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Das Deck erzitterte beim zweiten Schuß, und die Kugel jaulte über die Wellenkämme.

«Ausguck!«schrie Bolitho.»Was geschieht?»

Der Ausguck antwortete mit rauher Stimme:»Die Dons holen auf, Sir! Eben rennen sie ihre Geschütze aus. «Bolitho zweifelte nicht daran, daß der Mann richtig gesehen hatte. Vielleicht hatten die Spanier ihr Buggeschütz gehört und sogar den Einschlag gesehen, dachten jedoch, Bolitho wäre wieder einmal beim Exerzieren. Oder vielleicht glaubten sie auch, er sei, weil die Undine die Jagd nicht mitmachen konnte, so verärgert, daß er auf diese unmögliche Entfernung feuerte, um seine Wut abzureagieren.»Wie weit noch, Mr. Mudge?«hörte er sich fragen.

Und Mudge antwortete:»Sie müßte eigentlich schon aufsitzen, Sir. Die verfluchte Brigantine muß ohne Schaden drübergekommen sein. Kein Wunder bei dem geringen Tiefgang.»

Bolitho blickte ihn an.»Aber wenn sie durch ist, dann kann vielleicht… »

Mudge schüttelte den Kopf.»Nicht die geringste Chance,

Sir.»

Der Mann im Ausguck stieß einen Schrei aus. Als Bolitho sich umdrehte, sah er mit Entsetzen, wie die spanische Fregatte hochgehoben wurde, noch etwas weiterrutschte und dann auf dem überspülten Riff querschlug. Auf dem ganzen Schiff splitterten Masten und Rahen, stürzten Stagen, Wanten und Segel in einem fürchterlichen Chaos an Deck. So stark war der Aufprall gewesen, daß sie mit der Backbordseite auf dem Riff lag. Durch die offenen Stückpforten mußte die See in triumphierendem Schwall einströmen. Die Männer waren im Durcheinander der Takelage gefangen, wurden von zersplitterten Spieren durchbohrt oder plattgedrückt von den Kanonen, die sich aus den Halterungen gerissen hatten und über Deck rutschten.

Die Brigantine war auf den anderen Bug gegangen. Sie nahm sich nicht einmal Zeit, das Ausmaß ihrer Übeltat anzusehen.

«Kürzen Sie die Segel, Mr. Herrick!«befahl Bolitho heiser.»Sobald wir dort sind, beidrehen und alle Boote zu Wasser! Wir müssen alles tun, um sie zu retten.»

Ein paar Matrosen am Buggeschütz redeten laut durcheinander und deuteten auf die Nervion, die sich noch stärker überlegte, wobei noch mehr zu Bruch gegangene Spieren und Planken in die Grundseen über dem Riff stürzten.

«Und nehmen Sie die Leute ran, Mr. Herrick!«Bolitho wandte sich ab.»Das ist kein Jahrmarktspektakel!»

Er ging noch einmal zur anderen Seite hinüber; und als er auf das Riff sah, erwartete er fast, die stolze Silhouette der Nervion vor dem Wind stehend zu erblicken. Es war ein böser Traum. Ein Alptraum.

Aber warum? Warum? Diese Frage setzte sich in seinem Hirn fest, als wolle sie ihn narren. Wie konnte das geschehen?

«Ich möchte mich nicht näher heranwagen, Sir«, sagte Mudge verbissen.»Wenn wir auch nur eine Mütze mehr Wind kriegen, können wir leicht selbst auflaufen.»

Bolitho nickte langsam.»Auch meine Meinung. «Er wandte den Kopf ab.»Und ich danke Ihnen.»

Ruhig entgegnete Mudge:»Es war nicht Ihre Schuld, Sir. Sie haben alles getan, was Sie konnten.»

«Beidrehen, Mr. Herrick!«Bolitho konnte kaum seine Stimme beherrschen.»Lassen Sie die Boote aussetzen!»

Soames warf ein:»Das wird ein langer Pull, Sir. Mindestens drei Meilen. «Aber Bolitho hörte gar nicht hin. Er sah nur die kleine Brigantine. Das war kein Zufall und auch kein spontaner Streich gewesen.

«Viele werden nicht überleben, Sir«, sagte Mudge, die Hände tief in den Manteltaschen.»In diesen Gewässern gibt's 'ne Menge Haifische.»

Unter dem protestierenden Knattern und Killen der noch stehenden Segel drehte die Undine bei, und die Boote wurden mit überraschender Schnelligkeit abgefiert. Es war, als hätte etwas Unheimliches über die drei Meilen friedlich daliegende

See zu ihnen herübergegriffen und jeden einzelnen angerührt: ein Flehen um Hilfe, ein Warnschrei — es war schwer zu definieren. Aber als das erste Boot von der Bordwand klarkam und die Rudergasten den Schlag aufnahmen, sah Bolitho, daß die Männer grimmig und mit plötzlicher Entschlossenheit pullten. So hatte er sie noch nie gesehen.

Allday sagte:»Ich nehme die Gig, wenn Sie erlauben, Sir.»

«Ja. «Sie sahen sich an.»Tun Sie, was Sie können.»

Allday wandte sich ab und schrie nach seiner Besatzung.

