Endlich kam sein Ruf:»Zwei Schiffe, Sir! Eines davon entmastet!»
Dunstan kletterte lachend herunter und schüttelte Wasser von seinem Hut.»Tüchtiger Ausguck, Mr. Meheux! Der hat eine Guinea verdient!»
Der Erste lächelte.»Einer von meiner Abteilung, Sir.»
Dunstan wischte das Teleskop trocken.»Oh, gut! Dann gib' du dem Burschen die Guinea.»
Man hörte unregelmäßigen Kanonendonner, aber wegen der hochgehenden See war es schwer, die kämpfenden Schiffe von Deck aus zu erkennen.
Phaedra wälzte sich in die Senkrechte. Das Großbramsegel schlug wild, als es den Wind verlor.
«An die Brassen! Drei Strich abfallen!»
Dunstan lockerte seinen Griff um die Reling. Der Wind ließ merklich nach, so daß der Kurs ihm angepaßt werden mußte.»Nordnordwest liegt an, Sir!»
Meheux schnappte nach Luft.»Bei Gott, da sind sie!»
Dunstan hob das Glas wieder an die Augen.»Aber das ist ja der verdammte Schoner, nach dem wir suchen.»
Mit einem Seitenblick studierte Meheux das Profil seines Vetters. Unter dem zerknautschten Hut lugte das krause Haar hervor. Als sie einmal angeheitert gewesen waren, hatte Dunstan ihm anvertraut, daß er sich erst einen neuen Hut kaufen wolle, wenn er eine Planstelle bekäme. Er fragte:»Der Schoner, mit dem die Lady des Generalinspekteurs segelt?»
Dunstan grinste breit. Meheux war ein zuverlässiger und vielversprechender Offizier, aber naiv, wenn es sich um Frauen handelte.
Ein Mann rief:»Sie treiben steuerlos, Sir! Haben uns aber gesehen.»
Dunstans Lächeln verging.»Alles klar an Deck! Ladet die Steuerbordbatterie — aber noch nicht ausfahren!«Er packte des Leutnants Arm.»Soweit ich's beurteilen kann, ist der andere ein verdammter Pirat, Josh. «Der Vorname des Ersten Leutnants war
Joshua. Dunstan benutzte ihn nur, wenn er erregt war.»Wir werden ihn entern. Schick ein paar Scharfschützen in den Topp. Es ist eine hübsche kleine Brigantine und einige Guineas Prisengeld wert, oder?»
Meheux eilte fort. Blanker Stahl glänzte, als aus den Geschützbedienungen ein Enterkommando zusammengestellt wurde. Der hinter der Brigantine torkelnde Schoner war offenbar vom Sturm entmastet worden. Dann hatten sie versucht, einen Notmast aufzutakeln. Die Verfolgung durch die Piraten mußte ein Alptraum gewesen sein.
Meheux kam zurück, einen Entersäbel umgeschnallt, und musterte die beiden Schiffe.»Der Schoner muß warten. Erst rechnen wir mit den Piraten ab.»
Auf der Brigantine erschien eine Rauchwolke, der ein Knall folgte. Die Piraten hatten auf sie geschossen.
«Der Teufel soll sie holen«, fluchte Dunstan. Er hob den Arm, wie es Bolitho immer zu tun pflegte, wenn es ins Gefecht ging.»Öffnet die Stückpforten! Rennt aus!»
Während er sich nochmals prüfend umschaute, feuerte der Pirat abermals, und die Kugel platschte längsseits ins Wasser. Das Match konnte beginnen.
Dunstan zog seinen Degen und hob ihn hoch über den Kopf. Er fühlte Kälte in seinen Arm kriechen, als ob die Klinge aus Eis wäre. Er entsann sich, wie er mit einem anderen Fähnrich auf dem Achterdeck der Eutyalus krank vor Entsetzen dagestanden hatte, aber unfähig gewesen war, seine Augen von der über ihnen emporwachsenden Segelpyramide des Gegners loszureißen. Wie Bolitho, auf dem ungeschützten Deck stehend, den Degen erhoben hatte, an dem die Blicke der feuerbereiten Stückmeister hingen. Da hatten sich Sekunden zu Stunden gedehnt.
Dunstan riß den Arm herunter.
«Feuer!»
Die kleine Brigantine drehte als Wrack in den Wind. Ihr Vormast war dahin, ihr Deck mit Segeln und zertrümmerten Spieren übersät. Die gutgezielte Breitseite hatte auch das Ruder zerschossen und die Rudergasten getötet. Das Schiff war außer Kontrolle geraten. Ein Mann, der mit einem Gewehr zur Poop lief, wurde von einem Scharfschützen der Phaedra niedergestreckt.
Dunstan steckte seinen Degen in die Scheide. Der Kampf war schon vorbei.»Nehmt das Großsegel fort — klar zum Entern!»
