Bolitho klopfte ihm auf den Arm.»Du kannst wohl Gedanken lesen, alter Freund. «Zwei Möwen schwangen sich über die Schaumkronen, Sonnenlicht fiel durch ihre gespreizten Flügel. Wie damals durch Catherines Fächer. Bolitho sagte:»Ich komme mir so machtlos vor. «Dann besann er sich.»Entschuldige, ich sollte meine Sorgen nicht auf dich abwälzen.»
Mit schmalen Augen beobachtete Allday die langen Schaumkronen. Es war wie das Abschätzen einer Kanonade. Ein Schuß zu hoch, einer zu niedrig, der nächste würde treffen.
Er sagte:»Übrigens, sie sprach mich an, bevor wir den Hafen verließen.»
Bolitho staunte.»Sie sprach dich an?»
Allday war verletzt.»Nun, einige Frauen sind eben so frei, mit unsereinem zu reden.»
Bolitho beschwichtigte ihn.»Bitte keine Späßchen, Alter.»
Allday fuhr fort:»Sie war aufrichtig um Sie besorgt und wollte Sie das irgendwie wissen lassen.»
Bolitho hieb die Faust auf die verwitterte Reling.»Und ich habe nicht einmal versucht, sie zu verstehen! Jetzt habe ich sie verloren!«brach es aus ihm heraus.
Allday guckte ins Leere.»Ich kannte mal ein Mädel in meinem Dorf. Es war richtig verschossen in den Sohn des Gutsherrn. Ein junges Blut war sie, wie für ihn gemacht, aber sie war überhaupt nicht vorhanden für ihn, diesen Bastard — 'tschuldigung, Sir Richard. Eines Tages warf sie sich vor seine Kutsche. Ich vermute, sie konnte es nicht länger ertragen, übersehen zu werden. «Er studierte seine verarbeiteten Hände.»Sie wurde überfahren und starb.»
Bolitho rührten diese schlichten Worte, und er fragte sich, was Allday ihm damit sagen wollte. Hatte Catherine etwa seinetwegen diese Reise unternommen? Warum hatte er nicht erkannt, daß ihre Liebe nicht auf die leichte Art zu gewinnen war? Er dachte an Valentine Keen und an sein Mädchen mit den Mondscheinaugen. Der hatte viel riskiert und darum auch alles gewonnen.
Allday entschuldigte sich und ging, wahrscheinlich um mit seinen Freunden oder mit Ozzard in der Anrichte einen Schluck zu trinken. Mr. Penhaligon, die breiten Hände in die Hüften gestemmt, begutachtete den Stand jedes neu gesetzten Segels. Haven schmollte und spähte auf den Kompaß. Hinter ihm wartete Parris, er wollte die
Wache wegtreten lassen. Von unten kam das regelmäßige Quietschen der Pumpen, die alte Hyperion hatte alle in Betrieb. Dennoch — Bolitho lauschte — , da war ein neues Geräusch, das sich vordrängte.»Geschützfeuer!«rief er plötzlich.
Die Schärfe in seiner Stimme ließ mehrere Männer zusammenzucken. Allday, der sich noch auf der Treppe befand, drehte sich um. Dann meldete der Signalfähnrich aufgeregt:»Aye, Sir Richard, ich höre es auch!»
Haven schritt ebenfalls zur Reling und drehte den Kopf in die Richtung, offenbar ohne etwas zu vernehmen. Jenour kam angerannt.
Bolitho beschattete die Augen, als der Fähnrich rief:»Signal von Phaedra, Sir! Segel im Nordwesten!»
Männer kletterten in die Wanten. Ihr Unbehagen schien vergessen, jedenfalls im Moment.
Jenour fragte:»Was hat das zu bedeuten, Sir Richard?»
Bolitho befahl, daß Phaedra sich absetzen und aufklären sollte. Minuten später, als das Signal bestätigt war, kam er auf Jenours Frage zurück:»Das war ein kleines Kaliber, Stephen, Drehbassen oder dergleichen.»
Wieso hatte er es gehört, viele andere um ihn herum aber nicht? Er sagte:»Signal an die Brigg Tetrarch, sie soll zu uns aufschließen.»
Allday sah der Korvette nach und bemerkte beifällig:»Donnerwetter, seht mal, wie die dahingeht. »
Ihr Kupferboden glänzte im diesigen Sonnenlicht, als sie schnittig wendete und mehr Segel setzte, bis sie auf Steuerbordbug hart am Wind lag.
Allday fügte hinzu:»Wie Ihre Sparrow damals, Kapitän.»
Schnell verbesserte er verlegen:»Sir Richard, meine ich.»
Bolitho nahm ein Teleskop aus dem Gestell.»Ich erinnere mich. Hoffentlich weiß Jung-Dunstan sie zu schätzen. «Dann senkte er das Fernrohr; zuviel Gischt und Dunst.
