Kurz vor Sonnenaufgang ließ Kapitän Jacare Jack die Krokodilsflagge mit dem Totenkopf hissen und einen Warnschuß vor den Bug des schwarzen Schiffs setzen, das alle an Bord für den riesigsten, häßlichsten und schwerfälligsten Seelenverkäufer hielten, der je auf den Weltmeeren gesegelt war.
Kein Schoner, keine Brigantine, keine Fregatte, keine Korvette, sondern eine Art Kreuzung zwischen alter Karavelle und Rumpelkasten, allerdings zu breit und zu kurz. Die drei asymmetrisch angeordneten Masten waren unterschiedlich hoch, und das ganze Schiff war ein einziges unförmiges Chaos, als hätte man es ohne jeglichen Plan und mit den unfähigsten und unordentlichsten Zimmerleuten der Küste gebaut.
Warum jemand diesen Schrotthaufen zu Wasser gelassen hatte, war ebenso unerklärlich, doch hier war er, schaukelte hin und her wie in einem Sturm, obwohl der Ozean an diesem Tag so ruhig war wie ein Ölsee.
Die Besatzung machte nicht die geringsten Anstalten, zu fliehen oder zu kämpfen. So ging die jacare längsseits, und ein halbes Dutzend Männer sprangen an Bord, als müßten sie sich kopfüber in eine Kloake stürzen. Der Geruch von heißem Schweiß, Kot und Urin schlug ihnen wie eine gewaltige Ohrfeige entgegen.
Dieses Schiff war die Hölle.
An Bord angelangt verstand man allerdings, warum die Ausrüster es auf so absurde Weise hatten bauen lassen. Das war kein Schiff, mit dem man von einem Ort zum anderen fuhr, sondern eine Art riesiger schwimmender Sarg, in dessen vier übereinanderliegenden Lagerräumen man so viele Sklaven wie möglich unter den schlimmsten Bedingungen einpferchte.
Männer, Frauen und Kinder lagen ausgestreckt auf schweren Tischen, die etwas geneigt waren, damit Urin und Exkremente zum Boden abfließen konnten. Hand- und Fußgelenke waren mit dicken Eisenketten gefesselt, so daß sie nicht die geringste Bewegung machen konnten.
Schulter an Schulter lagen sie aneinandergereiht. Kaum ein Meter Höhe trennte sie von der nächsten Menschenschicht, und das alles in einer Hitze, die über fünfzig Grad betragen mußte, und mit so wenig Luft, daß es ein Wunder war, überhaupt noch einen Menschen am Leben anzutreffen.
Die nicht minder übelriechende Besatzung bestand aus einem walisischen Kapitän und zwölf rohen Männern. Als man sie gereizt zur Rede stellte, warum sie diese armen menschlichen Wesen so grausam behandelten, schien sich der Kapitän zu erstaunen.
»Menschliche Wesen? Was für menschliche Wesen? Sind doch nur Neger!«
»Sind Neger vielleicht keine Menschen?«
»Natürlich nicht!« gab der andere mit verblüffender Sicherheit zurück.
»Was dann?«
»Sklaven.«
»Sklaven? Nichts weiter?«
»Es waren Sklaven, wir haben sie als Sklaven gekauft, und wir bringen sie nach Jamaika, um sie dort als Sklaven zu verkaufen.« Der Waliser zuckte die Schultern, als hätte er damit alles erklärt. »Was sollten sie sonst sein außer Sklaven?«
»Verstehe… Wie viele habt ihr?«
»In Dakar sind wir mit 780 aufgebrochen, doch etwa hundert sind unterwegs gestorben.«
»Gestorben, oder habt ihr sie lebendig ins Wasser geworfen?«
»Was tut das zur Sache? Sie waren krank! Wir haben ihnen Leiden erspart, als wir sie ins Meer warfen, denn sie haben sich fast zu Tode geschissen.« Der widerliche Kerl schnalzte verächtlich mit der Zunge. »Ein Sklave mit Durchfall bringt keinen müden Heller ein und macht nur Probleme.«
Der frischgebackene Kapitän Jacare Jack dachte eine lange Zeit nach, wobei er sich in einem vergeblichen Versuch, dem Gestank zu entgehen, die Nase zuhielt. Schließlich deutete er auf die übrige Besatzung, deren schwimmende, stinkende Schande man ironischerweise auf den absurden Namen Four Roses getauft hatte.
»Keiner von Euren Männern leidet an Durchfall?«
»Nicht daß ich wüßte…« beeilte sich sein Gegenüber mit der Antwort, sichtlich pikiert.
