Als Bolitho neben sich auf dem Achterdeck zornige Stimmen hörte, riß er seine Augen von dem erregenden Anblick los.
Es war Tilby, der rot angelaufen vom Genuß seines geheimen Rumvorrats auf ihn zustampfte.»Verzeihung, Sir, aber der Kerl da sagt, daß er Sie unbedingt sprechen muß. «Er glotzte den Seemann böse an.»Hab' ihm gesagt, daß ein Mann unter Bestrafung nicht ohne Erlaubnis mit einem Offizier sprechen darf.»
Bolitho erkannte hinter Tilby den Seemann, der ausgepeitscht werden sollte. Er war ein gutgewachsener Mann, der in wilder Entschlossenheit am Arm des Bootsmanns zerrte.
«Was ist los, Yelverton?«Bolitho nickte Tilby zu.»Ist es so wichtig?»
Der Seemann drängte sich auf dem Achterdeck vor und schluckte erregt.»Das Schiff, Sir, ist kein Indienfahrer nich! Ist ein verdammter Franzmann. Hab's gesehen, vor einigen Jahren in Boston.»
Bolitho fuhr herum.»Gott im Himmel!»
In diesem Augenblick feuerte der heranbrausende Westindienfahrer im Vorbeisegeln eine volle Breiseite in die unbemannte Flanke der Miranda. Der hallende Geschützdonner erfüllte das Herz eines jeden Mannes im Geleitzug mit Grauen.
IV Die große Verantwortung
Sogar auf zwei Meilen Entfernung sah Bolitho, wie die Fregatte von einem heftigen Beben geschüttelt wurde, als die Breitseite über sie hinfegte. Der Pirat mußte hoch gezielt haben, denn als der Rauch davonwehte, waren die Verheerungen, die der plötzliche Überfall hinterlassen hatte, deutlich zu sehen. Die Großroyalstenge war über Bord gegangen, und wie nach einem Sturm waren die meisten Segel durchlöchert und zu Fetzen zerschlissen.
Bolitho riß sich von den Wanten los, die er krampfhaft umklammert hatte. Seine Leute standen zu bewegungslosen Figurengruppen erstarrt. Die Männer waren so betroffen, daß sie weder denken noch sich rühren konnten.
«Mr. Tyrell«, brüllte er,»lassen Sie auf allen Decks klar zum Gefecht trommeln!«Dann packte er Bethune am Arm und schrie in sein verwirrtes Gesicht.»Flagge heißen!»
Ein Schiffsjunge griff nach seiner Trommel. Die Schlegel wirbelten:»Klar Schiff zum Gefecht.»
In die Männer auf dem Geschützdeck und auf der Back, von wo sie dem leichten Sieg der Miranda hatten zusehen wollen, kam wieder Leben. Alle rannten auf ihre Gefechtsstationen. Aber da gab es nicht mehr die automatischen Bewegungen von Seeleuten beim Drill. Und nirgendwo herrschte das grimmige Schweigen kampferprobter Männer, die sich zu einem neuen Gefecht bereit machten. Die Besatzung war zu verwirrt, um sich sinnvoll zu verhalten. Einige prallten aufeinander, andere standen an falschen Geschützen. Manche tappten mit fremden Ausrüstungsstücken herum, bis sie ein Unteroffizier mit Fußtritten wegjagte.
Bolitho blickte Buckle an, der sich bemühte, in all dem Durcheinander seine Stimme ruhig zu halten.
«Die unteren Segel aufgeien, Bramsegel setzen! Es werden ohnehin genug Funken fliegen! Nicht notwendig, daß auch die Segel um unsre Ohren herum abbrennen.»
Polternd und klappernd wurden unter dem Achterdeck Trennwände niedergerissen. Mit trampelnden Füßen schleppten die Matrosen Pulver für die Kanonen aus den Magazinen herbei.
Bolitho zwang sich, die heransegelnden Schiffe in Ruhe zu beobachten. Er wußte, daß es viel zu lange dauerte, bis die Sparrow kampfbereit war. Wie nahe der Feind schon war! Wieder dröhnte Geschützfeuer. Rauch wölkte in dicken Schwaden zwischen den Schiffen, und er konnte nicht ausmachen, was sich dort abspielte.
Als der Qualm davontrieb, sah Bolitho die Rahen der Miranda herumschwingen. Er hielt den Atem an. Die Fregatte hatte eine Wende eingeleitet, um zu dem Kaperschiff parallel zu segeln.
Im wehenden Pulverdampf brüllten wieder die Kanonen. Wie orangefarbene Zungen blitzten ihre Mündungsfeuer über die aufgewühlte See. Manche der Geschosse peitschten über das Wasser davon. Gischtfontänen bezeichneten ihren Weg von Welle zu Welle, bis sie plötzlich hinter einer großen Woge verschwanden.