War es vielleicht ein Freibeuter, der mit einem Barbudahändler die Klingen kreuzte? Oder einer der Lokalpatrioten, der Wind und See trotzte und eine feindliche Korvette verfolgte? Phaedra würde es bald wissen. Es konnte auch ein Köder sein, um sie vom
Schatz fortzulocken. Er lächelte grimmig. Wie würde Haven nun reagieren?
«Nordwest zu Nord, Sir!«Der Rudergänger mußte schreien, um sich bei dem heulenden Wind Gehör zu verschaffen. Er drückte die Korvette so weit auf die Seite, daß es fast unmöglich wurde, aufrecht an Deck zu stehen.
Commander Alfred Dunstan suchte Halt an der Reling und schob den Zweispitz auf dem rotblonden Haar zurecht. Er führte die Phaedra jetzt achtzehn Monate. Es war sein erstes selbständiges Kommando, und wenn das Glück ihm treu blieb, würde demnächst die begehrte Epaulette seine rechte Schulter schmücken. Das wäre dann der erste Schritt zum Vollkapitän.
Er brüllte:»Zwei Strich mehr nach Luv, Mr. Meheux! Verflucht noch mal, er soll uns nicht entgehen, egal, was er ist!»
Erster Leutnant und Segelmeister tauschten schnelle Blicke. Phaedra segelte schon so hoch am Wind, wie man es nur wagen konnte, ihre hart angebraßten Rahen und flachen Segel schienen fast längsschiffs zu stehen. Das Schiff lag so weit über, daß die See um die Lafetten der Decksgeschütze kochte und die Seeleute näßte, bis deren bloße Oberkörper wie Bronzeskulpturen glänzten.
Dunstan strengte die Augen an, damit ihm nur ja kein fremdes Segel entging. Seine Toppsgasten ritten auf den Rahen und dachten zweifellos an die beiden über Bord Gegangenen von der Obdurate.
«Voll und bei, Sir! Nordwest zu West!»
Deck und Takelage schienen sich heftig zu wehren, als das Schiff noch mehr überholte, und die Stagen vibrierten wie straffe Saiten einer Baßgeige.
Der Erste Leutnant, mit seinen dreiundzwanzig Jahren gerade ein Jahr jünger als der Kommandant, meldete:»Viel mehr kann das Schiff nicht aushalten, Sir.»
Dunstan grinste fröhlich. Er hatte ein offenes Gesicht und einen spöttischen Mund. Einige hatten ihm eingeredet, er sähe wie
Nelson aus. Dunstan mochte diese Schmeichelei, denn er hatte die Ähnlichkeit schon längst selbst entdeckt.
«Pfeif drauf! Was bist du, ein altes Weib?»
Sie lachten beide wie Schuljungen; denn Meheux war der Vetter des Kommandanten, und jeder wußte, was der andere dachte.
Als eine Leine mit dem Knall eines Pistolenschusses brach, preßte Dunstan die Lippen zusammen. Aber zwei Mann waren bereits am Spleißen, und er sagte nur:»Wir müssen so hoch an den Wind wie möglich, falls die Burschen uns die Hacken zeigen und davonlaufen wollen.»
Meheux mochte nicht streiten, er kannte ihn zu gut. Die See brauste übers Deck und schleuderte zwei fluchende Matrosen in die Speigatten. Einer schlug gegen ein festgelaschtes Geschütz und bewegte sich nicht mehr. Er war besinnungslos, hatte vielleicht einige Rippen gebrochen. Kameraden zerrten ihn zur Luke. Die anderen duckten sich wie Sportler vor dem Start, um dem nächsten überkommenden Sturzbach zu entgehen.
Meheux genoß die Aufregung, und auch Dunstan fühlte sich niemals wohler, als wenn er sich von der Autorität des Admirals und vom Schürzenzipfel der Flotte lösen konnte. Sie kannten weder die Herkunft noch die Bedeutung des Kanonendonners. Es konnte sogar ein anderes britisches Kriegsschiff sein, das einen feindlichen Blockadebrecher aufbrachte. Wenn das der Fall war, würde es diesmal kein Prisengeld zu teilen geben. Der andere Kommandant würde schon dafür sorgen.
Dunstan kletterte in die Webeleinen. Die Seen schienen nach seinen Füßen zu greifen, als er das Teleskop einstellte und auf den nächsten Schrei aus dem Masttopp wartete.
Da brüllte der Ausguck auch schon:»An Steuerbord voraus, Sir!«Er verstummte, als das Schiff sich hob und dann in ein langes Wellental glitt. Tief hinab, bis seine verzierte Galionsfigur so weit unterschnitt, als sei Phaedra schon auf dem Weg zum Meeresboden. Der Anprall mußte den Ausguck fast von seiner wackeligen Sitzstange gerissen haben.