»Schade, denn sonst hätte ich einen wunderbaren Grund gehabt, euch alle über Bord werfen zu lassen.« Er machte eine kurze Pause, während der er sich genüßlich am Kopf kratzte, und fuhr schließlich im gleichen Ton fort. »Aber wenn ich’s mir recht überlege, brauche ich gar keinen Vorwand. Ich lasse euch ins Meer werfen, weil ihr alle Hurensöhne seid.«
»Das könnt Ihr nicht machen!« protestierte der Kapitän. »Wir haben uns ergeben, und die Gesetze der Piraten sehen vor…«
»Von Sklavenschiffen steht nichts in den Vorschriften der Bruderschaft der Küste, deshalb tu ich, was mir gefällt. Wem gehören die Sklaven?«
Der Waliser zögerte einige Augenblicke, doch dann schien er zu begreifen, daß ihm Lügen hier nicht weiterhalf, und antwortete mißmutig:
»Der Casa de Contratación in Sevilla.«
Jetzt schien der Margariteno überrascht zu sein. Er und Lucas Castano, der neben ihm stand, schauten sich erstaunt an, und er entgegnete schließlich mit Härte: »Das ist gelogen. Die Gesetze verbieten es der Casa, mit Sklaven zu handeln.«
»Das mag schon sein, aber ich arbeite seit fünf Jahren für sie. Nicht offiziell, aber wenigstens drei ihrer Gesandten zählen zu den Ausrüstern des Schiffs.«
»Wer alles?«
»Das kann ich Euch nicht sagen.«
»Natürlich könnt Ihr das!« erregte sich der Margariteno. »Ich lasse Euch so oder so ins Meer werfen, doch gibt es zwei Arten: mit oder ohne hundert Peitschenhiebe.« Er drohte mit dem Finger. »Also sagt mir diese Namen!«
Der Waliser zögerte aufs neue, blickte seine Männer an und kam zu dem Schluß, daß er ausgespielt hatte. Er murmelte mit einer fast unmerklichen Geste des Gleichmuts:
»Gines Alvarado, Hernando Pedrárias und Borja Centeno.«
»Pedrárias Gotarredona, der Gesandte auf Margarita?« Da der Kapitän heftig nickte, drang Jacare Jack weiter. »Seid Ihr sicher?«
»Ihm lege ich einmal im Jahr Rechenschaft ab.«
»Wie sieht er aus?«
»Mittelgroß, kräftig, blond und mit sehr hellen Augen.«
»Kennt Ihr seine Frau?«
»Verheiratet ist er nicht, aber er lebt mit einem Weib zusammen, das sehr schön sein muß.«
»Hat er Kinder?«
»Eine Tochter.« Der Waliser legte eine kurze Pause ein und fuhr fort: »Eigentlich ist sie fast schon eine Frau.« Abschätzig verzog er den Mund. »Offensichtlich aber nicht seine Tochter, sondern die der Hure.«
»Ich sehe, Ihr sagt die Wahrheit.« Der Margariteno wandte sich zu Lucas Castano und befahl ihm ohne leisestes Zögern: »Ab ins Meer mit ihm!«
Ohne Umschweife packte der Angesprochene den Waliser, der keinerlei Widerstand leistete, am Kragen, schleifte ihn an die Bordkante und warf ihn ins Wasser.
Sebastian Heredia sah zu, wie der Kapitän abtrieb und dabei schweigend mit den Armen ruderte. Dann wandte er sich der übrigen, zu Tode erschrockenen Mannschaft der Four Roses zu, und nachdem er die vier Fähigsten ausgewählt hatte, verkündete er mit ungerührtem Ton:
»Diese vier folgen mir mit dem Schiff. Der Rest der Mannschaft wird dem Kapitän Gesellschaft leisten. Anschließend befreit ihr die Sklaven und laßt sie an Deck.«
»Sie passen nicht alle drauf«, gab Nick Cararrota zu bedenken. »Und wenn du sie freiläßt, werden sie sich auf uns stürzen. Es sind verdammt viele.«
Jacare Jack dachte einige Augenblicke nach, dann ließ er den riesigen Schwarzen an Bord kommen, den sie in der Nacht zuvor gerettet hatten, und erklärte ihm, so gut er konnte, daß er sie auf dem Festland absetzen wollte.
»Wenn ihr tut, was ich euch sage, werdet ihr frei sein und könnt ein neues Leben anfangen. Aber wenn ihr Probleme macht, dann schicke ich euch mit Kanonenschüssen auf den Grund des Meeres. Ist das klar?«
Der andere nickte, stieg in die Laderäume hinab und blieb eine lange Weile unten. Als er zurückkehrte, lächelte er glücklich.
»Wenn du ihnen die Ketten abnimmst, werden sie der Reihe nach Luft schöpfen. Es wird keine Probleme geben.«
»Also einverstanden!« Der Margariteno wandte sich den vier Sklavenhändlern zu, die ihn mit einem Funken Hoffnung in den Augen betrachteten. »Folgt unserem Kielwasser! Wenn ihr eure Sache gut macht, könnt ihr vielleicht eure Haut retten. Ansonsten wißt ihr, was euch erwartet.«