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Nachmittags, als die Sittenpolizei kam, war ich froh, daß Marie weg war, obwohl die Tatsache, daß sie weg war, für mich äußerst peinlich wurde. Ich nehme an, daß der Wirt uns angezeigt hatte. Ich gab Marie natürlich immer als meine Frau aus, und wir hatten nur zwei- oder dreimal Schwierigkeiten deswegen gehabt. In Osnabrück wurde es peinlich. Es kamen eine Beamtin und ein Beamter in Zivil, sehr höflich, auf eine Weise exakt, die ihnen wahrscheinlich als »angenehm wirkend« einexerziert worden war. Bestimmte Formen der Höflichkeit bei Polizisten sind mir besonders unangenehm. Die Beamtin war hübsch, nett geschminkt, setzte sich erst, als ich sie dazu aufgefordert hatte, nahm sogar eine Zigarette an, während ihr Kollege »unauffällig« das Zimmer musterte. »Fräulein Derkum ist nicht mehr bei Ihnen?« — »Nein« sagte ich, »sie ist vorgefahren, ich treffe sie in Frankfurt, übermorgen.« — »Sie sind Artist?« Ich sagte ja, obwohl es nicht stimmt, aber ich dachte, es sei einfacher, ja zu sagen. »Sie müssen das verstehen«, sagte die Beamtin, »gewisse Stichproben müssen wir schon machen, wenn Durchreisende abortive« sie hüstelte — »Erkrankungen haben.« — »Ich verstehe alles«, sagte ich — ich hatte im Lexikon nichts von abortiv gelesen. Der Beamte lehnte es ab, sich zu setzen, höflich, sah sich aber weiter unauffällig um. »Ihre Heimatadresse?« fragte die Beamtin. Ich gab ihr unsere Bonner Adresse. Sie stand auf. Ihr Kollege warf einen Blick auf den offenen Kleiderschrank. »Die Kleider von Fräulein Derkum?« fragte er. »Ja«, sagte ich. Er blickte seine Kollegin »vielsagend« an, sie zuckte mit den Schultern, er auch, sah noch einmal genau den Teppich an, bückte sich über einen Flecken, sah mich an, als erwarte er, daß ich den Mord jetzt gestehen würde. Dann gingen sie. Sie waren bis zum Schluß der Vorstellung äußerst höflich. Sobald sie weg waren, packte ich hastig alle Koffer, ließ mir die Rechnung heraufbringen, vom Bahnhof einen Gepäckträger schicken und fuhr mit dem nächsten Zug weg.

Ich bezahlte dem Hotelier sogar den angebrochenen Tag. Das Gepäck gab ich nach Frankfurt auf und stieg in den nächsten Zug, der südwärts fuhr. Ich hatte Angst und wollte weg. Beim Packen hatte ich an Maries Handtuch Blutflecken gesehen. Noch auf dem Bahnsteig, bevor ich endlich im Zug nach Frankfurt saß, hatte ich Angst, es würde mir plötzlich eine Hand auf die Schulter gelegt und jemand würde mich mit höflicher Stimme von hinten fragen: »Gestehen Sie?« Ich hätte alles gestanden. Es war schon Mitternacht vorüber, als ich durch Bonn fuhr. Ich dachte gar nicht daran, auszusteigen.

Ich fuhr bis Frankfurt durch, kam dort gegen vier Uhr früh an, ging in ein viel zu teures Hotel und rief Marie in Bonn an. Ich hatte Angst, sie könnte nicht zu Hause sein, aber sie kam sofort an den Apparat und sagte: »Hans, Gott sei Dank, daß du anrufst, ich hab mir solche Sorgen gemacht.« »Sorgen«, sagte ich. »Ja«, sagte sie, »ich habe in Osnabrück angerufen und erfahren, daß du weg bist. Ich komme sofort nach Frankfurt, sofort.« Ich nahm ein Bad, ließ mir ein Frühstück aufs Zimmer bringen, schlief ein und wurde gegen elf von Marie geweckt. Sie war wie verändert, sehr lieb und fast fröhlich, und als ich fragte: »Hast du schon genug katholische Luft geatmet?« lachte sie und küßte mich. Ich erzählte ihr nichts von der Polizei.

