«Bevor Sie gehen, Kapitän Haven. «Bolitho unterdrückte ein Blinzeln, denn der Schleier zog sich wieder über sein linkes Auge.»Auf ein Wort noch: Lassen Sie diese beiden Männer nicht auspeitschen. Ich kann mich nicht offen einmischen, weil dann jeder an Bord sofort merken würde, daß ich Partei gegen Sie ergriffen habe. Was Sie natürlich schon wußten, als Sie in meiner Gegenwart mit Ihrem Ersten die Klingen kreuzten.»
Haven wurde ein wenig blaß.
«Gott weiß, diese Menschen verlangen wenig genug. Aber mit ansehen zu müssen, wie ihre Kameraden ausgepeitscht werden, ehe man sie in die Schlacht schickt, das kann nur Schaden anrichten. Ihre Treue und Loyalität sind für uns lebenswichtig. Aber denken Sie daran: Solange sie unter meiner Flagge stehen, gilt diese Loyalität für beide Seiten.»
Haven trat zur Tür zurück.»Ich hoffe doch, meine Pflichten zu kennen, Sir Richard.»
«Das hoffe ich auch. «Er wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte, und rief dann aus:»Gott verdamme ihn!»
Jenour trat ein und wischte sich mit einem Lappen den Teer von den Fingern. Er taxierte Bolithos Stimmung.»Schöne Aussicht von dort oben. Ich kam nur, um zu melden, daß Ihre Signale übermittelt und bestätigt wurden. «Als Schritte über ihren Köpfen laut wurden und Stimmen vom Großdeck widerhallten, erklärte er:»Wir sind dabei, über Stag zu gehen, Sir Richard.»
Der hörte kaum hin.»Was ist los mit dem Mann, eh?»
Jenour begriff sofort.»Jetzt weiß er wenigstens, was ihm bevorsteht.»
Bolitho nickte.»Ich dachte, daß jeder Flaggkapitän nur zu gern die Gelegenheit ergreifen würde, unabhängig von seinem Admiral zu operieren. Ich jedenfalls hätte es. «Er sah sich in der Kajüte nach den Geistern der Vergangenheit um.»Statt dessen denkt er an nichts anderes als.»
Er zügelte sich. Undenkbar, mit Jenour über den Flaggkapitän zu debattieren. War er denn schon so isoliert, daß er keinen anderen Trost fand?
Jenour sagte schlicht:»Ich bin nicht so unverschämt und sage, was ich denke, Sir Richard. Aber ich würde mein Letztes geben, wenn Sie es mir befehlen.»
Bolitho entspannte sich und klopfte ihm auf die Schulter.»Man sagt, daß der Glaube Berge versetzen kann, Stephen!»
Jenour stockte der Atem. Bolitho hatte ihn mit Vornamen angeredet. Ein Versehen?
Bolitho sagte weiter:»Wir lassen uns vor der Abenddämmerung auf Thor übersetzen, Stephen. Es muß schnell gehen, denn wir haben noch einen weiten Weg vor uns.»
Es war also doch kein Versehen! Jenour stotterte gerührt:»Ihr Bootssteurer wartet draußen, Sir Richard.»
Er sah Bolitho durch die Kajüte schreiten und erschrak, als der Admiral mit einem Stuhl kollidierte, den Haven verrückt haben mußte.»Geht es Ihnen gut, Sir Richard?»
Er wich zurück, als Bolitho herumfuhr. Doch stand kein Ärger in dessen Gesicht.»Mein Auge stört mich ein bißchen, aber es ist nichts weiter. Schicken Sie jetzt Allday rein.»
Doch Allday hastete schon an Jenour vorbei.»Jetzt muß ich meinen Spruch aufsagen, Sir Richard! Wenn Sie auf die Bombarde übersteigen. «Er spuckte das Wort fast aus.»Dann will ich bei Ihnen sein, wie immer. Und sonst schert mich nichts, mit Verlaub, Sir Richard.»
Bolitho entgegnete:»Du hast wieder mal getrunken, Allday.»
«Ein bißchen, Sir, nur ein paar Kleine, bevor wir von Bord gehen, zusammen natürlich. «Er legte den Kopf schräg wie ein zottiger Hund.»Wir gehen doch zusammen, nicht wahr, Sir?»
Die Antwort fiel ihm überraschend leicht.»Ja, alter Freund, wir gehen zusammen — wieder mal.»
Allday betrachtete ihn ernst, er ahnte etwas.»Was is' los, Sir?»
Bolitho sagte zögernd wie zu sic h selbst:»Fast hätte ich es dem jungen Jenour erzählt: Ich fürchte mich entsetzlich, blind zu werden.»
Allday befeuchtete sich die Lippen.»Der Junge sieht in Ihnen so was wie einen Helden, Sir.»
«Du nicht?«Aber keiner von beiden lächelte.
