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»Ich werfe Ihnen gar nichts vor.«

Ich schwieg. Er hatte recht, die Erkenntnis war schlimm. Marie war weggegangen, und sie hatten sie natürlich mit offenen Armen aufgenommen, aber wenn sie hätte bei mir bleiben wollen, hätte keiner sie zwingen können, zu gehen.

»Hallo, Schnier«, sagte Sommerwild. »Sind Sie noch da?«

»Ja«, sagte ich, »ich bin noch da.« Ich hatte mir das Telefongespräch mit ihm anders vorgestellt. Um halb drei Uhr morgens ihn aus dem Schlaf wecken, ihn beschimpfen und bedrohen.

»Was kann ich für Sie tun?« fragte er leise.

»Nichts«, sagte ich, »wenn Sie mir sagen, daß diese Geheimkonferenzen in dem Hotel in Hannover einzig und allein dem Zweck dienten, Marie in ihrer Treue zu mir zu bestärken — dann will ich es Ihnen glauben.«

»Zweifellos verkennen Sie, Schnier«, sagte er, »daß Fräulein Derkums Verhältnis zu Ihnen in einer Krise war.«

»Und da müßt ihr gleich einhaken«, sagte ich, »ihr eine gesetzliche und kirchenrechtliche Lücke zeigen, sich von mir zu trennen. Ich dachte immer, die katholische Kirche wäre gegen die Scheidung.«

»Herrgott noch mal, Schnier«, rief er, »Sie können doch von mir als katholischem Priester nicht verlangen, daß ich eine Frau darin bestärke, im Konkubinat zu verharren. «

»Warum nicht?« sagte ich. »Sie treiben sie in Unzucht und Ehebruch hinein — wenn Sie das als Priester verantworten können, bitte.«

»Ihr Antiklerikalismus überrascht mich. Ich kenne das nur bei Katholiken.«

»Ich bin gar nicht antiklerikal, bilden Sie sich nichts ein, ich bin nur Anti-Sommerwild, weil Sie unfair gewesen sind und doppelzüngig sind.«

»Mein Gott«, sagte er, »wieso?«

»Wenn man Ihre Predigten hört, denkt man, Ihr Herz wäre so groß wie ein Focksegel, aber dann tuscheln und mogeln Sie in Hotelhallen herum. Während ich im Schweiße meines Angesichts mein Brot verdiene, konferieren Sie mit meiner Frau, ohne mich anzuhören. Unfair und doppelzüngig, aber was soll man von einem Ästheten anders erwarten?«

»Schimpfen Sie nur«, sagte er, »tun Sie mir Unrecht, bitte. Ich kann Sie ja so gut verstehen.«

»Nichts verstehen Sie, Sie haben Marie ein verfluchtes, gepanschtes Zeug eingetrichtert. Ich trinke nun mal lieber reine Sachen: reiner Kartoffelschnaps ist mir lieber als ein gefälschter Kognak.«

»Reden Sie nur«, sagte er, »reden Sie — es klingt ganz, als wären Sie innerlich beteiligt.«

»Ich bin daran beteiligt, Prälat, innerlich und äußerlich, weil es um Marie geht.«

»Es wird der Tag kommen, an dem Sie einsehen, daß Sie mir Unrecht getan haben, Schnier. In dieser Sache und im allgemeinen —« seine Stimme nahm eine fast weinerliche Färbung an, »und was mein Panschen betrifft, vielleicht vergessen Sie, daß manche Menschen Durst haben, einfach Durst, und daß ihnen Gepanschtes lieber sein könnte als gar nichts zu trinken.«

»Aber in Ihrer Heiligen Schrift steht doch die Sache von dem reinen, klaren Wasser — warum schenken Sie das nicht aus?«

»Vielleicht«, sagte er zittrig, »weil ich — ich bleibe in Ihrem Vergleich —, weil ich am Ende einer langen Kette stehe, die das Wasser aus dem Brunnen schöpft, ich bin vielleicht der hundertste oder tausendste in der Kette und das Wasser ist nicht mehr ganz so frisch — und noch eins, Schnier, hören Sie?« — »Ich höre«, sagte ich. — »Sie können eine Frau auch lieben, ohne mit ihr zusammenzuleben.«

»So?« sagte ich, »jetzt fangen Sie wohl von der Jungfrau Maria an.«

»Spotten Sie nicht, Schnier«, sagte er, »das paßt nicht zu Ihnen.«

»Ich spotte gar nicht«, sagte ich, »ich bin durchaus fähig, etwas zu respektieren, was ich nicht verstehe. Ich halte es nur für einen verhängnisvollen Irrtum, einem jungen Mädchen, das nicht ins Kloster gehen will, die Jungfrau Maria als Vorbild anzubieten. Ich habe sogar einmal einen Vortrag darüber gehalten.«

