Er blickte kurz zum Indienfahrer hinüber und lächelte. Ein schönes Schiff, gewiß, und in jeder Hinsicht vollkommen — aber es mußte vor einem Schiff des Königs die Flagge dippen. Auch vor seiner Undine.
Mudge schnaubte sich die Nase und rief:»Noch fünf Minuten, Sir!»
Bolitho hob die Hand, und der Maat des Ankerkommandos bestätigte das Signal. Es war Fowlar, ein Mann, der seinen Wert und seine Treue bewiesen hatte. Der sich bereits eine Beförderung verdient hatte, sobald die Gelegenheit kam.
Hauptmann Bellairs von der Marineinfanterie musterte seine Trommler und glich in dem blendenden Sonnenlicht mehr denn je einem Zinnsoldaten. Davy und Soames waren an ihren Stationen auf dem Geschützdeck. Nie hatte das Schiff besser ausgesehen.
Er hörte Stimmen in seinem Rücken und wandte sich um. An der Heckreling standen Don Puigserver und Raymond im Gespräch. Vermutlich waren sie genauso gespannt darauf wie er, was sie in Madras erwartete. Puigserver trug den Galarock eines Leutnants, den Mrs. Raymonds Zofe auseinandergetrennt und geändert hatte, und zwar mit bereitwilliger Unterstützung durch den Segelmacher der Undine. Dieser John Tait hatte zwar nur ein Auge und die gemeinste Verbrechervisage an Bord; die Zofe jedoch fand ihn anscheinend faszinierend.
«Nun, Captain, Sie müssen heute sehr zufrieden mit sich sein. «Mrs. Raymond war aus dem Kajütniedergang gekommen und trat an seine Seite. Sie bewegte sich vollkommen sicher, durchaus vertraut mit jedem Seegang. Auch sie hatte sich verändert. Zwar wirkte sie imme r noch etwas hochnäsig, aber sie hatte doch diese Uninteressiertheit am Schiffsleben abgelegt, die Bolitho in der ersten Zeit so irritiert hatte. Ihr umfangreicher Vorrat an eigenen Delikatessen, den sie in Santa Cruz mit an Bord gebracht hatte, war längst verbraucht, und sie hatte ohne Klagen mit der einfachen Kost der Kapitänskajüte vorliebgenommen.
«Das bin ich auch, Ma'am. «Er deutete zum Bug.»Nun werden Sie bald die Geräusche und Gerüche einer kleinen Fregatte hinter sich lassen können. Zweifellos wird eine englische Lady hier draußen wie eine Königin behandelt.»
«Vielleicht. «Sie wandte den Kopf, um nach ihrem Mann zu sehen.»Hoffentlich werden Sie mich besuchen, wenn Sie an Land kommen. Auch Sie sind schließlich ein König hier an Bord, nicht wahr?«Ein flüchtiges Lachen.»In mancher Hinsicht tut es mir leid, das Schiff zu verlassen.»
Bolitho betrachtete sie nachdenklich und dachte an seine Rückkehr an Bord nach der Affäre mit den Kanus: völlig ausgepumpt, fast im Stehen schlafend, der Kampfeswille war in totale Erschöpfung umgeschlagen und sein Hirn so abgestumpft, daß er sich nicht einmal über seine Errettung aus unmittelbarer Todesgefahr freuen konnte. Mrs. Raymond hatte ihn zu einem Sessel geführt, ihrer Zofe ein paar knappe Befehle zugerufen, auch dem darüber höchst schockierten Noddall und sogar Allday, als hätte sie das Kommando übernommen. Sie wollte den Schiffsarzt holen lassen, aber Bolitho hatte das kurz abgelehnt:»Ich bin nicht verwundet! Die Kugel hat bloß meine Uhr getroffen — Schweinerei, verdammte!«Da hatte sie mit lautem Lachen den Kopf zurückgeworfen. Diese unerwartete Reaktion hatte ihn geärgert; aber dann hatte sie, außerstande, ihr Lachen zu unterdrücken, seine Hand ergriffen, und da hatte er zu seiner eigenen Überraschung mitlachen müssen. Vielleicht hatte gerade das mehr als alles andere dazu beigetragen, daß er sich wieder fing und die nervöse Spannung verlor, die er bis zu diesem Moment gewaltsam verborgen hatte.
Etwas davon mußte jetzt noch auf seinem Gesicht zu lesen sein, denn sie fragte leise:»Darf ich's wissen?»
Er lächelte verlegen.»Woran ich denke? Ich dachte nur an meine Uhr.»
Er sah, daß ihre Lippen wieder zu zucken begannen. Warum hatte er eigentlich nie bemerkt, wie zart ihr Kinn und ihr Hals geformt waren? Erst jetzt fiel es ihm auf, da es zu spät war. Er fühlte, daß er rot wurde. Wieso eigentlich?
Sie nickte.»Es war grausam von mir, so zu lachen. Aber Sie machten ein so wütendes Gesicht, während jeder andere zunächst einmal dankbar gewesen wäre.»
