Der Admiral beäugte ihn scharfsinnig.»Das war im vergangenen Jahr, bevor sich Burgoyne bei Saratoga ergab. In diesem ganzen Gebiet wimmelt es jetzt von feindlichen Kundschaftern und ausländischen Banden.»
Er entfaltete eine Karte.»Mit meinem Geschwader muß ich Patrouillen segeln und die ganze dreihundert Meilen lange Küste überwachen — von New York bis zum Kap Henry an der Chesa-peake Bay. Die Gegend ist ein Labyrinth. Meeresarme und Flüsse, Buchten und Schlupfwinkel, wo Sie einen Dreidecker auf eine Meile Distanz nicht ausmachen können. Und jeden Tag ist die See voll von Schiffen. Vom Norden bis zum Spanischen Meer und zur Karibischen See im Süden. Holländer, Portugiesen, Spanier, und die meisten von ihnen versuchen, mit Waren und Geschützen für den Feind durch meine Patrouille zu schlüpfen.»
Er goß wieder zwei Gläser Bordeaux ein.
«Aber jetzt, da Sie diese Depeschen gebracht haben, kennen wir erst das wahre Ausmaß der Gefahr. Die Franzosen haben endlich Farbe bekannt. Ich habe bereits den Oberkommandierenden und alle höheren Offiziere hier benachrichtigt.»
Er lächelte.»Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Bolitho. Niemand konnte von einem neu ernannten Kapitän erwarten, daß er so gehandelt hätte, wie Sie es getan haben.»
«Danke, Sir.»
Bolitho scheuchte die Kehrseite des Bildes aus seinen Gedanken. Wenn er mit den wertvollen Transportschiffen in eine feindliche Falle gesegelt wäre, hätte der Admiral ganz anders zu ihm gesprochen.
«Schade um die Miranda, wir haben einen schrecklichen Mangel an Fregatten.»
«Was die Bonaventure betrifft, so möchte ich gern wissen…»
«Sie sind ein Mann, der dauernd etwas wissen möchte.»
Der Admiral lächelte immer noch.»In manchen Fällen kein allzu großer Fehler. Ich kannte Ihren Vater. Ich hoffe, es geht ihm gut?»
Er wartete nicht auf die Antwort und schien auch keine zu erwarten. Eilig sprach er weiter:»Ich bin gerade dabei, neue Einsatzbefehle für Sie abzufassen. In der Hast des Rückzugs haben die Militärs unglücklicherweise eine zum Hauptquartier gehörende Kompanie verloren.»
Trocken fügte er hinzu:»Unter uns gesagt, auch ich hätte in diesem Zusammenhang einiges wissen wollen, was unsre militärischen Kollegen an Land betrifft. Mir scheint, daß einige von ihnen nicht genügend Hirn im Schädel haben, ihren Diensträngen gerecht zu werden.»
Er seufzte tief.»Aber wenn auch, wer bin ich schon, sie zu verurteilen? Wir sind da besser dran. Wir tragen unsre Wohnungen, unsre Lebensart mit uns herum wie die Seeschildkröten. Wir können uns nicht gut mit irgendeinem lumpigen Infanteristen vergleichen, der mit Gepäck und Muskete beladen, fußkrank und halbverhungert seines Wegs stolpert. Er muß verhandeln, um vom Land leben zu können, er muß gegen Schatten kämpfen und wird von amerikanischen Waldbewohnern beschossen, oder er kommt gar mit gut gedrillten Truppen ins Handgemenge.»
Bolitho beobachtete ihn neugierig. Letzten Endes war an dem Admiral nichts Ungewöhnliches, nichts anderes, als man von einem Mann erwartete, der durch Autorität und Befehlsgewalt hervorgehoben war. Aber gewiß wohnte hinter seinen Zügen ein messerscharfer Verstand, der es ihm erlaubte, von einem Gesichtspunkt zum anderen zu schweifen, ohne den Überblick zu verlieren.
«Übrigens, was ist die Bonaventure für ein Schiff?«»Sie ist groß und schnell, Sir.»
Bolithos Gedanken kehrten wieder zu dieser Besprechung zurück.»Mindestens vierzig Kanonen und gut geführt. Ich bin sicher, daß sie das Schiff war, das uns folgte. Und sie konnte uns ohne weiteres überholen, als ihr Kapitän den rechten Augenblick für gekommen hielt. «Er wartete, doch das Gesicht des Admirals war eine undurchdringliche Maske.
«Sie ist einer Fregatte durchaus gewachsen.»
«Das ist wichtig. Ich werde Nachforschungen über ihre Herkunft anstellen. «Er öffnete seine Uhr.»Ich möchte, daß Sie noch heute in See gehen und diese vermißte Infanteriekompanie finden, bevor sie in Gefangenschaft gerät.»
Bolitho starrte ihn an.»Aber Sir, ich habe meine Befehle!»
«O ja!«Er stieß ruckartig sein Kinn vor.»Und jetzt haben Sie meine Befehle, eh?»