«Sagen Sie dem Arzt, er soll sich bereithalten, Mr. Herrick. «Bolitho sah, wie Herrick mit den Umstehenden rasche Blicke wechselte, und fuhr kalt fort:»Und wenn er nachher zu betrunken ist, lasse ich ihn auspeitschen.»

Alle Boote waren jetzt zu Wasser, und über die kraftvoll streichenden Riemen hinweg konnte er die Trümmer der spanischen Fregatte über dem unsichtbaren Riff treiben sehen; das große Vormarssegel mit seinem Kreuz in Rot und Gold lag über dem Wrack wie ein Leichentuch.

Die Hände auf dem Rücken, das unregelmäßige Rollen des Schiffes automatisch ausbalancierend, schritt Bolitho ruhelos bei den Finknetzen auf und ab.

Er fing eine Bemerkung Raymonds auf:»Das war eine Dummheit von Triarte! Er hat die Situation total falsch beurteilt.»

Bolitho blieb stehen und sah ihn an.»Schließlich hat er teuer dafür bezahlt, Raymond!»

Raymond erkannte die Geringschätzung in Bolithos grauen Augen und ging weiter.»Ich wollte nur sagen…«Aber niemand beachtete ihn.

Herrick sah zu, wie Bolitho ununterbrochen auf und ab schritt und hätte ihm gern etwas gesagt, was seine Verzweiflung lindern konnte. Aber besser als andere wußte er, daß sich Bolitho in solchen Momenten nur selbst helfen konnte.

Stunden später, als die Boote müde zum Schiff zurückkehrten, stand Bolitho immer noch an Deck; sein Hemd war dunkel von Schweiß, der Kopf tat ihm weh vom Grübeln.

Herrick meldete:»Nur vierzig Überlebende, Sir. Und manchen geht es sehr schlecht, fürchte ich. «Er verstand die Frage in Bolithos Augen und nickte.»Der Schiffsarzt ist bereit, Sir. Ich habe dafür gesorgt.»

Bolitho trat langsam an die Netze, beugte sich weit über Bord und schaute in das erste Boot, die Gig, die eben festmachte. Ein Mann, der gekrümmt an Alldays Beinen lehnte und von zwei Matrosen festgehalten wurde, schrie wie eine gemarterte Frau. Ein Hai hatte ihm ein Loch in die Schulter gerissen, so groß wie eine Kanonenkugel. Bolitho wurde es übel, er wandte sich ab.

«Um Gottes willen, Thomas, schicken Sie mehr Leute zum Helfen!»

«Schon geschehen, Sir.»

Bolitho blickte auf den flatternden Wimpel an der Gaffel.»Himmel, wenn so etwas mitten im Frieden passieren kann, dann wäre mir schon lieber, wir hätten Krieg!»

Er beobachtete einige Rudergasten, die an Bord kletterten, die Hände voller Blasen, Rücken und Gesichter knallrot vom Sonnenbrand. Fast wortlos gingen sie unter Deck.

Vielleicht hatte sie das, was sie da beim Riff gesehen hatten, mehr gelehrt als alles Exerzieren; die Erinnerung daran würde eine Warnung für sie alle sein.

Wieder schritt Bolitho auf und ab. Und für mich auch, dachte er.

Bolitho trat in seine Kajüte und blieb unter dem Skylight stehen. Die Sonne ging eben unter, und die offenen Heckfenster glühten im ersterbenden Glanz wie poliertes Kupfer. Im Rhythmus der stetigen Schiffsbewegungen und der schaukelnden Deckenlampe schwankten die Schatten in der Kajüte; er sah die kleine Gruppe an den Fenstern und konnte kaum glauben, was er sah.

Don Luis Puigserver saß unbeholfen auf der Polsterbank, einen Arm in der Schlinge, die Brust dick bandagiert. Als man ihn vor Stunden mit anderen Überlebenden an Bord gehievt hatte, war er zuerst nicht erkannt worden, bis ein Leutnant, der einzige Gerettete der spanischen Offiziere, Atem genug hatte, um ihn zu identifizieren. Und dann hatte Bolitho gedacht, es sei zu spät. Der untersetzte Spanier war bewußtlos und über und über mit Abschürfungen, Wunden und Beulen bedeckt. Er sah furchtbar aus; und wenn Bolitho an die letzten Minuten der Nervion dachte, schien es kaum glaublich, daß er noch am Leben war. Von den etwa vierzig Mann, die an Bord der Undine Zuflucht gefunden hatten, waren zehn bereits gestorben, und mehrere schwebten in Lebensgefahr. Die ursprünglich zweihundertsiebzig Mann starke Besatzung war auf die Katastrophe, die sie auf dem Riff erwartete, gänzlich unvorbereitet gewesen: sie wurde von fallenden Spieren zerschmettert, von der einströmenden See halb ertränkt; und dann, als das Schiff gekentert und völlig in Trümmer geschlagen war, tauchten im wirbelnden Wasser die dunklen Schatten der Haie auf und fielen über die Schiffbrüchigen her. Mit Entsetzen hatten die Männer zusehen müssen, wie ihre Gefährten in blutige Fetzen zerrissen wurden — noch vor ein paar Minuten hatten sie mehr Segel gesetzt und die Geschütze bemannt, um die freche Brigantine zu stellen.

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