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»Für mich sperrt sich der Abschaum der Welt in einen Palast ein und plündert mit ungerechten Gesetzen die Schwachen aus«, widersprach ihm der Margariteno. »Das sind die wahren Blutsauger. Die machen aus der Welt eine Kloake und riskieren noch nicht mal den Hals dabei! Wir leben monatelang auf dem Meer, müssen Flauten und Stürme ertragen, und jedesmal, wenn wir uns einem Schiff nähern, riskieren wir, daß man uns mit Kanonenschüssen empfängt. Aber die nicht! Die haben einen Kaperbrief für das Land in der Tasche, und wenn es noch etwas Schlimmeres gibt als Piraten, dann Korsaren.«

Hauptmann Sancho Mendana zögerte lange mit der Antwort. Er ging zum Fenster, betrachtete die stille Bucht, in der sich nur einige Sterne spiegelten, und plötzlich wirkte er um Jahre gealtert oder unendlich müde.

»Ich habe keine Lust, weiter zu diskutieren. Bald wird es hell, und dann hast du besser schon das Weite gesucht.« Er drehte sich um und musterte den kleinen Jungen von früher. »Ich gebe dir eine Woche, um deinen Vater zu finden. Nur eine Woche! Danach werde ich dein schlimmster Feind sein.«

»Niemals werde ich Euch als meinen schlimmsten Feind betrachten können«, hauchte der junge Mann. »Und niemals werde ich die Hand gegen Euch erheben, so sehr Ihr mich auch bedrängen werdet.«

»Das wird nicht mein Problem sein. Ich habe dir gesagt, was dich erwartet. Und jetzt ab mit dir! Geh, und komm nicht wieder.«

Als der noch fast bartlose Kapitän Jacare Jack den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte der bedrückte Offizier seine Stirn gegen das Fensterglas und stieß einen kurzen, bitteren Seufzer aus.

Stets war er ein einsamer Mann gewesen, und seine Ersatzfamilie bestand heute nur noch aus einem armen verrückten Teufel, der durch irgendeinen gottverlassenen Winkel der Insel irrte, und einem sanftmütigen Jungen, der dabei war, ein schmutziger Pirat zu werden. Was nützten ihm die Mühen und Opfer vieler Jahre, all die Schlachten und alten Wunden? Was half es, Prinzipien treu zu bleiben, die niemand mehr zu respektieren schien?

Aufgrund seiner untadeligen Dienste und seiner unerschütterlichen Loyalität hätte er längst zum Obersten befördert werden müssen, zum Festungskommandanten in Cartagena de Indias, San Juan de Puerto Rico oder Panama. Doch die Jahre gingen dahin, und noch immer war er hier, vergessen und dazu verdammt, unzählige Male die unvergeßlichen Sonnenuntergänge von Juan Griego zu betrachten. Dabei wußte er, daß ihm die Nacht nur Einsamkeit und Stille brachte und der neue Tag neue Einsamkeit und wieder eine lange Abenddämmerung, die ihn bereits zu Tode langweilte.

Emiliana Matamoros, die einzige Frau, die er in seinem ganzen Leben geliebt und stets wie eine unerreichbare Jungfrau verehrt hatte, war die Geliebte des abscheulichsten Wesens, das er jemals kennengelernt hatte, geworden, und in den Schenken konnte er hören, daß Emilianas Tochter Celeste schon bald die Mutter im Bett des gehaßten Don Hernando Pedrárias ablösen würde.

Auf der Insel ging das Gerücht um, daß die fett und welk gewordene Emiliana Matamoros schon vor einiger Zeit zum bitteren Schluß gekommen war, daß ihre früheren Reize die Leidenschaft des Gesandten der allmächtigen Casa de Contratación von Sevilla nicht mehr zu wecken vermochten, und sie fürchten mußte, von einer der zahlreichen attraktiven Mulattinnen, die auf der Insel ihren Körper zu Markte trugen, aus dem schönen Palast am Rand von La Asunción, den sie seit Jahren bewohnte, verdrängt zu werden. Deshalb war sie offensichtlich entschlossen, die Angelegenheit innerhalb der Familie zu regeln und ihre Rolle als herrische Geliebte mit der einer unterwürfigen Kupplerin zu vertauschen.

»Wer den Luxus kennengelernt hat, will nicht zurück in die Armut«, tuschelten die bösen Stimmen. »Vor allem dann nicht, wenn die Armut nicht einmal Würde hat.«

Hauptmann Sancho Mendana fragte sich, was eine noch so würdevolle Armut sollte, wenn sie nur, wie die seine, traurige Erinnerungen nährte, und ebenso fragte er sich, ob Sebastián Heredia nicht recht hatte, dem es lieber war, ein einziges Mal aufgehängt zu werden, statt das ganze Leben mit dem Strick um den Hals zu verbringen.

