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»Für deine >Papiere< würde sich jeder gute Seemann ein Bein ausreißen. Kolumbus ist fast zwei Jahre zwischen dem Golf von Honduras und Panama herumgeirrt, bis er schließlich hier, in Jamaika, auf Grund lief, und anderthalb Jahrhunderte später hielten Gegenwinde und gefährliche Strömungen die Flotte von L’Olonnois, Van Klijn und Pierre de Picard am gleichen Ort über ein Jahr lang fest. Vierhundert ihrer siebenhundert Männer haben dieses unselige Abenteuer nicht überlebt.« Er nahm sich einen Hähnchenschenkel und biß hinein, ohne Celeste auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen: »Glaubst du, daß es jemandem gefällt, Jahre seines Lebens damit zu vergeuden, blind auf unbekannten Meeren herumzuirren und dabei zu riskieren, jede Minute an der Küste oder an einem Riff zu zerschellen?«

»Nein. Natürlich nicht«, räumte das Mädchen ein.

»Dann wirst du auch verstehen, daß Leute, die Zeit, Schiffe, Geld und Freunde verloren haben, nur weil ihnen einige schlichte >Papiere< gefehlt haben, alles daransetzen, sie zu bekommen. Denk daran, wer an Land den Weg nicht kennt, verirrt sich nur, aber wer ihn auf See nicht kennt, der geht unter.«

»Aber das Risiko, das du mit Mombars eingehst, scheint mir allzu groß«, beklagte sich das Mädchen. »Was passiert, wenn die Sache schiefgeht?«

»Dann sehen wir uns niemals wieder«, lautete die ehrliche Antwort. »Aber wenn alles gutgeht, dann werden wir den besten Rum der Karibik brennen, bis wir alt sind.«

»Versprichst du das?« fragte sein Vater.

Wie zum Schwur hob Sebastián die Hand.

»Wenn der Ballast der Ira de Dios, wie behauptet wird, tatsächlich aus Silberbarren besteht, dann kehre ich niemals mehr auf See zurück.« Er lachte amüsiert. »Meine Karriere wird die kürzeste und einträglichste in der Geschichte der Seeräuberei sein.«

»Wann willst du aufbrechen?«

»Morgen, und wenn es soweit ist, wird Astrid eine grüne Laterne an die Tür ihrer Hütte hängen, damit Mombars Bescheid weiß, daß wir zum Jardin de la Reina segeln. Das Weitere wird sich finden.«

»Hast du Angst?«

Der Margariteno ließ sich mit der Antwort Zeit und betrachtete die Sklaven bei ihrer Herumtollerei, bevor er nickte, ohne dabei auch nur ein bißchen rot zu werden.

»Wenn man Mombars kennt, wäre es unsinnig, keine Angst zu haben. Er hat schon etwas Beeindruckendes an sich, und ich schwöre dir, wenn sich der Teufel dazu entschließt, Mensch zu werden, dann würde er diesen Mann auswählen. Sein unerschütterlicher Glaube an die eigene Kraft ist aber auch seine Schwäche. Er ist davon überzeugt, daß er uns versenken würde, weil die meisten seiner neunzig Kanonen Sechsunddreißigpfünder sind, während wir davon nur zwanzig haben.«

»Und trotzdem willst du es mit ihm aufnehmen?«

Der junge Kapitän lächelte recht geheimnisvoll:

»Weißt du was? Die Indios auf dem Festland schwören, daß die gefährlichsten Kaimane nicht im Wasser, sondern an Land leben.«

Den Rest des Nachmittags verbrachten sie im Schatten der Kastanien und schauten den Arbeitern zu, die lachend mit schweren Hämmern die Ruinen der Negrita von Bardinet einrissen. Bei Anbruch der Nacht verabschiedeten sie sich mit einer festen Umarmung. Vielleicht würden sie sich niemals wiedersehen.

Celeste und ihr Vater kehrten in der Kutsche zu ihrem Haus in Caballos Blancos zurück, währen Sebastian ohne Hast den Weg nach Port-Royal einschlug, das nach der langen Tagesruhe allmählich wieder munter wurde.

Er lud die verführerische Rothaarige ins eleganteste Restaurant der Stadt ein. Dort lernten sie persönlich den stolzen Laurent de Graaf mit seinen erlesenen Manieren kennen. Nach einer langen Liebesnacht begab er sich auf sein Schiff, wo die gesamte Mannschaft auf ihn wartete, bereit, das Manöver auszuführen, das sie aus dem stillen Wasser einer Bucht führen würde, die tatsächlich die sicherste geheiligte Zuflucht auf Erden war.