Bolitho lehnte sich in seinem Stuhl zurück.»Ja, Sir.»
«Ich vergaß zu erwähnen, daß die Soldaten Goldbarren transportieren, wieviel, das weiß Gott allein. Manchmal fällt es mir schwer, mein militärisches Gedächtnis in genaue Einzelheiten aufzugliedern. Gewiß aber sind es ziemlich viele. Kriegsgewinne, Armeesold, Beute, was es auch sein mag. Sie können sich drauf verlassen, daß es sich um hohe Werte handelt. «Er lächelte.»Bei der Kompanie befindet sich übrigens auch ein echter General!»
Bolitho goß den Bordeaux in einem einzigen Schluck hinunter.
«Ein General, Sir?»
«Gewiß, und beachten Sie, daß er gute Beziehungen hat und nur wenig Geduld.»
Mit ruhiger, sachlicher Stimme fuhr er fort:»Ihr Eintreffen hier ist ein Gottesgeschenk. Ich habe derzeit nur eine kleine Brigg zur Verfügung, die ich sehr ungern geschickt hätte.»
Bolitho schwieg.»Verloren hätte«, meinte der Admiral wohl in Wirklichkeit.
«Es sind Vorbereitungen getroffen worden, Ihnen einige Armeekundschafter mitzugeben, und außerdem ist eine kleine Abteilung bereits unterwegs, um mit den Vermißten Verbindung aufzunehmen.»
Er machte eine Pause, bevor er in gleichmäßigem Tonfall weiterredete:»Sie werden unter Oberst Foleys Kommando stehen. Er kennt das Gebiet wie seine Hosentasche. Sie müssen sich also seiner Erfahrung unterordnen.»
«Ich verstehe, Sir.»
«Gut, ich werde Ihnen die schriftlichen Befehle ohne Verzögerung zukommen lassen. «Wieder ein Blick auf die Uhr.»Ich erwarte, daß Ihr Schiff vor Einbruch der Dunkelheit klar ist zum Anker lichten.»
«Darf ich fragen, wohin ich zu segeln habe, Sir?»
«Nein. Es ist alles in Ihren Befehlen festgelegt. Ich möchte nicht, daß ganz New York schon jetzt davon erfährt. General Washington hat hier viele Freunde. Und manch einer von uns wartet nur darauf überzulaufen, sobald die Dinge für die britische Krone schlecht aussehen.»
Er gab Bolitho die Hand. Die Besprechung war zu Ende.
«Seien Sie vorsichtig, Bolitho. England wird alle seine Söhne noch brauchen, wenn es überleben will. Dieser verdammte Krieg sollte ohne allzu große Opfer gewonnen werden. Aber wenn Sie bei diesem Abenteuer Erfolg haben, dann beweisen Sie, daß Sie gegen alles, was Ihnen noch bevorsteht, gewappnet sind. Sie würden dann mit größerem Ruhm, als es Ihrem Dienstrang entspricht, zu Ihrer Flottille zurückkehren.»
Einigermaßen benommen und verwirrt kehrte Bolitho zur Schanzkleidpforte zurück. Seine Gedanken wälzten die Worte des Admirals um und um.
Diesmal grüßte ihn der Flaggkapitän persönlich.»Hat er Ihnen erzählt, was er von Ihnen verlangt?»
«Ja.»
Der Kapitän musterte Bolitho gedankenvoll.»Der Bruder des Generals ist ein Mitglied der Regierung. Ich dachte, ich sollte Ihnen das sagen.»
Bolitho zog seinen Hut tiefer in die Stirn.»Danke, Sir, ich werde versuchen, mich daran zu erinnern.»
Der Kapitän lächelte über seinen ernsthaften Gesichtsausdruck.»Ihr jungen Leute habt immer Glück!«Sein Lachen erstickte im Schrillen der Pfeifen, als Bolitho wieder in seine Gig kletterte.
Um das Ende der letzten Hundewache stieg Bolithos Passagier, Oberst Hector Foley, aus dem Wachboot an Deck der Sparrow. Er stand in den frühen Dreißigern. Eine Hakennase und tiefliegende, braune Augen im dunkelhäutigen Gesicht unterstrichen sein gutes Aussehen. Seine äußere Erscheinung schien dem tadellosen Scharlachrock und den weißen Hosen eines britischen Infanterieoffiziers zu widersprechen. Er blickte sich in der Kajüte um und bedankte sich nur mit leichtem Nicken, als Bolitho ihm sein Schlafabteil und die Koje anbot. Dann ließ er sich in einen der Stühle fallen. Er war hochgewachsen und hielt sich sehr aufrecht, und wie Bolitho mußte er aufpassen, wenn er sich zwischen den niedrigen Decksbalken bewegte. Er zog seine Uhr und sagte mit ruhigem Ton:»Ich schlage vor, Sie lesen Ihre Befehle, Kapitän. Wenn wir Glück haben, beschränkt sich Ihr Anteil an dem Unternehmen nur auf den Transport.»