier«, befahl er, als er ihm gegenüber Platz genommen hatte, »und schickst Boten in alle Häfen der Region, die dort verkünden sollen, daß ich für das bestbewaffnete Schiff dieser Meere bezahlen werde, was immer sie verlangen…« Er zeigte mit dem Finger auf ihn. »Was immer sie verlangen! Außerdem zahle ich für jegliche Information, die zur Auffindung der Jacare beiträgt. Ich will ihre Routen wissen, welche Häfen sie anläuft oder wo sie vor Anker geht, wenn sie nicht auf Beutefahrt ist…« Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas, das der andere vor sich hatte, um in höchster Erregung hinzuzufügen: »Und dann heuerst du eine Besatzung an, die es mit Tod und Teufel aufnehmen kann. Piraten, Banditen, Frauenschänder, Mörder! Was immer du auftreiben kannst!«