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»Ich hoffe, du bist nicht auf den Gedanken gekommen, sie anzugreifen…«.warf Zafiro Burman sarkastisch ein. »Sie würden uns in Stücke schießen.«

»Nein!« antwortete er trocken. »So verrückt bin ich nicht!«

»Also was dann…?«

»Ihr müßt wissen, daß die Casa de Contratación zu dieser Zeit in La Asunción die meisten Perlen aufbewahrt, die das Jahr über gesammelt worden sind. Wenn die Produktion nicht zu sehr nachgelassen hat, dürften das über sechstausend sein.«

»Sechstausend!« rief einer erstaunt aus. »Nicht möglich.«

Der junge Kapitän Jacare Jack nickte nachdrücklich.

»O doch, wenn auch nicht alle von guter Qualität sind. Ich weiß, daß ein Schiff der Flotte sie an Bord nimmt, um sie nach Cartagena de Indias zu bringen. Dort kommen sie zu den Smaragden aus Nueva Granada, dem Gold aus Mexiko und dem Silber aus Peru.« Er ließ seine Männer eine Weile daran kauen und fuhr schließlich fort. »Ich habe vor, mir diese Perlen zu holen, bevor man sie fortschafft.«

»Wie soll das gehen?« wollte der erste Steuermann wissen, dessen Aufmüpfigkeit sich wieder im Auftrieb befand. »Niemand hat es je geschafft, La Asuncion anzugreifen.«

»Vielleicht weil es keiner aus Margarita versucht hat«, beschwichtigte Sebastian. »Ich verlange nur eins von euch: Habt eine Woche Geduld. Der Rest ist meine Sache.«

»Bist du sicher, daß du nur eine Woche brauchst?« wollte Nick Cararrota wissen.

»Ganz sicher.«

Er kehrte in seine Kajüte zurück, doch wenige Augenblicke später klopfte Lucas Castano an die Tür, trat ein und schloß sie hinter sich.

»Du riskierst verdammt viel«, war das erste, was er sagte. »Na schön, du hast ihnen die Beute schmackhaft gemacht und kannst jetzt deinen Vater suchen gehen, aber was wirst du ihnen nach deiner Rückkehr sagen?«

»Wenn ich die Perlen mitbringe, wird sich keiner beschweren.«

»Und falls nicht?«

»Dann schicken sie mich wohl zu den Haien.«

»Das siehst du ganz richtig!« versicherte der Panamese. »Du hast doch sicher einen Plan?«

»Natürlich.«

Der Panamese nahm auf dem Fensterbrett des großen Achterfensters Platz und musterte seinen unberechenbaren Kapitän wie ein Wesen von einem anderen Stern.

»Noch habe ich nicht herausgefunden, ob du der listigste Fuchs bist, dem ich je begegnet bin, oder der naivste«, murmelte er schließlich und ließ einen tiefen Seufzer hören. »Jedenfalls sitzt du auf dem Kapitänsstuhl, und das Schiff gehört dir. Ich hätte es in tausend Jahren nicht bekommen.«

»Und was heißt das deiner Meinung nach?«

»Entweder bist du wirklich der Schlauste, oder die Einfalt kann ein einträgliches Geschäft sein.«

»Na schön! Dann befiehl also Kurs auf Manzanillo. Wir werden sehen, was herauskommt.«

Nach Mitternacht betrat Sebastián Heredia ein weiteres Mal seine Heimatinsel. Nur in Begleitung von Justo Figueroa, einem rachitischen Krummbein, das mehr von einem schwindsüchtigen Straßenhändler als von einem Piraten an sich hatte, begab er sich auf einen Pfad, der sie zum übertriebenerweise sogenannten Königsweg führte, der den Norden der Insel mit La Asuncion verband.

Keiner achtete auf die beiden. In ihren abgerissenen Lumpen unterschieden sie sich kaum von den vielen hungernden Landstreichern, die in diesen Tagen von einem Ort Margaritas zum anderen zogen, um ihr Leben zu fristen. Die Zeiten wurden immer schwieriger, wie Hauptmann Mendana versichert hatte.

Der Verlust der Four Roses und ihrer kostbaren menschlichen Fracht hatte den ohnehin jähzornigen Don Hernando Pedrárias völlig aus der Haut fahren lassen. Um seine Verluste wettzumachen, verstärkte er nunmehr den Druck auf die darbende Inselbevölkerung auf geradezu absurde Weise.

Überall waren Klagen zu hören.

Leise zwar, aber Klagen.

Und Flüche.

Schmähungen und Flüche, die dem »Schwein Pedrárias« und der »Hure Matamoros« galten.

Unter ihresgleichen machten die am Boden zerstörten Margaritenos aus ihrem Herzen keine Mördergrube, wenn es darum ging, das »Schwein Pedrárias« für alles Ungemach, das sie ruiniert hatte, verantwortlich zu machen. Viele fragten sich, wie ein einziger Mann aus der ihrer Ansicht nach reichsten Insel der Erde ein Armenhaus hatte machen können.