Da rief Herrick:»Klar zum Ankern, Sir«, und sie wandte den Kopf ab.
«Machen Sie weiter, Mr. Herrick!«sagte Bolitho.
«Aye, Sir«, antwortete Herrick, aber seine Augen hafteten an der Frau. Dann begab er sich eilig zur Reling und kommandierte:»An die Leebrassen!»
Leicht und elegant drehte die Undine in den Wind, und schließlich fiel ihr Anker spritzend in das seidig blaue Wasser.
Puigserver deutete auf eine kleine Prozession von Booten, die sich bereits dem Schiff näherte.»Jetzt beginnt die Zeit der Zeremonien, Captain. Der arme Rojart hätte daran seine Freude gehabt.»
Er war jetzt ein ganz anderer Mann, mit stahlhartem Blick, tatendurstig seine Pläne schmiedend. Hinter ihm beobachtete Raymond die näher kommenden Boote mit eher nervöser Spannung.
Der Anker war gesteckt, alle Segel sauber gerefft; reges Leben herrschte auf den Decks der Undine, denn die Mannschaft traf Vorbereitungen, um Proviant, Besucher, oder was sonst befohlen wurde, an Bord zu nehmen. Und vor allen Dingen, um notfalls innerhalb weniger Stunden wieder seeklar zu sein.
Bolitho wußte, daß er von einem Dutzend verschiedener Seiten zugleich gebraucht wurde. Schon sah er den Zahlmeister herumschleichen, der sich bemühte, das Auge des Kapitäns auf sich zu lenken. Auch Mudge kam näher, offenbar mit einer Frage oder einem Vorschlag.
«Vielleicht sehen wir uns an Land, Mrs. Raymond«, sagte er ernst. Die anderen hörten zu; er spürte ihre verstohlenen Blicke, ihr Interesse.»Es war keine leichte Reise für Sie, und ich würde Ihnen gern danken für Ihre — äh — «, er zögerte, denn schon wieder begannen ihre Lippen vor unterdrücktem Lachen zu zittern — ,»Ihre Nachsicht.»
Ebenso ernsthaft erwiderte sie:»Und ich darf Ihnen meinerseits danken für Ihre — Kameradschaft.»
Bolitho setzte zu einer Verneigung an, doch sie streckte ihm die Hand hin und sagte:»Bis zum nächsten Mal also, Captain.»
Er nahm ihre Hand und führte sie an die Lippen. Dabei spürte er einen ganz leichten Druck ihrer Finger, und als er ihr ins Gesicht sah, merkte er, daß es kein Zufall war.
Dann war alles vorbei. Die Herren vom Empfangskomitee des Gouverneurs umringten ihn, und er mußte seine Depeschen dem Kommandanten des Regierungsbootes übergeben. Dann löste sich eine Barkasse mit grellbuntem Sonnendach aus dem dunklen Schatten der Undine; er sah seine Passagiere im Heck sich noch einmal nach ihm umblicken. Mit jedem Schlag der Riemen wurde das Boot kleiner.
«Sie sind sicher froh, Sir, daß Sie die Kajüte jetzt wieder für sich haben«, bemerkte Herrick munter.»Lange genug hat es ja gedauert.»
«Ja, Thomas. Da bin ich wirklich froh.«»Und jetzt, Sir, was zusätzliche Männer betrifft…«Herrick hatte Bolithos Lüge durchschaut und hielt es für klug, unverzüglich das Thema zu wechseln.
Erst am späten Nachmittag erhielt Bolitho die Aufforderung, persönlich beim Gouverneur vorzusprechen. Er hatte schon gedacht, dieser Teil seiner Mission sei gestrichen worden oder sein Status in Madras so tief gesunken, daß man ihn sich auf Armeslänge vom Leibe hielt, bis er von der Obrigkeit mit den entsprechenden Befehlen versehen wurde.
Die Gig der Undine trug ihn, Herrick und Midshipman Keen an Land, obwohl ein hochnäsiger Abgesandter ihn überreden wollte, ein Hafenboot sei passender und bequemer.
Am Kai wartete eine offene Kutsche, um sie zum Gouverneurspalast zu bringen; während der ganzen langen Fahrt wechselten sie kaum ein Wort. Die grellen Farben, die wimmelnden, schwatzenden Menschen, überhaupt die Fremdartigkeit der Stadt nahmen ihre Aufmerksamkeit voll in Anspruch. Bolitho fand die Menschen außerordentlich interessant, schon wegen der unterschiedlichen Hautfarben: vom hellen Braun, nicht dunkler als die Sonnenbräune des jungen Keen, bis zum Tiefschwarz wie dem der Krieger, die er in Afrika gesehen hatte. Männer mit Turbanen und langen, fließenden Gewändern, Rinder und herrenlose Ziegen, alles drängte sich durch die gewundenen Straßen, zwischen den mit Tüchern verhangenen Läden und Bazaren — ein endloses Panorama von Bewegung und Lärm.