Er trat mir hart auf die Füße. Ich roch sein Parfüm, als er so dicht vor mir stand. Ich rührte mich nicht. Ich wußte, daß es zwecklos war, Widerstand zu leisten, und noch zweckloser, den tapferen Mann zu markieren. Es würde meinen Peinigern die größte Freude gemacht haben, das zu brechen. So ließ ich mich beim nächsten Schlag, der mit einem Spazierstock erfolgte, stöhnend umsinken. Gelächter war die Folge. „Machen Sie ihn munter, Möller", sagte der junge Mann mit zärtlicher Stimme.
Möller zog an seiner Zigarette, beugte sich zu mir herunter und hielt sie mir ans Augenlid. Der Schmerz war so, als hätte er Feuer ins Auge geschüttet. Die drei lachten. „Steh auf, mein Kerlchen", sagte der Lächler.
Ich taumelte hoch. Ein Schlag von ihm traf mich, als ich kaum stand. „Dies sind nur Übungen zum Aufwärmen", erklärte er. „Wir haben ja Zeit, ein ganzes Leben lang — Ihr ganzes Leben lang, Schwarz. Beim nächsten Simulieren haben wir eine zauberhafte Überraschung für Sie. Sie werden mit allen vieren in die Luft fliegen."
„Ich simuliere nicht", erwiderte ich. „Ich bin schwer herzkrank. Es mag sein, daß ich beim nächsten Mal nicht wieder aufstehen werde, was immer Sie auch tun."
Der Lächler drehte sich zu den Bullen: „Herzkrank ist unser Bübchen, soll man das glauben?"
Er gab mir einen neuen Schlag, aber ich spürte, daß ich Eindruck gemacht hatte. Tot konnte er mich Georg nicht übergeben. „Ist Ihnen die Adresse noch nicht eingefallen?" fragte er. „Es ist einfacher, sie jetzt zu sagen, als später, wenn Sie keine Zähne mehr haben."
„Ich weiß sie nicht. Ich wollte, ich wüßte sie."
„Unser Kerlchen ist heroisch. Wie hübsch! Schade, daß keiner außer uns es je sehen wird."
Er trat mich, bis er müde wurde. Ich lag auf der Erde und versuchte, mein Gesicht und meine Geschlechtsteile zu schützen. „So", sagte er schließlich „jetzt sperren wir unser Bübchen in den Keller. Dann werden wir zu Abend essen, und nachher geht es dann richtig los. Eine schöne Nachtsitzung!"
All dieses kannte ich. Es gehörte mit Schiller und Goethe zur Kultur des faustischen Menschen, und ich hatte es im Lager in Deutschland durchgemacht. Aber ich hatte mein Gift bei mir; man hatte mich nur oberflächlich untersucht und es nicht gefunden. Ich besaß auch noch, lose in den Überschlag meiner Hose eingenäht, eine Rasierklinge, die in ein Stückchen Kork eingesetzt war; auch sie war nicht entdeckt worden.
Ich lag im Dunkeln. Es ist sonderbar, daß die Verzweiflung in solchen Situationen im Anfang nicht so sehr ihre Ursache in dem hat, was einen erwartet, sondern darin, daß man so dumm war, sich fangen zu lassen.
Lachmann hatte gesehen, wie ich geschnappt wurde. Er wußte zwar nicht, daß es die Gestapo war, da französische Polizei beteiligt zu sein schien — aber wenn ich spätestens in einem Tag nicht zurück war, würde Helen versuchen, mich über die Polizei zu erreichen, und wahrscheinlich erfahren, wer mich in Gewahrsam hatte. Dann würde sie kommen. Die Frage war, ob der Lächler darauf warten wollte. Ich nahm an, daß er Georg eiligst informieren würde. Wenn Georg in Marseille war, würde er mich abends noch vernehmen.
Er war in Marseille, Helen hatte richtig gesehen. Er kam und nahm mich vor. Ich will darüber nicht reden. Ich wurde mit Wasser übergossen, wenn ich ohnmächtig wurde. Dann wurde ich in den Keller zurückgeschleppt. Nur das Gift, das ich besaß, ließ mich das, was passierte, überstehen. Georg hatte zum Glück keine Geduld für die subtilen Folterungen, die mir der Lachler versprochen hatte; aber er war in seiner Weise auch nicht schlecht.
„Er kam noch einmal nachts", sagte Schwarz. „Er setzte sich breitbeinig auf einen Schemel vor mich — das Symbol der absoluten Macht, das wir glaubten im neunzehnten Jahrhundert längst überwunden zu haben und das trotzdem zum Wahrzeichen des zwanzigsten geworden ist — vielleicht gerade deshalb. Ich sah an diesem Tage zwei Manifestationen des Bösen — den Lächler und Georg, den absolut Bösen und den brutal Bösen. Von beiden war der Lächler der schlimmere, wenn man noch Unterschiede machen will — er quälte aus Lust, der andere, um seinen Willen durchzusetzen. Ich hatte inzwischen einen Plan erdacht. Ich mußte auf irgendeine Weise aus dem Hause heraus; ich tat deshalb, als Georg vor mir saß, als wäre ich völlig gebrochen. Ich wäre bereit, alles zu sagen, erklärte ich, wenn er mich schone. Er hatte das satte, verächtliche Grinsen eines Mannes, der nie in einer ähnlichen Situation gewesen ist und deshalb glaubt, er würde sie wie ein Held aus dem Lesebuch bestehen. Dieser Typ besteht sie nie."
