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Minuten später löste sich die Jacare von der Four Roses und setzte ihre langsame Fahrt nach Westen fort. Das stinkende Schiff folgte ihr mit einer guten Meile Abstand. Auf dem Deck wimmelte es nunmehr von schwarzen schwitzenden Körpern, die fröhlich mit den Händen winkten, während sie ein seltsames Danklied anstimmten.

Im Kielwasser des Sklavenschiffs blieben der walisische Kapitän und acht seiner Männer zurück, die verzweifelt mit den Armen ruderten, um sich über Wasser zu halten, während um sie herum bereits die Haie zu kreisen begannen.

Wieder allein in seiner Kajüte, betrachtete Sebastián durch die Achterluke das grausige Schiff, das mit einer guten Meile Abstand dem Kielwasser der Jacare folgte, und dachte lange Zeit über die Ereignisse des Tages nach. Besonders machte ihm zu schaffen, daß der Mensch, der sein Leben und das unzähliger Margaritenos zerstört hatte, sich nicht nur als Tyrann, sondern jetzt auch als Sklavenhändler erwiesen hatte, der sich mit dem Leiden Hunderter dieser Menschen bereicherte.

»Sind doch nur Neger!«

Diese verächtliche Bemerkung wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Zwar hatte er schon als Kind die Sklaverei in den Kolonien als etwas Normales erlebt, doch wie haltlos diese schreiende Ungerechtigkeit war, hatte er bisher noch nicht nachvollziehen können.

Die wenigen Sklaven, die er bislang kennengelernt hatte, standen auf der sozialen Leiter kaum tiefer als die meisten Fischer von Juan Griego, die unter den harten Gesetzen der Casa de Contratación ihr Leben fristen mußten. Niemals war ihm in den Sinn gekommen, daß man diese Unglücklichen gewaltsam aus ihrem Heim und dem Kreis ihrer Familie gerissen hatte, um in den Besitz einer jeden Person überzugehen, die bereit war, den Preis dafür zu bezahlen.

»Neger« war auf Margarita stets gleichbedeutend mit »Sklave« gewesen, aber erst, seit er gesehen hatte, wie man sie wie wilde Tiere unter Deck der Four Roses einpferchte, war Jacare Jack klargeworden, was Sklaverei wirklich bedeutete.

Nicht einmal Schweine zerrte man so zum Schlachthof. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben wurde dem blutjungen Kapitän bewußt, daß die Gesellschaft sich nicht in Reiche und Arme, Priester und Piraten, Soldaten und Zivilisten teilte.

Unterdrücker und Unterdrückte, das kam der Sache schon viel näher, und das, was Sebastian an diesem Morgen beobachtet hatte, legte den Schluß nah, daß die Gier der Unterdrücker keine Grenzen kannte. Schließlich gab es Männer wie Hernando Pedrárias, denen eine fast absolute Macht nicht zu reichen schien, da sie zu den unvorstellbarsten Ungerechtigkeiten fähig waren, um dadurch noch ein wenig reicher zu werden.

Sebastián fragte sich, ob er, Anführer einer ruchlosen Bande von Seewölfen, so tief sinken könnte, mit Menschen zu handeln, und kam zu dem Schluß, daß er zwar ohne Skrupel acht Menschen in den Tod schicken konnte wie vorhin, doch allein bei dem Gedanken, auch nur einen der wehrlosen Afrikaner zu verkaufen, wurde ihm übel, auch wenn viele von ihnen, wie Cararrota versicherte, die Sklaverei als völlig selbstverständliche Lebensweise akzeptierten.

»Die meisten werden schon als Sklaven ihrer Stammeshäuptlinge geboren«, hatte er einmal erläutert. »Eigentlich ändert sich nur die Hautfarbe ihres Herrn, und oft werden sie von den Weißen schonungsvoller behandelt. Das Schlimmste ist stets die Überfahrt, da die Händler den größten Profit herausschlagen wollen und aus den Schiffen wahre Tierkäfige machen.«

»Würde es dir vielleicht gefallen, Sklave zu sein?« fauchte ihn Lucas Castano mißmutig an.

»Was bin ich anderes gewesen, bevor ich mich dazu entschlossen habe, Wegelagerer, Sklavenhändler oder Pirat zu werden?« gab der andere bitter zurück. »Von früh bis spät habe ich mich für einen Hungerlohn abgerackert, und von der Hautfarbe abgesehen ging es mir kaum anders als diesen Unglücklichen.« Er warf seinen Zuhörern einen griesgrämigen Blick zu, um in einem fast vorwurfsvollen Ton zu schließen: »Wer von euch noch nie in ähnlicher Weise ausgebeutet worden ist, der soll die Hand heben.«

Keiner meldete sich, und wenn Sebastian an die harten Zeiten dachte, in denen die verwünschte Casa de Contratación von seinem Vater verlangte, ein ums andere Mal zwischen den Haien nach Perlen zu tauchen, die sie ihm dann zum läppischen Preis von Perlmutt abkaufte, mußte er zugeben, daß der Malteser tatsächlich recht hatte und sich ihr damaliges Leben nur wenig von dem eines beliebigen afrikanischen Sklaven unterschied.

