Bolitho zog seinen Degen. Diese Spanier hatten überhaupt keine Chance, wenn ihnen nicht der andere Zweidecker zu Hilfe kam. Doch den nahm jetzt einer aus Bolithos Geschwader, wahrscheinlich Crusader, unter Feuer und bestrich ihn mit einer Breitseite von hinten bis vorne. Rauch und Trümmer wirbelten in die Luft und flogen sogar bis auf die Decks der Hyperion.
Hier aber wurde kräftig gefochten. Ein Leutnant führte die kleine Gruppe der Spanier an. Als er Bolitho erblickte, zückte er seinen Degen und machte einen Ausfall. Jenour behauptete seinen Platz, aber der Spanier war ein guter Fechter. Er bog Jenours blaue Klinge wie ein Rohr zur Seite, drehte sie mit seinem Handschutz und ließ sie davonfliegen. Er drängte nach, balancierte sich für den Todesstoß aus — und starrte entsetzt auf einen Spieß, der durch die Leiter zum Achterdeck zuckte. Der Seemann dahinter stieß nach und bohrte das Mordinstrument mit einem irrsinnigen Schrei in den Bauch des Leutnants.
Bolitho sah sich einem anderen Spanier gegenüber, der mit einem schweren Entersäbel bewaffnet war. Er schrie:»Ergebt euch endlich, verdammt!»
Aber ob er begriff oder nicht, der fremde Seemann gab nicht auf. Die breite Klinge beschrieb einen großen Bogen. Bolitho sprang mit Leichtigkeit beiseite, stürzte aber beinahe, als ein Sonnenstrahl durch den Rauch fiel und sein krankes Auge traf. Er war wie schon einmal mit Blindheit geschlagen.
Parris brüllte:»Stoppt den Mann!»
Bolitho konnte nur mutmaßen, was sich ereignete, und erwartete die brennende Qual des Entersäbels, den er nicht sah. Jemand schrie auf, und zusätzliche Rufe verrieten ihm, daß mehr von Keens Leuten herzukamen, um die letzten Angreifer zurückzuschlagen.
Alldays Verstand setzte aus, als der Spanier gegen Bolitho ausfiel, der sich anscheinend nicht wehren konnte. Alldays Klinge traf ihn flach am Kopf und glitt ab, aber sie hatte die ganze Kraft des Bootsteurers hinter sich. Der andere Mann taumelte, blinzelte in die plötzliche Helle und sah Allday auf sich zukommen.
Jenour, der in den blutbefleckten Speigatten seinen verlorenen Degen suchte, hörte nur Alldays nächsten Hieb. Doch Parris, von einem Schlag auf seine verletzte Schulter gelahmt, sah, wie der Entersäbel des Spaniers Unterarm abhackte. Im nächsten Augenblick lag er, noch mit dem Säbel daran, an Deck. Allday schnaubte:»Und das ist für mich, du Hund!«Er unterbrach den Schrei des Mannes mit einem letzten Hieb ins Genick.
Dann faßte er nach Bolithos Arm.»Alles in Ordnung, Sir Richard?»
Bolitho atmete mehrmals tief durch, seine Lungen brannten wie Feuer.»Ja. Ja, alter Freund… Die Sonne…»
Dann sah er, daß sich Jenour verfärbte, und hielt ihn zunächst für verwundet. Vom Deck des längsseit liegenden Spaniers und aus dem Durcheinander seiner Takelage ertönte wilder Jubel. Ein Windstoß blies den Rauch fort, und Bolitho erkannte die Ursache für Jenours Bestürzung.
Das spanische Flaggschiff San Mateo hatte sich des
Nahkampfes enthalten oder so lange gebraucht, um zu wenden. Über seinem hohen Spiegelbild schien es zu strahlen. Es hatte weder eine Schramme noch einen Fleck an seinem Rumpf, auch kein Einschußloch in den eleganten Segeln, und bewegte sich sehr langsam. Bolitho sah viele Männer auf seinen Rahen. Offenbar bereitete es sich erneut zum Wenden vor, fort von der Schlacht.
Bolitho zitterten die Glieder, als ob sie niemals aufhören wollten. Er hörte Parris entsetzten Schrei:»Herr Jesus, sie feuert gleich!»
Die San Mateo hatte alle ihre Geschütze ausgefahren. Bei einer Entfernung von nur fünfzig Metern mußte jeder Schuß sitzen, auch wenn jetzt noch zwei ihrer eigenen Schiffe dazwischen standen.
Bolithos Verstand sträubte sich, die Absicht des spanischen Dreideckers zu akzeptieren. Es war Hyperion selbst, die der Spanier vernichten wollte, das trotzig herausfordernde britische Schiff mit der Vizeadmiralsflagge noch am Vormast, welches irgendwie ihre Linie durchbrochen hatte und die anderen begeistert mitriß. Er sah sich nach Allday um, aber der starrte ebenfalls das feindliche Flaggschiff an. Am Handgelenk baumelte sein Entermesser.
