Die Residenz des Gouverneurs glich mehr einer Festung als einem Haus und hatte Schießscharten in den Mauern, die von indischen Soldaten wohlbewacht wurden. Diese Gardisten waren besonders eindrucksvoll. Zu Turban und Bart trugen sie die wohlbekannten roten Röcke der britischen Infanterie und weite blaue Pumphosen mit hohen weißen Gamaschen.
Herrick de utete auf die Fahne, die schlaff, fast reglos an ihrem hohen Mast hing, und murmelte:»Das wenigstens ist ein Stück Heimat.»
Trat man aber durch das Tor in den kühlen Schatten des Hauses, so war man wieder in einer anderen Welt. Die riesigen Torflügel schlossen den Lärm der Straße aus, und überall spürte man eine seltsame Atmosphäre, eine Mischung aus Wachsamkeit und Eleganz: prächtige Teppiche, schwere Messingornamente, bloßarmige Diener, so lautlos wie Geister, und gekachelte Gänge, die labyrinthartig in alle Richtungen führten.
Der Adjutant sagte geschmeidig:»Seine Exzellenz wird Sie sofort empfangen, Captain. «Und mit einem wenig begeisterten Blick auf die anderen:»Allein.»
«Mr. Keen bleibt hier für den Fall, daß ich eine Nachricht zum Schiff senden muß«, sagte Bolitho zu Herrick.»Und Sie können Ihre Zeit nutzen, wie es Ihnen beliebt. «Er trat etwas näher heran, damit der Adjutant das folgende nicht verstand.»Und sehen Sie sich ein bißchen nach zusätzlichen Leuten um — vergessen Sie das nicht!»
Herrick grinste erleichtert, möglicherweise weil er jetzt nicht mehr auf dumme Fragen zu antworten brauchte, mit denen ihn seit dem Festmachen alle möglichen Besucher überfallen und in Atem gehalten hatten. Ein britisches Kriegsschiff schien weit mehr Interesse zu erregen als die ständig ein- und auslaufenden Handelsschiffe. Es war ein Bindeglied zur Heimat, eine Andeutung von dem, was diese Menschen hinter sich gelassen hatten, als sie auszogen, um ein Weltreich aufzubauen.
«Viel Glück, Sir«, sagte Herrick.»Das hier ist ein gewaltiger Unterschied zu Rochester. «Damit ging er.
Der Adjutant sah ihm nach und warf dann einen uninteressierten Blick auf Keen.»Wenn Sie wünschen«, sagte er,»kann ich diesen jungen Herrn in die Offiziersmesse bringen lassen.»
Bolitho lächelte.»Hier wird er sich bestimmt viel wohler fühlen.»
Gelassen erwiderte Keen den starren Blick des Adjutanten und sagte:»Davon bin ich überzeugt, Sir. «Und er konnte sich nicht enthalten, hinzuzufügen:»Mein Vater wird sich freuen zu erfahren, wie gastfreundlich man hier ist, wenn ich ihm nächstens schreibe.»
Bolitho ergänzte, schon im Weggehen:»Seinem Vater gehört ein erklecklicher Teil dieser Handelsniederlassung.»
Der Adjutant sagte nichts weiter, sondern eilte schweigend durch den prächtigen Korridor voran. Er öffnete Doppeltüren und verkündete mit aller Würde, derer er noch fähig war:»Captain Richard Bolitho von Seiner Majestät Schiff Undine.»
Bolitho kannte zwar den Namen des Gouverneurs, wußte aber sonst nicht viel von ihm. Sir Montagu Strang verschwand fast hinter einem mächtigen Schreibtisch aus Ebenholz mit silbernen Füßen in der Form von Tigerpfoten. Strang war klein, grauhaarig und schmächtig, und seine bleiche Gesichtsfarbe deutete auf ein kürzlich überstandenes Fieber. Sein schmaler Mund lächelte nicht, und unter den buschigen Brauen hervor betrachtete er den auf einer blauen Teppichgalerie näher tretenden Bolitho, wie ein Jäger seine Beute belauert.
«Willkommen, Bolitho. «Die Winkel des schmalen Mundes hoben sich nur so wenig, als schmerze ihn schon diese winzige Anstrengung.
Doch dann bemerkte Bolitho, daß Strangs Haltung keineswegs Geringschätzung ausdrückte, denn als er näher kam, sah er, daß der Gouverneur aufgestanden und nicht, wie er zunächst gedacht hatte, in seinem Sessel sitzen geblieben war.
«Besten Dank, Sir.»
Bolitho versuchte, seine Überraschung oder, was schlimmer war, sein Mitleid zu verbergen. Bis zum Gürtel war Sir Montagu ein normal gebauter, wenn auch schmächtiger Mann. Aber seine Beine waren zwergenhaft kurz, und seine schmalen Hände schienen bis zu den Knien zu hängen.