Das Meer war ruhig, und von Land wehte eine sanfte Brise. Sie hißten die meisten Segel und setzten Kurs Südwest, um die Insel in westlicher Richtung zu umsegeln und danach direkt nach Norden zu fahren, bis drei Tage später die ersten kleinen Inseln des Jardin de la Reina auftauchen würden.

Sebastian Heredia nutzte die Gelegenheit, seine Besatzung zu versammeln und ihr seine Pläne zu erläutern.

Sie hörten ihm schweigend zu. Erstaunen, ja Ungläubigkeit breitete sich aus. Schließlich ergriff wieder einmal Zafiro Burman als erster das Wort.

»Sollen wir glauben, daß der Todesengel lebt und du ihn persönlich getroffen hast? Nicht möglich!«

»O doch, und in einer guten Woche wirst du ihn auf der Brücke der Ira de Dios sehen, wenn du nicht lieber auf den Cayman-Inseln an Land gehen willst, gemeinsam mit allen anderen, die Angst haben.«

»Teufel noch mal…!« rief der erste Steuermann entrüstet aus. »Hast du dir wirklich in den Kopf gesetzt, dich mit der Ira de Dios anzulegen? Nicht einmal der Alte hätte sich das getraut.«

Der Margariteno, der neben dem Steuermann stand und die übrigen Männer um einen Meter überragte, sah sich alle der Reihe nach an, bemerkte ihre ernsten Gesichter und gab schließlich zu bedenken:

»Stets habt ihr euch beklagt, daß ihr nichts zu tun habt und die Beute so armselig ist.« Vielsagend breitete er die Arme aus. »Jetzt biete ich euch endlich alle Aktion der Welt und die größte Beute, von der ihr je geträumt habt. Was wollt ihr noch?«

»Nichts weiter. Der Plan ist großartig, aber Mombars ist nun mal Mombars«, mischte sich ein zerknirschter Nick Cararrota ein. »Ich sehe mich schon mit offenen Gedärmen laufen.«

»In dieser Hinsicht brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, versetzte Kapitän Jack mit Humor. »Auf der Insel, die wir ausgesucht haben, gibt es keine Bäume, an die sie die Gedärme nageln können.«

»Schöner Trost!«

»Die Entscheidung liegt bei euch«, fuhr Sebastián Heredia fort und bemühte sich, gleichgültig zu wirken. »Wer Schiß hat, kann auf den Cayman-Inseln bleiben, denn ich komme mit zwanzig Männern aus, und für die wird der Anteil um so phantastischer ausfallen.«

»Können wir darüber nachdenken?« wollte ein langer dünner holländischer Kanonier wissen. »So eine Entscheidung sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.«

»Nur diese Nacht. Morgen früh will ich wissen, wer mit mir kommt und wer nicht.« Er bedeutete Lucas Castano, ihm in die Kajüte zu folgen, und als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, nahm er Platz und fragte: »Was meinst du?«

»Wie der Malteser so schön gesagt hat: >Mombars ist nun mal Mombars<. Bei seinem Namen allein gefriert einem das Blut in den Adern.«

»Meine Güte!« beklagte sich der Kapitän bitter. »Sind sie nun Piraten oder nicht? Ich bin auf diesem Schiff aufgewachsen. Jahrelang sind sie mir mit ihren früheren Heldentaten in den Ohren gelegen und daß sie in der Lage seien, San Juan, Cartagena oder sogar die Flotte selbst anzugreifen, und jetzt, in der Stunde der Wahrheit, jagt ihnen ein einziger Name Angst ein.« Er sah ihm in die Augen. »Dir auch?«

Der Panamese, der auf dem Fensterbrett des Achterfensters Platz genommen hatte, von dem er bei einem plötzlichen Schlingern des Schiffs ins Wasser gefallen wäre, schüttelte leicht den Kopf.

»Erinnere dich daran, daß ich dich erst auf die Idee gebracht habe, diesen Hurensohn reinzulegen. Er beschäftigt mich, aber Angst jagt er mir keine ein. Trotzdem mußt du akzeptieren, daß es Leute gibt, die sich bei dem Gedanken nicht wohl fühlen, es mit neunzig Kanonen und über zweihundert Wilden aufzunehmen, die Menschenfresser sein sollen.«

»Verstehe! Ich mache auch keine Freudensprünge, aber jetzt sind die Würfel nun mal gefallen.«

Der Margariteno aß allein zu Abend, versuchte im unergründlichen Gesicht des Kochs, der das Essen servierte, zu lesen, wie die Entscheidung seiner Besatzung ausfallen würde, doch ganz offensichtlich hatte der Filipino auch keine Ahnung, was in diesen Augenblicken auf dem unteren Vorderdeck passierte. Und so beschränkte er sich darauf, Sebastian weiter zu bedienen, wie er es immer getan hatte, seit der Kapitän sein Amt angetreten hatte.

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