„Ich weiß", sagte ich. „Ich habe einen Gestapo-Offizier heulen hören, als er sich den Daumen quetschte, während er jemand mit einer Stahlkette erschlug. Der, der erschlagen wurde, war still."
„Georg gab mir einen Tritt", sagte Schwarz. „So, Bedingungen stellen willst du auch noch, was?" fragte er.
„Ich stelle keine Bedingungen", erwiderte ich. „Aber wenn Sie Helen nach Deutschland zurückbringen, wird sie wieder weglaufen oder sich das Leben nehmen."
„Blödsinn!" schnaubte Georg.
„Helen ist das Leben ziemlich gleichgültig", sagte ich. „Sie weiß, daß sie Krebs hat und unheilbar ist."
Er starrte mich an. „Das lügst du Aas! Sie hat ein Frauenleiden, keinen Krebs!"
„Sie hat Krebs. Als sie das erstemal in Zürich operiert wurde, hat man es erkannt. Es war schon damals zu spät. Man hat es ihr gesagt."
„Wer?"
„Der Mann, der sie operiert hat. Sie wollte es wissen."
„So ein Schwein!" brüllte Georg. „Aber ich werde auch das Luder fassen! Wir werden in einem Jahr die Schweiz deutsch gemacht haben! So ein Unmensch!"
„Ich wollte, daß Helen zurückginge", sagte ich. „Sie hat sich geweigert. Aber ich glaube, daß sie es täte, wenn ich ihr sagen würde, daß wir uns trennen müßten."
„Lächerlich!"
„Ich könnte es so scheußlich machen, daß sie mich für ihr Leben hassen würde", sagte ich.
Ich sah, wie Georgs Gedanken arbeiteten- Ich hatte mich auf meine Hände gestützt und beobachtete ihn. Eine Stelle zwischen meinen Brauen schmerzte, so sehr versuchte ich, ihm meinen Willen aufzudrängen. „Wie?" erwiderte er schließlich. „Sie fürchtet sich, daß man ihre Krankheit kennt und sich vor ihr ekelt. Wenn ich ihr das sagen würde, wäre sie für immer fertig mit mir."
Georg überlegte. Ich konnte jedem seiner Gedanken folgen. Er sah, daß dieser Vorschlag der günstigste für ihn war. Selbst wenn er Helens Adresse aus mir herausfolterte, würde sie ihn nur noch mehr hassen; wenn ich mich dagegen wie ein Schuft gegen sie benähme, würde sie mich hassen, und er würde als der Retter auftreten können mit: „Habe ich es dir nicht immer gesagt?"
„Wo wohnt sie?" fragte er.
Ich nannte eine falsche Adresse. „Das Haus hat ein halbes Dutzend Ausgänge", sagte ich „durch Keller und verbundene Straßen. Sie kann leicht fliehen, wenn Polizei käme. Sie wird nicht fliehen, wenn ich allein komme."
„Oder ich", erklärte Georg.
„Sie würde glauben, Sie hätten mich getötet. Sie hat Gift."
„Quatsch!"
Ich wartete. „Und was willst du dafür?" fragte Georg.
„Daß Sie mich laufenlassen."
Er lächelte eine Sekunde. Es war, als zeige ein Tier die Zähne. Ich wußte sofort, daß er mich nie loslassen würde. „Gut", sagte er dann. „Du kommst mit mir. Damit du keine Tricks machst. Du wirst es ihr sagen, während ich dabeistehe."
Ich nickte. „Los!" Er stand auf. „Wasch dich an dem Hahn da."
„Ich nehme ihn mit", sagte er zu einem der Bullen, der in einem Zimmer mit Geweihen sich herumlümmelte. Der Bulle salutierte und öffnete die Tür zu Georgs Wagen. „Hier, neben mich", sagte Georg. „Kennst du den Weg?"
„Nicht von hier. Von der Cannebiere aus." Wir fuhren in die windige und kalte Nacht. Ich hatte gehofft, mich irgendwo, wenn das Auto langsam fahren oder hallen mußte, aus dem Wagen fallen zu lassen; aber Georg hatte meine Tür abgeschlossen. Rufen hätte auch nichts genützt; niemand kam einem Menschen, der aus einem deutschen Wagen rief, zu Hilfe, und bevor ich aus einer Limousine mit geschlossenen Fenstern zweimal hätte rufen können, wäre ich von Georg bewußtlos geschlagen worden. „Mensch, hoffe, daß du die Wahrheit gesagt hast", knurrte er. „Sonst lasse ich dich abhäuten und in Pfeffer legen."