Литмир - Электронная Библиотека
A
A

»Und du?« fragte Sebastian, als der Koch das Geschirr abräumte. »Bleibst du auf den Caymans oder kommst du mit?«

Mit unbeweglichem olivenfarbenen Gesicht entgegnete der kleine Mann fatalistisch:

»Ich habe immer Angst gehabt, am Galgen zu enden, Kapitän, aber wenn wir gewinnen, eröffne ich in Port-Royal ein gutes Wirtshaus. Und sollten wir verlieren, werde ich mich mit einem Stein um den Hals ins Meer stürzen, um nicht in die Hände von Mombars zu fallen.«

Er verließ die Kajüte, was Sebastian die Möglichkeit gab, über einen riskanten Plan nachzudenken, in dem es nur zwei Möglichkeiten gab: Sieg oder Tod. Am folgenden Morgen, als die Glocke den Wachwechsel ankündigte, versammelte Sebastian erneut seine Mannschaft an Deck und kam ohne Umschweife zur Sache.

»Alle, die auf den Caymans bleiben wollen, versammeln sich an der Backbordseite«, befahl er. »Alle, die mitkommen wollen, an der Steuerbordseite.«

Zafiro Burman hob die Hand.

»Mach dir keine Umstände! Wir alle wollen lieber als Piraten sterben statt als Bettler leben. Hiß die schwarze Flagge!«

»Die schwarze Flagge?« fragte der Kapitän überrascht.

»Genau!«

»Hier und jetzt?«

»Hier und jetzt!« lautete die entschlossene Antwort. »Wir haben beschlossen, daß wir von diesem Augenblick an in den Kampf ziehen.«

Sebastián Heredia Matamoros wandte sich Lucas Castano zu und befahl ihm mit einem Lächeln:

»Einverstanden! Hol die Flagge. Klar zum Gefecht!«

Das schien der magische Satz zu sein, auf den fünfzig Seewölfe monatelang gewartet hatten. »Klar zum Gefecht!« hieß soviel wie »Beute in Sicht!«, und diese zwei Wörter, »Gefecht« und »Beute«, verstand jeder an Bord am besten.

Die Waffen, die so lange Zeit geruht hatten, blitzten in der Mittagssonne; die Kanonen, die so lange stumm geblieben waren, krachten, damit man ihren Zustand prüfen konnte, und das Pulver, das so lange in der untersten Pulverkammer geschlummert hatte, wurde auf Deck ausgestreut, um sicherzugehen, daß es nicht feucht und damit nutzlos geworden war.

Der Vorabend der Schlacht ist für die Beteiligten wesentlich aufregender als der Kampf selbst, und die Besatzung der Jacare wußte, daß ihr eine brutale, blutige und erbitterte Schlacht bevorstand.

Als Sebastián Heredia sie so vom Achterkastell aus betrachtete, hatte er das Gefühl, zum ersten Mal so richtig mitzuerleben, wie es auf einem Piratenschiff zuging, und zum ersten Mal wurde ihm die wahre Persönlichkeit der Männer bewußt, die ihre Heimat und ihre Familien verlassen hatten, um sich dem riskanten Gewerbe zu widmen, auf unbekannten Meeren herumzuirren und nach einer wertvollen Beute zu suchen.

Die Jacare roch geradezu nach Gewalt, und während Sebastián die Gesichter der Mannschaft betrachtete, kam er zu dem Schluß, daß jeder einzelne der zerlumpten Verbrecher bereit war, den letzten Tropfen Blut für den Sieg zu opfern.

Er blickte zur riesigen Flagge mit Totenkopf und Krokodil hinauf, die vom höchsten Mast flatterte. Er fühlte eine Gänsehaut, weil diese Flagge jetzt nicht als Symbol eines einfachen Beutezugs, sondern als Zeichen der Freiheit schlechthin flatterte.

Zum gegebenen Zeitpunkt kletterte Zafiro Burman auf den Großbaum, rief seine Gefährten zusammen und verkündete der enthusiastischen Menge:

»Mombars ist ein Riese, und mit seiner Mähne im Wind sieht er wie ein Ungeheuer aus. Aber wenn er tot ist, dann ist es auch mit seiner Tollwut vorbei, und ohne ihn sind seine Männer nur noch ein Haufen Wilder.« Er zeigte seine Kette, die er um den Hals trug und von der er sich niemals trennte: »Wer Mombars in Stücke schießt, dem schenke ich meinen Saphir.«

Zwei Tage später zeichneten sich die ersten Umrisse der Inseln und Riffe ab, die Kolumbus zu Recht »Garten der Königin« oder »Labyrinth« getauft hatte. Das Archipel war wahrscheinlich eines der schönsten, für die Seefahrer gleichzeitig auch das gefährlichste der Antillen.