Als sie eine Woche später endlich die Küste des Festlands erblickten, ließ der Kapitän daher eine Abordnung der Schwarzen an Bord der Jacare kommen, die als Älteste unter ihren Gefährten das größte Ansehen genossen.

»Ich habe beschlossen, euch im Golf von Paria an Land zu bringen. Dort könnt ihr in den Wäldern der Orinoco-Mündung verschwinden. Ihr bekommt Waffen, damit ihr überleben könnt.« Er musterte sie der Reihe nach, während er fortfuhr: »Den Spaniern wird es gar nicht gefallen, eine Gruppe geflohener Sklaven frei herumlaufen zu sehen, denn wenn sich das herumspricht, werden sich euch viele Sklaven anschließen. Ihr müßt eure Freiheit mit Blut und Feuer verteidigen. Doch dafür müßt ihr euch erst einmal einen Anführer wählen, denn mehr kann ich nicht mehr für euch tun.«

»Du hast schon so viel getan«, warf der große Schwarze ein, den sie aus dem Meer gerettet und auf den passenden Namen Moises getauft hatten. »Du hast uns das Leben gerettet, dafür werden wir dir ewig dankbar sein.«

»Am besten dankt ihr mir, indem ihr euch nicht noch einmal versklaven laßt«, entgegnete der Margariteno lächelnd. »Ich sehe, daß ihr unterschiedlichen Stämmen angehört und viele verschiedene Sprachen sprecht, doch werdet ihr nur frei sein, wenn ihr eure Unterschiede für immer vergeßt.«

»Wie viele Verfolger wird man schicken?«

»Keine Ahnung«, räumte Sebastian Heredia ein, »doch es werden einfache Soldaten sein, die Urwald und Hitze hassen. Daher werden die Sümpfe stets eure besten Verbündeten sein. Laßt euch auf keine offene Schlacht ein, sondern lockt die Verfolger immer tiefer ins Dickicht, bis sie der Suche müde sind. Dieser Kontinent ist sehr groß, und wenn ihr es schafft, daß sie euch vergessen, ist genügend Platz für alle da.«

»Wähle du unseren Anführer«, bat der älteste der Sklaven, wobei er bedeutungsvoll auf Moises blickte. »Keiner wird deine Entscheidung in Frage stellen.«

Der junge Kapitän wandte sich den Gefährten des Schwarzen zu.

»Seid ihr damit einverstanden?«

Schweigend nickten sie.

»Na schön! Wenn das so ist, wähle ich Moises. Er hat viel Mut bewiesen, als er sich über Wasser hielt, während die Haie um ihn kreisten, und ich bin sicher, daß er euch mit ebensoviel Mut zum Sieg führen wird. Gott mit euch!«

»Welcher Gott?«

Jacare Jack musterte verblüfft den kleinen Mann, der eine so merkwürdige Frage gestellt hatte, und zuckte schließlich die Schultern.

»Alle Götter. Je mehr, desto besser. Ihr werdet sie brauchen.«

Am Abend gingen sie in einer stillen und einsamen Bucht vor Anker, die von dichter Vegetation umgeben war. Dann brachte man die Sklaven der Reihe nach an Land. Viele aber zogen es vor, sich kopfüber ins Wasser zu stürzen und fröhlich zum Strand zu schwimmen. Nachdem man ihnen alles übergeben hatte, was man an Waffen, Munition und Proviant gefahrlos entbehren konnte, setzte die Jacare ihre Fahrt fort, nach wie vor mit der langsamen und stinkenden Four Roses im Kielwasser.

Ohne seine menschliche Fracht erinnerte das Sklavenschiff an eine auf dem Wasser schaukelnde Nußschale. Sie hatte so wenig Tiefgang, daß man so gut wie keine Segel setzen konnte aus Angst, das wie eine Feder im Wind manövrierunfähig treibende Schiff würde kentern.

Nach vier mühsamen Tagen ließ man den unförmigen Pott mitten in der Bucht von Porlamar vor Anker gehen. Auf dem einzigen Segel, das er gehißt hatte, stand mit riesigen ungelenken Buchstaben geschrieben zu lesen: »Pedrárias, Sklavenhändler. Das ist dein Schiff.«

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