Es war selten, einen Piraten zu fangen. Einige Seeleute stiegen mit gespannten Gewehren in die Wanten, während andere wie gierige Hunde aufs Zubeißen warteten. Der Erste Leutnant stand sprungbereit da, als die Korvette zur Brigantine trieb. Nur ein Verrückter würde sich dort noch verteidigen wollen. Englands Seeleute waren schnell mit dem Entermesser bei der Hand und gaben kein Pardon, wenn auch nur einer von ihnen niedergemacht wurde.
Die See lief noch hoch, und es war riskant, ein Boot auszusetzen. Trotzdem rief Dunstan:»Bringt die Jolle zu Wasser, aber macht schnell! Paßt auf, falls die Kerle auf euch schießen!»
Das Boot legte ab, der Leutnant darin bemühte sich um aufrechte Haltung. Als er sich einmal umdrehte, gestikulierte er wild zur Phaedra. Dunstan schaute verständnislos hoch, mußte dann aber laut lachen. Seine Spannung ließ nach, er brüllte vergnügt:»Heißt die Nationale — wir haben ohne Flagge gefochten, verflucht noch mal!»
Bolitho hätte dazu einiges zu sagen gehabt.
Es gab vereinzelte Jubelrufe, als die britische Flagge auch auf dem stehengebliebenen Großmast der Brigantine gehißt wurde.
Aus dem zurückkehrenden Boot kletterte Meheux wieder an Bord. Dunstan blickte ihm ins Gesicht und fragte:»Wie war es, Josh?»
Der Leutnant steckte den Degen weg und stieß einen langen Seufzer aus.»Einer der Bastarde machte einen Ausfall und erwischte den armen Tom Makin quer über der Brust. Aber er wird überleben. «Beide sahen auf einen Leichnam hinab, der zwischen den Schiffen trieb.»Aber der andere wird's nicht noch mal versuchen.»
Nachdem sie ein Prisenkommando auf der Brigantine zurückgelassen hatte, schob sich die Phaedra mit verkleinerten Segeln dem Schoner entgegen. Sturmzerzaust und ohne Masten dümpelte das Unglücksschiff mit Schlagseite in Lee. Das Enterkommando bestieg sein schiefes Deck, und zwei von der Brigantine zurückgelassene Piraten leisteten Widerstand. Leutnant Grant erschoß den einen mit der Pistole, der andere duckte sich und flüchtete zum Niedergang. Ein Seemann wirbelte sein Entermesser durch die Luft und warf es nach ihm wie einen Speer. Durchs Teleskop gesehen ging das alles lautlos vor sich, aber Dunstan hätte schwören mögen, daß er den Schrei des Mannes hörte, als er fiel, das Entermesser im Rücken.
Grant rief durch die hohlen Hände:»Macht euch bereit, von Bord zu gehen!»
Dunstan, der das alles aus der Ferne mit ansah, senkte sein Glas. Er wollte nicht indiskret sein. Trotz ihres zerrissenen Kleides hielt sich die Frau merkwürdig stolz, während die Seeleute sie zur Jolle geleiteten. Sie verharrte nur einmal, nämlich als sie an dem von Leutnant Grant erschossenen Piraten vorbeikam. Dunstan sah, daß sie ihn anspuckte und das Entermesser mit dem Fuß fortstieß. Haß, Ekel und Zorn — aber kein Zeichen von Furcht.
Dunstan befahl dem Ersten Leutnant:»Bemannt die Seite, Josh, und begrüßt sie mit allen Ehren an Bord. Dies ist etwas, an das wir uns alle erinnern werden.»
Später, als die Phaedra mit ihrer Prise mühsam das Flaggschifferreichte, ereignete sich noch etwas, das Dunstan nie vergessen sollte.
Die Frau stand neben ihm, in einen Ölmantel gehüllt, den ihr ein Seemann geliehen hatte. Mit großen Augen und erhobenem Kinn beobachtete sie, wie die Hyperion mit schwingenden Rahen und wieder gefüllten Segeln über Stag ging und auf sie zukam.
Dunstan fragte:»Mylady, ich lasse jetzt ein Signal absetzen. Darf ich Ihren Namen übermitteln?»
Den Blick auf den alten Zweidecker gerichtet, hatte sie langsam den Kopf geschüttelt. Ihre Antwort wurde vom Knarren der
Takelage fast übertönt, sie klang wie Flüstern:»Nein, Kapitän, er kennt ihn. Trotzdem vielen Dank. «Und nach einer Pause:»Er wird mich sehen, ich weiß es.»
Nur einmal schien sie gerührt. Das war, als der Meistersgehilfe rief:»Jungs, seht, da geht der alte Kahn hin.»
Der Schoner hatte sein Heck gehoben und drehte sich nun in einem Kreis von Schaum und Blasen, Treibgut und Toten. Er mußte ziemlich durchlöchert sein und sank schnell. Plötzlich tauchte er kopfüber weg und verschwand immer schneller, als ob er sich eilig von jenen entfernen wollte, die ihn mißhandelt hatten.