Der Spanier feuerte. Der Lärm war überwältigend, das volle Gewicht seiner Breitseite schmetterte in die stilliegende Hyperion. Bolitho fühlte, wie sich das Deck emporbog, als ob das Schiff seinen Schmerz teilte. Er wurde zur Seite geschleudert. Seine Ohren waren taub vom Krachen der brechenden Masten, vom Weinen und Kreischen der Getroffenen, bevor die zerrissene Takelage sie wie ein großes Netz über die Seite zerrte.
Bolitho kroch zu Fähnrich Mirrielees, packte ihn an der Schulter und wollte ihn auf den Rücken drehen. Aber dessen Augen waren fest geschlossen, und unter den Lidern quoll es wie Tränen hervor. Er war tot. Allday kauerte mit weit offenem Mund an Deck. Ihre Augen trafen sich, und Allday grinste gequält. Bolitho fühlte, daß ihn jemand auf die Füße stellte. Seine Augen waren blind im Sonnenlicht, das die Zerstörung offenlegte.
Dann senkte sich Pulverdampf über die Szene, und San Mateo verschwand von der Bildfläche.
XIX Das letzte Lebewohl
Sir Piers Blachford stützte sich auf den Behelfstisch, während die Geschütze oben noch immer donnerten und das ganze Schiff erbebte. Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht und sagte:»Nehmt diesen Mann fort, er ist tot.»
Die Gehilfen des Chirurgen ergriffen den nackten Leichnam und zerrten ihn in den Schatten des Orlopdecks. Blachford richtete sich auf und spürte die schweren Decksbalken dicht über seinem Kopf. Wenn es wirklich eine Hölle gab, dachte er, mußte sie wie dies hier aussehen.
Das Licht der über dem Tisch schwingenden Laterne machte alles noch schlimmer, sofern das überhaupt möglich war. Sie warf Schatten auf die gewölbte Bordwand und legte die zusammengekauerten oder regungslosen Verwundeten bloß, von denen immer mehr ins unterste Deck des Schiffes gebracht wurden.
Sir Piers blickte seinen Kollegen an, George Minchin, den eigentlichen Chirurg der Hyperion, einen grobgesichtigen Mann mit spärlich sprießenden grauen Haaren. Seine Augen hatten rote Ränder, und das nicht nur vor Müdigkeit. Ein großer Krug Rum stand neben dem Tisch, um den Todeskampf oder die wachen Momente der jammernden Verwundeten zu lindern. Sie lagen auf den Tischen, entblößt und gequälten Opfern gleich, bis das Werk vollbracht war. Minchin aber schien mehr als seinen Anteil zu trinken.
Blackford sah die fürchterlichsten Verwundungen: Männer ohne Glieder, Gesicht und Leib verbrannt oder durch Splitter zerfetzt. Der ganze Raum, normalerweise Unterkunft der Fähnriche, wo sie schliefen, aßen oder aus Handbüchern im Halbdunkel ihrer Talglichter lernten, war mit Leidenden überfüllt. Es stank nach Blut, Erbrochenem und Schweiß. Jede dröhnende Breitseite, jeder schauderhafte Einschlag einer Kugel verursachte Geschrei und Stöhnen der auf Behandlung Wartenden.
Blachford konnte nur ahnen, was sich oben, im hellen Tageslicht, abspielte. Nach hier unten, ins Orlop, verirrte sich nie ein Strahl Sonne. Unterhalb der Wasserlinie gelegen, war es der sicherste Platz für das grausige Werk. Dennoch empörte es ihn.
Er deutete auf die gräßlichen Behälter unter dem Tisch, die mit amputierten Gliedmaßen gefüllt waren: eine brutale Warnung für die nächsten Verwundeten, was ihnen blühte. Das erhöhte ihre Marter so sehr, daß ihnen der Tod wie eine Erlösung vorkommen mußte.»Tragt das fort.»
Der Senior-Chirurg lauschte dem Hämmern im schmalen Zimmermannsgang, der unterhalb der Wasserlinie um die Bordwand lief wie ein enger Steg zwischen den Schiffsabteilungen und der Außenhaut. Von diesem Gang aus dichteten der Zimmermann und seine Gehilfen Einschußlöcher und Leckagen ab, die der Feind wieder und wieder in die Bordwand drosch.
Unmittelbar über ihren Köpfen gab es ein langgezogenes Gerumpel, und Blachford stierte an den Balken empor, als erwarte er, eingeschlossen zu werden. Eine ängstliche Stimme rief aus den Schatten:»Was war das, Toby?»