Der Rum hatte sich daher zum unangefochtenen König aller westindischen Schenken aufgeschwungen. So kehrte die Wirtin trotz ihrer Proteste und Flüche denn auch bald mit zwei riesigen Krügen des stärksten »Teufelstöters« zurück, setzte sie so hart auf den Tisch, daß reichlich Rum überschwappte, und fragte geradezu aggressiv:
»Noch etwas?«
Der Portugiese nickte:
»Wir brauchen Männer.«
»Männer? Was für Männer?«
»Schwindelfreie Toppsgaste mit Mumm in den Knochen und erfahrene Kanoniere, die gutes Geld verdienen wollen.«
»Wenn es in diesem Drecksnest noch mutige Männer gäbe, hätten sie schon vor langer Zeit das verfluchte Port-Royal in Brand gesteckt«, murmelte das häßliche Weib und zog geräuschvoll den Rotz hoch. »Wie hoch ist mein Anteil?«
»Eine Dublone pro Kopf.«
Die zottelige Hexe nickte zustimmend.
»Ich werde sehen, was sich machen läßt.«
Tiradentes richtete drohend den Finger auf sie.
»Aber bring mir keinen Abschaum. Ich will erfahrene Leute.«
Die Frau lachte nur und zeigte dabei ihr lückenhaftes Gebiß.
»Auf Tortuga haben sie alle Erfahrung. Aber Abschaum sind sie auch alle.«
In der gleichen Nacht zeigte sie, daß sie sehr gut wußte, wovon sie sprach. Von den hundert Vagabunden, die sich in der Schenke beim Kapitän der Botafumeiro vorstellten, hatten die meisten mehr als genug Erfahrung, aber sie waren auch echter Abschaum.
Rum, Hunger, Skorbut, Syphilis und einige berauschende Pilze, die einen halb verrückt machten, hatte diese herrenlose Bande in ein Panoptikum menschlichen Abfalls verwandelt, der aber allen Enthusiasmus zeigte, die geringste Gelegenheit beim Schopf zu packen und einen kahlen Felsen zu verlassen, von dem sie sich nichts mehr erhoffen konnten.
»Die Bezahlung ist gut«, ermahnte der Portugiese einen nach dem anderen, der vor ihm Platz nahm. »Aber wenn du dich entschließt, bei mir anzuheuern, mußt du folgendes wissen: Alkohol, Pilze, Glücksspiel und Frauen sind an Bord verboten. Und bei mir gibt es nur eine einzige Strafe: Dem Missetäter reiße ich einen Zahn aus. Je schwerer das Vergehen, desto mehr Zähne. Und wenn keine Zähne mehr da sind, hänge ich ihn auf. Geh, und denk darüber nach. Wenn du mit der Arbeit und dem Reglement einverstanden bist, dann komm morgen an Bord.«
Sebastián Heredia nahm wieder die nicht uneigennützig -aber offensichtlich enthusiastisch – gewährten Dienste der roten Astrid in Anspruch. Nachdem sie sich lange Zeit im riesigen Bett der Hütte geliebt, gestreichelt und gewälzt hatten, ließen sie sich im Sand des Strands nieder, um eine der riesigen stinkenden Zigarren zu teilen, die das Mädchen so gern rauchte.
»Hast du dir meinen Vorschlag von gestern nacht noch einmal durch den Kopf gehen lassen?« wollte die Hure wissen, während sie die Millionen Sterne betrachtete, die über ihren Köpfen funkelten. »Die Sache mit Mombars?«
»Hör mal, meine Liebe…«, entgegnete der Margariteno, als wolle er sich in Geduld üben, um sich den angenehmen Augenblick nicht verderben zu lassen. »Ich habe dir schon gesagt, daß ich eine gute Arbeit an Bord eines guten Schiffs habe. Warum soll ich mir das Leben komplizieren?«
»Was ist das denn für ein Schiff?«
»Die Jacare.«
»Die Jacare?« fragte Astrid überrascht und stützte sich auf einen Ellenbogen, um ihn besser betrachten zu können. »Dieser armselige Kahn da draußen in der Bucht? Das nennst du ein >gutes Schiff<?«
»Das beste.«
»Daß ich nicht lache! Diese Nußschale versenkt die la de Dios doch mit einer Breitseite.«
»Das muß sich erst mal zeigen!« gab Kapitän Jacare Jack herausfordernd zurück und sah ihr direkt in die Augen. »Was die Jacare ausmacht, sind nicht ihre Kanonen, sondern etwas, was kein anderes Schiff hat.«
»Und das wäre?«
»Sicherheit.« Er wies auf die Bucht hinter ihrem Rücken hinaus. »Die Jacare ist das einzige Schiff, das schon über zwanzig Jahre lang auf Jagd geht, ohne daß ihr je auch nur das Geringste passiert wäre. Hundert Kanonen an Bord helfen dir gar nichts, wenn ein einziger Felsen dein Schiff binnen Sekunden versenken kann, und das wird der Jacare niemals passieren.«