13

Ich überlegte, ob ich das Badewasser noch ein zweites Mal aufbessern sollte. Aber es war verbraucht, ich spürte, daß ich raus mußte. Das Bad hatte meinem Knie nicht gutgetan, es war wieder geschwollen und fast steif. Als ich aus der Wanne stieg, rutschte ich aus und fiel beinahe auf die schönen Kacheln. Ich wollte Zohnerer sofort anrufen und ihm vorschlagen, mich in eine Artistengruppe zu vermitteln. Ich trocknete mich ab, steckte mir eine Zigarette an und betrachtete mich im Spiegel: ich war mager geworden. Beim Klingeln des Telefons hoffte ich einen Augenblick lang, es könnte Marie sein. Aber es war nicht ihr Klingeln. Es hätte Leo sein können. Ich humpelte ins Wohnzimmer, nahm den Hörer auf und sagte: »Hallo.«

»Oh«, sagte Sommerwilds Stimme, »ich habe Sie doch hoffentlich nicht bei einem doppelten Salto gestört.«

»Ich bin kein Artist«, sagte ich wütend, »sondern ein Clown — das ist ein Unterschied, mindestens so erheblich wie zwischen Jesuiten und Dominikanern — und wenn hier irgend etwas Doppeltes geschieht, dann höchstens ein Doppelmord.«

Er lachte. »Schnier, Schnier«, sagte er, »ich mache mir ernsthaft Sorgen um Sie. Sie sind wohl nach Bonn gekommen, um uns allen telefonisch Feindschaft anzusagen?«

»Habe ich Sie etwa angerufen«, sagte ich, »oder Sie mich?«

»Ach«, sagte er, »kommt es wirklich so sehr darauf an?«

Ich schwieg. »Ich weiß sehr wohl«, sagte er, »daß Sie mich nicht mögen, es wird Sie überraschen, ich mag Sie, und Sie werden mir das Recht zugestehen müssen, gewisse Ordnungen, an die ich glaube und die ich vertrete, durchzusetzen.«

»Notfalls mit Gewalt«, sagte ich.

»Nein«, sagte er, seine Stimme klang klar, »nein, nicht mit Gewalt, aber nachdrücklich, so wie es die Person, um die es geht, erwarten darf.«

»Warum sagen Sie Person und nicht Marie?«

»Weil mir daran liegt, die Sache so objektiv wie nur möglich zu halten.«

»Das ist Ihr großer Fehler, Prälat«, sagte ich, »die Sache ist so subjektiv, wie sie nur sein kann.«

Mir war kalt im Bademantel, meine Zigarette war feucht geworden und brannte nicht richtig. »Ich bringe nicht nur Sie, auch Züpfner um, wenn Marie nicht zurückkommt.«

»Ach Gott«, sagte er ärgerlich, »lassen Sie Heribert doch aus dem Spiel.«

»Sie sind witzig«, sagte ich, »irgendeiner nimmt mir meine Frau weg, und ausgerechnet den soll ich aus dem Spiel lassen.«

»Er ist nicht irgendeiner, Fräulein Derkum war nicht Ihre Frau — und er hat sie Ihnen nicht weggenommen, sondern sie ist gegangen.«

»Vollkommen freiwillig, was?«

»Ja«, sagte er, »vollkommen freiwillig, wenn auch möglicherweise im Widerstreit zwischen Natur und Übernatur. «

»Ach«, sagte ich, »wo ist denn da die Übernatur?«

»Schnier«, sagte er ärgerlich, »ich glaube trotz allem, daß Sie ein guter Clown sind — aber von Theologie verstehen Sie nichts.«

»Soviel verstehe ich aber davon«, sagte ich, »daß Ihr Katholiken einem Ungläubigen wie mir gegenüber so hart seid wie die Juden gegenüber den Christen, die Christen gegenüber den Heiden. Ich höre immer nur: Gesetz, Theologie — und das alles im Grunde genommen nur wegen eines idiotischen Fetzens Papier, den der Staat — der Staat ausstellen muß.«

»Sie verwechseln Anlaß und Ursache«, sagte er, »ich verstehe Sie, Schnier«, sagte er, »ich verstehe Sie.« »Sie verstehen gar nichts«, sagte ich, »und die Folge wird ein doppelter Ehebruch sein. Der, den Marie begeht, indem sie euren Heribert heiratet, dann den zweiten, den sie begeht, indem sie eines Tages mit mir wieder von dannen zieht. Ich bin wohl nicht feinsinnig und nicht Künstler, vor allem nicht christlich genug, als daß ein Prälat zu mir sagen würde: Schnier, hätten Sie's doch beim Konkubinat gelassen.«

»Sie verkennen den theologischen Kern des Unterschieds zwischen Ihrem Fall und dem, über den wir damals stritten.«

»Welchen Unterschied?« fragte ich, »wohl den, daß Besewitz sensibler ist — und für euren Verein eine wichtige Glaubenslokomotive?«

»Nein«, er lachte tatsächlich. »Nein. Der Unterschied ist ein kirchenrechtlicher. B. lebte mit einer geschiedenen Frau zusammen, die er gar nicht kirchlich hätte heiraten können, während Sie — nun, Fräulein Derkum war nicht geschieden, und einer Trauung stand nichts im Wege.«

»Ich war bereit zu unterschreiben«, sagte ich, »sogar zu konvertieren.«

»Auf eine verächtliche Weise bereit.«

»Soll ich Gefühle, einen Glauben heucheln, die ich nicht habe? Wenn Sie auf Recht und Gesetz bestehen — lauter formalen Dingen —, warum werfen Sie mir fehlende Gefühle vor?«

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