«Ruhe da!«schrie Keen.»Waffenmeister, schreiben Sie den Mann auf!»
Leise sagte Bolitho:»Nicht doch! Wenn es ihnen hilft zu schimpfen, dann sollen sie das ruhig tun.»
Die Fäuste in die Hüften gestemmt, blickte Keen ihn an.»Aber es ist nicht fair! Schließlich war's nicht Ihre Schuld, Sir!»
Bolitho lächelte.»Danke, Mr. Keen.»
Auf einmal sah er den Leutnant seines ersten Kommandos, der Schaluppe Sparrow, vor sich, einen amerikanischen Kolonisten; er hatte den Krieg mitgemacht, wo er am schlimmsten war, hatte seinem König gedient und dabei gegen seine eigenen Leute gekämpft. Was hätte der Keen geantwortet? Bin nicht ganz sicher, hätte er gesagt. Bolitho konnte ihn beinahe hören, als sei er mit an Bord.
Rasch wandte er sich nach Steuerbord, wo eben ein glimmender Streifen Sonnenlicht über der leeren Kimm erschien. Jetzt war es bald soweit. Er merkte, daß er Angst hatte vor diesem Tageslicht, das ihn nackt und bloß den Kanonen preisgeben würde, sobald sie in die enge Passage einfuhren, wo er mit Le Chaumareys zusammengetroffen war.
Hinter sich hörte er Schritte und Alldays Stimme, fest, unbewegt.»Gehen Sie lieber runter und ziehen Sie dieses nasse Zeug aus, Captain.»
Gereizt fuhr er herum, seine Stimme brach fast vor Anspannung.»Mann, denken Sie, ich habe nichts anderes zu tun?»
Doch der Bootsmann blieb stur.»Im Augenblick nicht. «Und im gleichen knappen Stil fuhr er fort:»Erinnern Sie sich noch, wie es bei den Saintes war, Captain?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Ziemlich schlimm. Alle diese Froschfresser und das Meer zum Bersten voll von ihren Schiffen. Ich stand im Vorschiff an einem Drehgeschütz. Und die Jungs zitterten alle vor Angst. Da drehte ich mich um und sah Sie. Sie gingen auf dem Achterdeck auf und ab, so gelassen, als ginge es in die Kirche und nicht in die Hölle.»
Bolitho starrte ihn an und war auf einmal wieder ruhig.»Ja, ich erinnere mich.»
Allday nickte bedeutsam.»Aye. Und Sie trugen dabei Ihre beste Uniform.»
Bolitho blickte über Alldays Schulter. Im Geist hörte er eine andere Stimme, die seines damaligen Bootsmanns, Alldays Vorgänger, der an diesem Tag gefallen war. Die Leute wollen zu Ihnen aufblicken, hatte er gesagt.
«Na schön. Aber wenn man mich braucht… »
Langsam zog ein Lächeln über Alldays Gesicht.»Dann sage ich Ihnen sofort Bescheid, Captain.»
Als er gegangen war, meinte Mudge leise zu Allday:»Das war vielleicht 'ne Schnapsidee, Mann! Mit seinen goldenen Tressen wird der Kommandant ein feines Ziel abgeben für die Scharfschützen!»
Allday maß ihn ärgerlich.»Das weiß ich. Und er auch. Er weiß aber auch, daß wir uns heute auf ihn verlassen — und dazu muß man ihn sehen können!»
Mudge schüttelte den Kopf.»Verrückt. Ihr seid alle verrückt.»
«Deck ahoi!«sang der Ausguck aus.»Schoner in Luv voraus!»
«Rückrufsignal hissen!«befahl Keen.
Allday stand mit untergeschlagenen Armen da und starrte in das zunehmende Frühlicht, das bereits bis zu den Inseln reichte.»Mr. Herrick wird's nicht sehen«, verkündete er.
Davy funkelte ihn an.»Es ist aber bald hell genug.»
«Weiß ich, Sir«, erwiderte Allday traurig.»Aber er wird's trotzdem nicht sehen. Nicht Mr. Herrick.»
Ohne Möbel und sonstige Einrichtung wirkte die Kajüte so seltsam feindselig wie ein leeres Haus, das seinen verstorbenen Herrn betrauert und widerwillig einen neuen erwartet.
Bolitho stand bei den abgeblendeten Heckfenstern und ließ die Arme hängen, während Noddall ihn wie eine Glucke umtanzte und ihm den schweren Rock glattstrich. Wie der Bootsmantel stammte er von einem erstklassigen Londoner Schneider und hatte einen guten Teil seiner Prisengelder gekostet.
Durch einen Spalt des Skylightdeckels, der jetzt mit Riegeln am Kampanjebalken befestigt war, konnte er das Geschützdeck überblicken. Dort war das Licht noch spärlich, die Kanonen und ihre geschäftigen Bedienungen standen noch im Schatten. Selbst hier in der Kajüte, wo er manchmal in der Einsamkeit Ruhe gefunden, mit Viola Raymond zusammengesessen oder mit Herrick eine Pfeife geraucht hatte, gab es kein Entrinnen. Von den Zwölfpfündern hatte man die Chintzbezüge abgenommen und sie mit den Möbeln irgendwo unterhalb der Wasserlinie, wo sie sicherer waren, verstaut. An den beiden Geschützen standen die Bedienungen, unbehaglich und beklommen in seiner Gegenwart; einerseits wollten sie ihm beim Umkleiden zuschauen, andererseits trauten sie sich nicht, woanders hinzuschauen als auf ihre Kanonen.