Wenn er nicht binnen zwei Jahren zum Kommandanten befördert wurde, mußte er, das sahen die Dienstvorschriften des Königs vor, seinen Abschied nehmen und Reservist werden, und Hauptmann Mendana wußte nur zu gut – er hatte es bei vielen Waffengefährten gesehen –, daß in diesen Fällen der kärgliche Sold die meisten Monate nicht ausgezahlt wurde.

Die Krone, die unzählige Male grausame Opfer verlangt hatte, vergaß die geleisteten Dienste nur zu schnell, und Hunderte von Veteranen mußten ihren Lebensabend als Bettler unter Bettlern verbringen.

Er ließ seine Vergangenheit Revue passieren, warf einen Blick auf seine Gegenwart und versuchte sich vorzustellen, wie seine Zukunft aussehen mochte. Über der schönen Bucht von Juan Griego wurde es langsam hell.

Vielleicht wäre es das Vernünftigste gewesen, alles aufzugeben und dem unbesonnenen Jungen als Seeräuber zu folgen, doch seine moralischen Überzeugungen hatte Hauptmann Sancho Mendana stets über seine eigenen Interessen gestellt. Daher verwarf er diese Idee sofort, denn sie ging gegen alle Prinzipien, die er stets verteidigt hatte.

Die Krone haßte die Piraten, daher war es seine Pflicht, sie zu bekämpfen, wo immer sie sich verbergen mochten, selbst wenn einer von ihnen der einzige Freund war, der ihm auf dieser Welt geblieben war.

Zurück auf der Jacare ließ Sebastián Heredia Lucas Castano holen und teilte ihm mit, daß er in Manzanillo an Land gehen wollte, um von dort bis nach La Asuncion die Suche nach seinem Vater fortzusetzen.

»Du bringst das Schiff zu den Frailes-Inseln. Dort gehst du bis Samstag nacht vor Anker und nimmst mich wieder an Bord.«

»Keine gute Idee«, entgegnete der Panamese sofort.

»Warum?«

»Weil die Männer unruhig sind«, lautete die ehrliche Antwort. »Seit der Fahrt nach England, dem Aufenthalt auf Lanzarote und der Geschichte mit der Four Roses haben wir keinen roten Heller mehr gesehen. Mit Seeräuberei hat das nichts mehr zu tun, finden sie.«

»Was kann ich denn dafür, daß wir auf unserem Weg nur ein Sklavenschiff getroffen haben?«

»Wir hätten die Schwarzen verkaufen können«, befand sein Stellvertreter überraschend unbefangen.

»Ich handle nicht mit Sklaven.«

»Die meisten Männer sehen das nur als Verkauf einer Ladung. Wir haben vorher auch nicht mit Piken und Schaufeln gehandelt, doch dann war’s ein großartiges Geschäft, und nur das zählt.«

»Für dich auch?«

»Meine Meinung tut nichts zur Sache«, gab der andere ungeniert zurück. »Ich gehöre zu den Offizieren, schlafe in einer guten Kajüte und muß nur Befehle erteilen.« Er schüttelte den Kopf. »Doch die meisten Männer müssen mit einer Hängematte in einem heißen Verschlag unter Deck vorliebnehmen, stehen Wache oder klettern auf die Mäste und scheuern sich dabei die Hände wund, und der einzige Grund, warum sie dieses Leben ertragen, ist die Hoffnung auf eine gute Beute. Und wenn die ausbleibt, werden sie rebellisch.«

»Verstehe…«

»Verstehen allein genügt nicht. Du mußt es verinnerlichen. Jetzt bist du der Kapitän, und zunächst einmal mußt du die Besatzung bei Laune halten, wenn du nicht riskieren willst, daß man dich über Bord wirft.«

»Ich werde daran denken.«

Der Margariteno schloß sich in seiner Kajüte ein, dachte über drei Stunden lang nach und ging schließlich an Deck. Dort nahm er auf der Brücke Platz und ließ die gesamte Besatzung zusammenläuten.

Als alle versammelt waren und ihn erwartungsvoll anblickten, musterte er der Reihe nach ihre Verbrechervisagen und erklärte betont gelassen:

»In letzter Zeit ist es nicht sehr gut gelaufen, und ihr seid wahrscheinlich ungehalten, doch das wird sich ändern.« Er räusperte sich, um mit noch tieferer Stimme fortzufahren: »Ihr wißt, daß wir Ende Oktober haben. In einem guten Monat wird die Flotte aus Sevilla hier auftauchen…«

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