Das Wendemanöver der Miranda war quälend langsam. Ihre blatternarbigen Segel flappten schwach, als sie sich endlich vor den Wind legte. Wahrscheinlich wollte ihr Kapitän das stärkere Freibeuterschiff Seite an Seite bekämpfen, oder aber er versuchte, hinter seinem Heck vorbeizuscheren und ihn mit einer Breitseite zu bestreichen.
Bolitho hörte jemand aufstöhnen, als der Franzose wieder in den Qualm hineinfeuerte. Schuß auf Schuß schmetterte in die hinter Rauchschwaden verborgene Flanke der Miranda. Fast konnte man über die schäumenden Kronen der Wellen hinweg die Einschläge spüren.
Der Augenblick, über die Fregatte herzufallen, während sie über Stag ging, war hervorragend abgepaßt. Offensichtlich benützte der Feind Kettenkugeln, denn als die Breitseite in die Miranda hineinkrachte, sah Bolitho, wie ihr Fock- und Großmast taumelten und dann unter den Treffern aufzuckend seitwärts in den Rauch hinunterkippten. Von einem schnittigen, herrlichen Schiff war die Fregatte zu einem verkrüppelten Wrack zusammengeschossen, bevor sie auf neuen Kurs gehen konnte. Ihr Buggeschütz feuerte blindlings in Richtung des Feindes, und von ihrem Besanmast wehte immer noch das Scharlachrot der Flagge.
«Schiff ist klar zum Gefecht«, brüllte Tyrell mit wilder Stimme. Bolitho sah ihn an.»Lassen Sie bitte laden und ausrennen.»
Der Leutnant blickte ihm ins Gesicht. Seine Augen blitzten hell in der Sonne.»Wollen Sie's etwa mit beiden aufnehmen, Sir?«»Wenn nötig, ja.»
Bolitho wandte sich um, als wieder Schüsse über die immer geringer werdende Entfernung hallten. Er sah, wie die Brigg sich von den beiden größeren Schiffen löste. Ihre Großstenge neigte sich in einem bedrohlichen Winkel. Die ersten Kugeln der Miranda hatten dort ihr Ziel gefunden. Unter seinen Schuhen zitterten die Decksplanken, als die Stückpforten sich öffneten und die achtzehn Kanonen ihre Mäuler quietschend und rumpelnd ins Sonnenlicht reckten. Halbnackte Seeleute rutschten auf dem sandbestreuten Deck aus, während sie versuchten, den Takt der Kommandos einzuhalten, die ihre Geschützführer ihnen zubrüllten. Bolitho starrte über sein Schiff hin. In seinen Gedanken stieg Verzweiflung auf. Ein paar Augenblicke später würde alles zu Ende sein. Sein Schiff, seine geliebte Sparrow, würde das Schicksal der Fregatte teilen.
Für den Feind war alles so lächerlich einfach gewesen. Zu oft war es schon geschehen, daß beim Anblick eines hilflosen Kauffahrers, der von einem gutbewaffneten Piraten angefallen wurde, nicht der geringste Verdacht entstanden war. Kein Wunder, daß die Segel der Brigg in diesem sorgfältig gespielten Manöver keinerlei Treffer aufwiesen. Wie mußten die beiden feindlichen Kapitäne gelacht haben, als die Miranda aus dem Verband ausscherte, um ihren eigenen Mörder zu verteidigen.
Er hörte Stockdale mächtig schnaufen, dann fühlte er, wie sich der Degengürtel um seine Hüften spannte.
«Bei Gott, Sir, schlechte Chancen«, zischte sein Bootsführer.
«Wahrschau an Deck!«Beim Anblick des Unheils war der Ausguck vergessen worden.»Miranda macht klar zum Entern!«Der Ausguck brüllte ein brüchiges Hurra.»Sie geht zum Nahkampf über!»
Bolitho rannte zur Reling. Die Fregatte war hinter den wuchtigeren Umrissen des Feindes fast versteckt, aber aus der Stellung ihres Besanmastes konnte er sehen, daß sie tatsächlich auf ihren Angreifer zutaumelte. Wieder wirbelte der Rauch einer Geschützsalve zwischen den Schiffen auf, und der letzte Mast der Miranda verschwand in einem Wirrwarr von Tauwerk und zerfetztem Segeltuch. Aber Bolitho sah auch die plötzliche Bewegung hinter dem Schanzkleid des Kaperschiffes, das Gewimmel von Menschen um ihren Fockmast. Dann konnte er ausmachen, wie sich der Bug der zerfetzten Fregatte an das Vorschiff des Feindes heranschob. Schwaches Musketenfeuer drang über das Wasser her, und er konnte das sprichwörtliche Blitzen von Stahl stehen, als die beiden Schiffe im nächsten Augenblick zusammenrammten und das Handgemenge begann.