»Und warum nicht? Sie ist doch nicht unsinkbar.«
»Das nicht, Kleine. Unsinkbar ist sie nicht, aber der Alte besitzt die beste Sammlung Routenbücher der Antillen. Mit dem, was er in seiner Kajüte aufbewahrt, könnte man mit geschlossenen Augen gefahrlos bis in den letzten Winkel der Karibik segeln.«
»Wie ist er in deren Besitz gelangt?«
»Reiner Zufall! Eines Nachts hat er einen getarnten Pott geentert, auf dem man das Archiv von Sevilla dem Hafenkommandanten von San Juan schickte. Was wie eine große Kiste mit alten Büchern aussah, war in Wahrheit der größte Schatz, von dem ein Pirat nur träumen kann.« Er ließ sich wieder auf den Sand fallen, als hielte er die Diskussion damit für beendet. »Aus diesem Grund wird die Jacare das beste Schiff der Antillen bleiben, bis sie irgendwann auseinanderfällt.«
»Verdammte Hure, die mich geboren hat!« rief die schamlose Rothaarige aus. »Wenn das stimmt, dann zahlt jeder Kapitän eine Million Pfund für dieses Archiv. Hast du daran noch nie gedacht?«
»Natürlich, mein Schatz! Natürlich! Aber der Alte sitzt in seiner Kajüte wie eine Glucke über den Büchern. Beim geringsten Anzeichen von Gefahr läßt er sie ins Meer fallen, denn er ist der einzige, der sie hier oben hat, in seinem Kopf.« Ein ums andere Mal tippte er sich an die Stirn. »Jahrelang hat er sie studiert, und jetzt kennt er sie auswendig. Meine Hoffnung ist, daß er sich eines Tages zur Ruhe setzt und sie mir überläßt.«
Astrid schüttelte ihre flammende Mähne.
»Er wird sie verkaufen.«
»Das bezweifle ich«, entgegnete Sebastián ungerührt. »Er weiß, wenn er sie verkauft, wird man Kopien anfertigen, und viele sind der Meinung, daß nicht jeder Idiot in der Karibik herumsegeln sollte, als würde er sie wie seine Westentasche kennen.«
»Warum nicht?«
»Du liebe Zeit! Stell dir mal vor, dein Freund Mombars kreuzt durch die Karibik ohne Angst, irgendwo aufzulaufen? Der würde solche Schlachtfeste veranstalten, bis die Krone sich schließlich gezwungen sähe, eine richtige Flotte in die Antillen zu schicken. Nein, der Alte hat schon recht. Dieser Schatz muß in guten Händen bleiben.«
Er begann sie zu streicheln und zu küssen, um sich wieder dem Liebesspiel im Sand hinzugeben und erklärte damit die Unterhaltung definitiv für beendet. Die Rothaarige ließ ihn gewähren, zunächst in Gedanken versunken. Bald aber schloß sie sich dem erregenden Spiel mit ehrlicher Hingabe an, bis die beiden schließlich völlig erschöpft waren.
Kurze Zeit danach sprang Sebastian auf.
»Ich muß gehen! Halt mir Samstag abend frei.«
Er kehrte zum Strand zurück, wo ihn bereits Justo Figueroa erwartete. Neben ihm stand eine kleine Kutsche mit zwei ungeduldigen Pferden. Kurze Zeit darauf tauchte ein Boot aus der Finsternis auf, aus dem Celeste Heredia und ihr Vater stiegen.
Er küßte sie zärtlich und überreichte ihnen einen Schlüsselbund.
»Ihr könnt es nicht verfehlen!« sagte er ihnen zum Abschied. »Folgt einfach der Küstenstraße, bis ihr an dem abgebrannten Haus vorbeikommt. Gut zwei Meilen später werdet ihr eine große blauweiße Villa finden. Die ist es.«
»Wann kommst du uns besuchen?« wollte seine Schwester wissen.
»Sobald ich kann.«
»Wie ist es letzte Nacht gelaufen?«
»Ich habe den Köder ausgelegt. Jetzt muß sie den nächsten Schritt machen. Ich denke, wir werden bald wissen, ob sie wirklich mit Mombars in Kontakt steht oder nicht.«
»Paß gut auf dich auf!« empfahl ihm Miguel Heredia.
Sebastián tätschelte den dichten, bereits weißen Bart, den sich sein Vater in letzter Zeit hatte wachsen lassen und der ihm das Aussehen eines strengen Patriarchen verlieh.
»Mach dir keine Sorgen!« entgegnete er mit Humor. »Der einzige, der sich Gedanken machen muß, ist der alte Kapitän Jacare Jack, der das ganze Archiv im Kopf hat. Und wenn er den treffen will, muß er schon nach Aberdeen fahren.«