Bei Anbruch der Nacht ankerten sie im Schutz des Cayo del Rabihorcado, bis sie es wagen konnten, im ersten Morgenlicht weiter in das Archipel vorzudringen, ohne Angst zu haben, auf einen Felsen zu laufen. Sebastián befahl, kein Licht an Bord zu entzünden, ließ die Wachen verdoppeln und ordnete absolutes Schweigen an, obwohl es wenig wahrscheinlich war, daß jemand im Dunkeln das im Schutz der gefährlichen Riffe liegende Schiff angreifen würde.

»Bei Mombars kann man nicht vorsichtig genug sein«, schloß er. »Und sollte er uns überholt haben, könnte er uns mitten in der Nacht überraschen.«

Alles blieb jedoch ruhig. Zehn Minuten, bevor die Sonne über der fernen kubanischen Küste aufging, hatte man bereits damit begonnen, die Segel zu setzen, und das Schiff war bereit, seine schwierige Fahrt fortzusetzen, sobald man die trügerischen Untiefen im Tageslicht klar erkennen konnte.

Drei Männer kletterten auf die Masten, damit ihnen nichts entgehen konnte, was sich vor ihrem Bug abspielte. Zafiro Burman stand am Steuerrad, und selbst der letzte Marsgast paßte wie ein Luchs auf. So wagten sie sich in das gefährliche Labyrinth aus Wasser und Korallen, das schon so viele Schiffe und Menschenleben gefordert hatte.

Zum Glück kannten die meisten Männer diese Gewässer aus lange vergangenen Zeiten, in denen sie unter dem alten Kapitän hier gesegelt waren, und so konnten sie nach zehn nervenaufreibend langen Stunden die Anker an der tiefsten Stelle einer stillen Bucht einer winzigen Insel werfen, auf der nur einige wenige krumme Kokospalmen etwas Schutz vor der brennenden Sonne boten.

Nachdem man die Masten auf die Hälfte gekappt hatte, ragten sie nicht einmal mehr über die kleinen Dünen. Außer von der engen Einfahrt in die Bucht war die Jacare daher von keinem Punkt aus zu sehen: ein perfekter Aufenthaltsort, der aber aufgrund der sehr kahlen Landschaft als Winterquartier völlig ungeeignet war.

Wer von Bord ging, konnte lediglich auf die Dünen steigen oder Spaziergänge über den endlosen Strand unternehmen, um sich schließlich unter eine der kühnen Palmen zu setzen, deren Anwesenheit die Naturgesetze zu widerlegen schien. Immerhin gab es Schildkrötennester in Hülle und Fülle, und die Bucht war so fischreich, daß der Filipino nur eine Angel auswerfen mußte, um die Speisekammern zu füllen.

Die Sandinsel war von gefährlichen Korallenriffen umgeben, daß man sich selbst mit einem Ruderboot nicht hätte nähern können, ohne auf Grund zu laufen. Nur die weite Bucht besaß eine sechzig Meter enge Einfahrt, die so tief war, daß jedes Schiff sie ohne Furcht, zu stranden oder beschossen zu werden, befahren konnte, denn die flache Sandküste bot nicht die geringste Möglichkeit, eine Festung oder auch nur eine schlichte Geschützstellung zu errichten.

Der Platz war also ein idealer Zufluchtsort vor den Naturgewalten, gleichzeitig aber auch eine tödliche Falle, wenn es darum ging, einen Feind abzuwehren.

Die Männer waren sich dieser Gefahr wohl bewußt. Kaum hatte man Anker geworfen und die Segel gerefft, brach an Bord hektische Aktivität aus. Nach Anbruch der Nacht arbeiteten die Männer im Schein aller Laternen, derer sie habhaft werden konnten, und der Fackeln weiter, die man alle fünf Meter in den Sand des Strands steckte.

Alle wußten, daß die Ira de Dios jeden Augenblick auftauchen konnte, und wenn sie zu früh kam, würden die Gedärme eines jeden einzelnen die Dünen der Insel bedecken.

Am nächsten Vormittag konnte sich kaum ein Mann an Bord noch auf den Beinen halten, aber sowohl Sebastián Heredia als auch Lucas Castano waren mit dem Ergebnis zufrieden.

»Gut!« seufzte der Panamese erleichtert. »Jetzt müssen wir nur wieder zu Atem kommen und abwarten.«

»Wie lange?«

»Ein, zwei, drei Tage. Wer weiß. Vielleicht kommen sie gar nicht.«

»Die kommen!«

»Das hoffe ich auch. Nach so viel Mühe wären die Männer fürchterlich enttäuscht.«

»Aber vielleicht kommen sie dann mit dem Leben davon«, gab Sebastian zu bedenken.

55
{"b":"155279","o":1}