Allday machte sich Vorwürfe, daß er nicht zur Stelle gewesen war, als er gebraucht wurde. Obendrein ärgerte er sich, wenn er Haven mit Kapitän Keen oder mit Herrick verglich. Er sah sich in der Kajüte um, wo sie soviel miteinander geteilt und auch verloren hatten. Jetzt hatte Bolitho niemanden, mit dem er teilen konnte. Unten, in den Mannschaftsdecks, dachten sie, der Admiral brauche sich nichts zu wünschen, er hätte alles. Aber bei Gott, das war es gerade, er hatte nichts.
Allday meinte:»Ich weiß, es ziemt mir nicht, es auszusprechen, aber.»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Wann hat dich das jemals abgehalten?»
Allday blieb hartnäckig.»Ich weiß eben nicht, wie man es in der Sprache der Offiziere ausdrückt, Sir. «Er holte tief Atem.»Aber Käpt'n Havens Frau kriegt ein Baby, wahrscheinlich hat sie es jetzt schon. Würde mich nicht wundern.»
«Na und, Mann?«drängte Bolitho.
Allday mußte nach Luft schnappen, als er die Ungeduld in den grauen Augen sah.»Er glaubt, daß ein anderer der Vater ist. «Bolitho war überrascht, was Allday wußte.»Ich verstehe.»
Es war das alte Lied: ein Schiff auf See, eine gelangweilte Ehefrau und ein passender Liebhaber. Ausgerechnet Allday mußte ihn daraufbringen.
Bolitho betrachtete ihn nachdenklich. Wie hätte er ihn zurücklassen können? Welch ein Paar sie abgaben! Der eine durch einen spanischen Säbelhieb verwundet, der andere langsam erblindend.
Er sagte:»Ich muß Briefe schreiben.»
Er sah Cornwall im späten Oktober vor sich: grauer Himmel und die leuchtenden Farben des Herbstlaubs. Axthiebe auf den Feldern, wo sich die Farmer nun Zeit nahmen, ihre Zäune und Tore zu reparieren. Die ältliche Heimwehr exerzierte auf dem Platz vor der Kirche, in der Bolitho geheiratet hatte.
Allday schob sich sachte in Ozzards Anrichte. Er wollte den kleinen Mann bitten, für ihn einen Brief an die Wirtstochter in Falmouth zu schreiben. Doch Gott allein wußte, ob sie ihn jemals erhalten würde.
Er dachte an Lady Belinda und den Tag, als man sie in der umgekippten Kutsche gefunden hatte. Und an die andere namens Catherine, die ihre Liebe zu Bolitho bewahrt hatte. Eine gutaussehende Frau, aber mit dem Teufel im Leib. Er grinste. Eben eine Seemannsbraut, egal welche Flagge sie an ihrer Rahnock zeigte. Wenn sie nur die Richtige für Bolitho war, allein das zählte.
Allein am Schreibtisch sitzend, legte sich Bolitho das Briefpapier zurecht. Sonnenlicht fiel auf die Feder. In seinem Kopf kreisten die Worte, die er schon so oft geschrieben hatte: Meine liebste Belinda…
Mittags machte er seinen Spaziergang an Deck. Als Ozzard die Kajüte betrat, um aufzuräumen, erblickte er das Briefpapier und daneben die Feder.
Keines von beiden war benutzt worden.
VI Im Krieg gibt es keine Neutralität
Das Übersetzen von der Hyperion zum Mörserschiff Thor verlief kurz vor Sonnenuntergang ohne Zwischenfälle. Männer, Waffen und zusätzliche Munition wurden ebenfalls hinübergerudert. In der hohen Dünung stiegen und fielen die Boote so stark, daß sie zwischen den Wellenkämmen fast verschwanden.
Bolitho stand auf dem Achterdeck, während Hyperion mit killenden Segeln beigedreht lag, und bewunderte wieder einmal die elementare Schönheit des Sonnenuntergangs. Die lange, schwingende Dünung glühte wie rauhe Bronze, die Boote und ihre Ruderer schienen vergoldet. Sogar die Gesichter um ihn herum sahen in diesem Licht unwirklich aus.
Nachdem zwei von Hyperions Booten mit dreißig Mann sicher abgelegt hatten, machte Bolitho in einer Jolle die letzte Überfahrt. Kaum hatte er die Thor erreicht, schwangen die Rahen der Hyperion herum. Ihre Silhouette schrumpfte, als sie abdrehte und im letzten Sonnenlicht den beiden Briggs nachsegelte.
Wenn Commander Ludovic Imrie sich durch die Anwesenheit des Admirals an Bord seines bescheidenen Schiffes bedrängt fühlte, zeigte er es jedenfalls nicht. Es überraschte ihn jedoch, als Bolitho seine Epauletten ablegte und vorschlug, daß Imrie als