»So?« sagte er, »wo denn?«

»Hier in Bonn«, sagte ich, »vor jungen Mädchen. Vor Maries Gruppe. Ich bin von Köln rübergekommen an einem Heimabend, habe den Mädchen ein paar Faxen vorgemacht und mich mit ihnen über die Jungfrau Maria unterhalten. Fragen Sie Monika Silvs, Prälat. Ich konnte mit den Mädchen natürlich nicht über das reden, was Sie das fleischliche Verlangen nennen! Hören Sie noch?«

»Ich höre«, sagte er, »und staune. Sie werden recht drastisch, Schnier.«

»Verflucht noch mal, Prälat«, sagte ich, »der Vorgang, der zur Zeugung eines Kindes führt, ist eine ziemlich drastische Sache — wir können uns auch, wenn es Ihnen lieber ist, über den Klapperstorch unterhalten. Alles, was über diese drastische Sache gesagt, gepredigt und gelehrt wird, ist Heuchelei. Ihr haltet im Grunde eures Herzens diese Sache für eine aus Notwehr gegen die Natur in der Ehe legitimierte Schweinerei — oder macht euch Illusionen und trennt das Körperliche von dem, was außerdem noch zu der Sache gehört — aber gerade das, was außerdem dazu gehört, ist das Komplizierte. Nicht einmal die Ehefrau, die ihren Eheherrn nur noch erduldet, ist nur Körper — und nicht der dreckigste Trunkenbold, der zu einer Dirne geht, ist nur Körper, sowenig wie die Dirne. Ihr behandelt diese Sache wie eine Sylvesterrakete — und sie ist Dynamit.«

»Schnier«, sagte er matt, »ich bin erstaunt, wieviel Sie über die Sache nachgedacht haben.«

»Erstaunt«, schrie ich, »Sie sollten erstaunt sein über die gedankenlosen Hunde, die ihre Frauen einfach als rechtmäßigen Besitz betrachten. Fragen Sie Monika Silvs, was ich den Mädchen damals darüber gesagt habe. Seitdem ich weiß, daß ich männlichen Geschlechts bin, habe ich fast über nichts so sehr nachgedacht — und das erstaunt Sie?«

»Ihnen fehlt jede, aber auch die geringste Vorstellung von Recht und Gesetz. Diese Dinge – wie kompliziert sie auch sein mögen — müssen doch geregelt werden.«

»Ja«, sagte ich, »von euren Regeln habe ich ein bißchen mitbekommen. Ihr schiebt die Natur auf ein Gleis, das Ihr Ehebruch nennt — wenn die Natur in die Ehe einbricht, bekommt Ihr es mit der Angst zu tun. Gebeichtet, verziehen, gesündigt — und so weiter. Alles gesetzlich geregelt.«

Er lachte. Sein Lachen klang gemein. »Schnier«, sagte er, »ich merke schon, was mit Ihnen los ist. Offenbar sind Sie so monogam wie ein Esel.«

»Sie verstehen nicht einmal etwas von Zoologie«, sagte ich, »geschweige denn vom homo sapiens. Esel sind gar nicht monogam, obwohl sie fromm aussehen. Bei Eseln herrscht vollkommene Promiskuität. Raben sind monogam, Stichlinge, Dohlen und manchmal Nashörner. «

»Marie offenbar nicht«, sagte er. Er mußte wohl gemerkt haben, wie mich dieser kleine Satz traf, denn er fuhr leise fort: »Tut mir leid, Schnier, ich hätte es Ihnen gern erspart, glauben Sie mir das?«

Ich schwieg. Ich spuckte den brennenden Zigarettenstummel auf den Teppich, sah, wie die Glut sich verteilte, kleine, schwarze Löcher brannte. »Schnier«, rief er flehend, »glauben Sie mir wenigstens, daß ichs Ihnen nicht gern sage.«

»Ist es nicht gleichgültig«, sagte ich, »was ich Ihnen glaube? Aber bitte: ich glaubs Ihnen.«

»Sie sprachen eben soviel von Natur«, sagte er, »Sie hätten ihrer Natur folgen, hinter Marie herreisen und um sie kämpfen sollen.«

»Kämpfen«, sagte ich, »wo steht das Wort in euren verdammten Ehegesetzen.«

»Es war keine Ehe, was Sie mit Fräulein Derkum führten.«

»Gut«, sagte ich, »meinetwegen. Keine Ehe. Ich habe fast jeden Tag mit ihr zu telefonieren versucht und ihr jeden Tag geschrieben.«

»Ich weiß«, sagte er, »ich weiß. Jetzt ist es zu spät.«

»Jetzt bleibt wohl nur der offene Ehebruch«, sagte ich.

»Sie sind dessen unfähig«, sagte er, »ich kenne Sie besser als Sie glauben, und Sie mögen schimpfen und mir drohen, soviel Sie wollen, ich sags Ihnen, das Schreckliche an Ihnen ist, daß Sie ein unschuldiger, fast möchte ich sagen, reiner Mensch sind. Kann ich Ihnen helfen... ich meine...«

Er schwieg.

»Sie meinen mit Geld«, fragte ich.

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