Im gleichen knappen Ton fuhr Strang fort:»Bitte nehmen Sie Platz. Ich habe Ihnen einiges zu sagen, bevor wir zu den anderen gehen. «Er musterte ihn von oben bis unten und sprach dann weiter:»Ich habe Ihren Bericht gelesen und auch die Berichte gewisser Augenzeugen. Die Undine ist schnell gesegelt, und Ihr Verhalten war ausgezeichnet. Die Rettung der Überlebenden der Nervion und Ihre wenn auch nur teilweise erfolgreiche Aktion gegen das Sklavenschiff waren so ziemlich das Erfreulichste, was ich heute zu hören bekam.»
Bolitho nahm auf einem mächtigen Sessel Platz und bemerkte erst jetzt, daß der riesige Fächer über seinem Kopf von einem winzigen Inder bewegt wurde, der scheinbar schlafend in einer entfernten Ecke saß, mit dem nackten Fuß regelmäßig an einem Seil zog und so den Fächer in Schwung hielt.
Strang trat wieder an seinen Schreibtisch und setzte sich. Wahrscheinlich, dachte Bolitho, benahm er sich immer so, wenn jemand kam, den er noch nicht kannte. Er wollte es hinter sich bringen und dem Besucher Verlegenheit ersparen. Bolitho hatte gehört, daß Strang schon seit vielen Jahren als Repräsentant der Regierung und Ratgeber in Handels- und Eingeborenenangelegenheiten in Indien stationiert war. Ein sehr bedeutender Mann. Kein Wunder, daß er lieber hier draußen auf hohem Posten saß, als daß er sich in London der ständigen Demütigung taktloser Blicke aussetzte.
«Also, Bolitho, zur Sache«, begann Sir Montagu gemessen.»Ich habe lange auf Depeschen warten müssen, ohne zu wissen, ob meine ursprünglichen Vorschläge angenommen wurden. Der Verlust der Nervion war ein schwerer Schlag, aber Ihr Entschluß, die Reise auf eigene Faust fortzusetzen, ohne erst Befehle abzuwarten, mildert ihn bis zu einem gewissen Grad. Don Puigserver ist voller Bewunderung für Sie, doch ob uns das nützt oder schadet, bleibt abzuwarten. «Die Augen unter den schweren Brauen blitzten ärgerlich.»Die Spanier haben in Teluk Pendang vieles verscherzt. Schwert und Kruzifix waren so ziemlich das einzige, was sie den Eingeborenen zu bieten hatten.»
Bolitho preßte die Hände zusammen und versuchte, sich von Strangs Betrachtungen nicht ablenken zu lassen. Also lief sein Auftrag weiter, die Undine würde nach Teluk Pendang segeln.
Strangs scharfe Stimme unterbrach seine Überlegungen.»Sie denken bereits voraus, wie ich sehe. Erlauben Sie mir, ein paar Kleinigkeiten hinzuzufügen.»
Weit draußen hörte Bolitho ein Hornsignal; es klang seltsam melancholisch. Strang bemerkte seinen Gesichtsausdruck und sagte:»Wir haben während des Krieges viel durchgemacht. Hyder Ali, der Herrscher von Mysore, der die Briten grimmig haßt, bekam reichlich Unterstützung durch die Franzosen. Ohne unsere Kriegsflotte würde heute das Lilienbanner und nicht der Union Jack hier wehen, fürchte ich. «Nüchterner fuhr er fort:»Aber das hat mit Ihrer Aufgabe nichts zu tun. Je eher wir in der Pendang Bay einen britischen Gouverneur einsetzen können, um so besser. Seit Kriegsende herrscht in der dortigen spanischen Garnison, die vorwiegend aus eingeborenen Soldaten besteht, ein einziges Chaos. Fieber und Aufsässigkeit machen einen geordneten Dienstbetrieb unmöglich. Es überrascht mich nicht, daß der König von Spanien diesen Stützpunkt loswerden will. «Seine Stimme wurde entschlossen.»Doch unter unserem Schutz wird er gedeihen. Der eingeborene Herrscher ist ziemlich harmlos, sonst hätte er die spanische Besatzung gar nicht erst am Leben gelassen. Aber weiter westlich liegt ein großes Gebiet, kaum erforscht, von dem aus ein anderer, weniger freundlicher Fürst namens Muljadi ständig Raubzüge unternimmt. Er muß im Zaum gehalten werden, wenn wir unsere Einflußsphäre ausdehnen wollen, verstehen Sie?»
Nachdenklich nickte Bolitho.»Jawohl, Sir. Sie tragen große Verantwortung.»
«Gewiß. Der Wind zaust immer den Wipfel des Baumes am meisten, Bolitho.»
«Ich bin mir noch nicht klar, was ich dabei tun soll, Sir. Meiner Meinung nach könnte eine neue Garnison mit frischen Soldaten dort mehr ausrichten als ich.»