Die unvorstellbar raffsüchtige Casa de Contratación schien nur ein Interesse zu haben: jedes Jahr noch größere Reichtümer nach Sevilla zu schicken. Millionen fielen dabei für die täglich zahlreicher werdenden unfähigen Schmarotzer ab. Der ehrgeizige Hernando Pedrárias schien alle Übel der Casa so sehr in sich zu vereinen, daß auf Margarita jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft erstorben war.

Viele Einwohner spielten mit dem Gedanken, aufs Festland auszuwandern, auch wenn die Nachrichten aus Cumaná nicht gerade vielversprechend waren.

»Die Casa ist wie Gott, der an allen Orten wohnt«, fanden die Skeptiker. »Und wenn sie dir keine Perlen rauben kann, dann saugt sie dir das Blut aus.«

Im Verlauf der Geschichte mochte es den Menschen gelegentlich gelungen sein, sich mit Gewalt von blutdürstigen Diktatoren oder grausamen Invasoren zu befreien, doch nie hatten sie es geschafft, die stille und unbarmherzige Tyrannei der Bürokratenheere abzuschütteln.

Kein Held konnte es mit dem Spinnennetz der Casa de Contratación von Sevilla aufnehmen. Denn falls wirklich einmal einer ihrer Gesandten plötzlich verschwand, wurde er sofort von einem obskuren Nachfolger ersetzt, der das dichte Netz noch undurchdringlicher webte. Die Casa war eine Hydra, der für jeden Kopf, den man ihr abschlug, zwei neue wuchsen.

Auf eine Hürde folgte die nächste, auf einen abweisenden Beamten ein noch unzugänglicherer, auf eine schnelle Ablehnung ein langes Schweigen und auf ein ewiges Schweigen wieder eine brüske Ablehnung.

Ein gordischer Knoten im tiefsten, von einer tausendköpfigen Hydra bewachten Labyrinth wäre leichter zu lösen gewesen als das komplizierte System, das eine unangreifbare Casa de Contratación entwickelt hatte, die sich nur von ihren eigenen Leuten berauben ließ. Es war nämlich kein Geheimnis, daß auf den Frachtbriefen der Schiffe, die man nach Sevilla schickte, nur ein Viertel der tatsächlichen Ladung an Gold und Edelsteinen auftauchte. Nur für dieses Viertel, das durch den Zoll ging, legte die Casa der Krone gegenüber Rechenschaft ab.

Die übrigen drei Viertel teilte die Casa unter sich auf.

Die logische Folge dieses Raubs lag klar auf der Hand: Margarita würde das gleiche Schicksal ereilen wie vor Jahren Hispaniola. Aus der ersten Kolonie der Neuen Welt war inzwischen eine weitgehend entvölkerte Insel geworden, deren Einwohner größtenteils vor dem unerträglichen Druck der Casa geflohen waren.

Einst schickten die steinreichen Zuckermühlen tonnenweise »weißes Gold«, das nach der Erschöpfung der Goldminen das gelbe abgelöst hatte, nach Spanien, doch die unerträgliche Steuerlast, die ihnen die unersättlichen Blutsauger der habgierigen Casa de Contratación auferlegten, hatte sie schließlich in den Bankrott getrieben, fetzt rosteten die Mühlen vor sich hin, während die riesigen aufgegebenen Zuckerrohrfelder bald massenweise von Wildschweinherden verwüstet wurden.

Kurioserweise hatte der Ruin des Zuckerhandels die Entstehung einer neuen florierenden Industrie zur Folge. Französische Einwanderer, die sich im äußersten Westen der Insel niedergelassen hatten, entdeckten bald, daß man die Wildschweine jagen und ihr Fleisch wie in der Heimat in einem boucan räuchern konnte. Dieses schmackhafte Räucherfleisch hielt sich monatelang, ohne zu verderben, und war daher bei Seeleuten sehr beliebt.

So entstand das neue Geschlecht der »Bukaniere«: ungeschlachte, schmutzige und übelriechende Männer, die in der Wildnis Hispaniolas Tiere jagten und sie in die Häfen einer Küste brachten, die von allen Schiffen der Antillen angesteuert wurde.

Doch wieder einmal war die habgierige Casa de Contratación nicht bereit, aus ihren unendlichen Fehlern zu lernen. Wenn die Schiffe Räucherfleisch brauchten, befand sie, sollten sie gefälligst den zähen, madigen und sündteuren Speck kaufen, den sie selbst aus Sevilla importierte, und um jegliche Konkurrenz loszuwerden, schickte sie Federico de Toledo mit einem Heer nach Hispaniola, um die mühsam ihr Leben fristenden Bukaniere zu vertreiben.

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