Mit schiefgeneigtem Kopf lauschte Bolitho dem Ruderblatt, das grollend auf das Drehen des Rades reagierte. Der Wind hatte aufgefrischt; er legte das ganze Schiff über und hielt es so. Einer der beiden Geschützführer kontrollierte eben seine Reißleine und stand dabei ganz schief zum Deck.
«So sehen Sie besser aus, Sir, viel besser«, murmelte Noddall. Er wiederholte es inbrünstig wie ein Gebet.»Besser, viel besser. Captain Stewart war immer besonders eigen vor einem Gefecht.»
Bolitho verdrängte alle Zweifel und bösen Ahnungen. Stewart — wer war das? Dann fiel es ihm wieder ein: der vorige Kapitän der Undine. Ob dem wohl manchmal so ähnlich zumute gewesen war?
Stampfende Schritte oben an Deck; jemand rief etwas.
«Schluß jetzt, das muß genügen!«Er griff nach Hut und Degen, blieb aber noch einen Moment stehen; Noddall hielt immer noch die Hände vor der Brust hoch wie Pfötchen; plötzlich tat er ihm leid.
«Sehen Sie sich vor, Noddall, und bleiben Sie unter Deck. Kämpfen ist nichts für Sie.»
Es erschütterte ihn, daß Noddall heftig nickte und ihm dabei Tränen über die Wangen liefen.»Danke, Käpt'n«, sagte er schwach und gebrochen, aber aufrichtig.»Noch ein Gefecht könnte ich nicht aushallen. Und ich möchte Sie nicht enttäuschen, Sir.»
Bolitho eilte an ihm vorbei zur Leiter. Noddall war immer etwas Selbstverständliches für ihn gewesen. Niemals war ihm der Gedanke gekommen, daß Noddall jedesmal, wenn gefechtsklar gemacht wurde, vor Angst beinahe verging.
Er rannte die letzten Stufen hoch und sah oben Davy und Keen, die ihre Fernrohre nach vorn gerichtet hatten.
«Was ist los?»
Davy drehte sich um, mit Mühe schluckend, und konnte seine Blicke nicht von Bolithos goldbetreßtem Rock lassen.»Der Schoner hat das Signal nicht bestätigt, Sir.»
Bolitho sah von ihm zur Signalflagge hoch, die sich jetzt frei und hell gegen die grauen Bramsegel abhob.»Sind Sie sicher?»
Mudge knurrte:»Anscheinend will er nicht, Sir. Wenigstens scheint Mr. Allday das zu denken.»
Statt zu antworten, suchte Bolitho den Landstreifen vor dem Bug sorgfältig ab. Dort lag alles noch im tiefen Schatten, nur hier und da verriet ein heller Strich den nahen Sonnenaufgang. Aber der Schoner war klar genug zu sehen, er stand genau in Linie zum stampfenden Bugspriet der Undine; seine Segel leuchteten fast weiß vor den Klippen und gezackten Felsen. Herrick mußte das Signal gesehen haben. Er hatte bestimmt darauf gewartet, seit der Wind ausgeschossen war. Bolitho blickte zum Masttopp empor. O Gott, der Wind hatte noch weiter gedreht und mußte jetzt aus Westsüdwest kommen.
«Aufentern lassen, Mr. Davy!«rief er.»Royalsegel setzen!»
Er wandte sich um, und in dieser kurzen Sekunde sah er sie alle ganz klar: Mudge, von Zweifeln geplagt; Carwithen, dessen Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepreßt waren; die Rudergasten, die nackten Rücken der Geschützbedienungen und Keen mit seinen Signalgasten…
Die Bootsmannspfeifen schrillten. Schattenhaft glitten die Toppmatrosen an den Webleinen empor, um mehr Segel zu setzen.
Davy rief herüber:»Vielleicht will Mr. Herrick weitermachen wie geplant, Sir!»
Mit einem Blick auf Allday, der aufmerksam den Schoner beobachtete, erwiderte Bolitho gelassen:»Sieht beinahe so aus, Mr. Davy.»
Unter dem Zug der obersten Segel tauchte die Undine noch tiefer in das milchige Wasser. Schaumfetzen flogen über Back und Netze wie Gespenster. Der Schiffsrumpf erzitterte stöhnend unter dem Druck, und wenn Bolitho nach oben blickte, sah er, daß die Royalrahen sich durchbogen. Der Wimpel am Masttopp war jetzt deutlich zu erkennen; die Uniformröcke der Seesoldaten, die in schwankenden Reihen bei den Finknetzen angetreten standen oder mit ihren Musketen und Drehgeschützen oben in den Toppen knieten, leuchteten rot wie