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Dies und Tyrells hitziger Angriff auf die Art und Weise, in der Graves die Angelegenheit behandelte, bewiesen die verborgene Spannung unter der Besatzung aufs neue.

Graves war unnachgiebig geblieben. Der Seemann hatte ihn vor den Leuten seiner Wache beleidigt. Er mußte bestraft werden.

In einer Hinsicht hatte er recht. Seine Autorität mußte aufrechterhalten werden, oder er würde sich niemals wieder auf seine Befehlsgewalt verlassen können.

Bolitho machte sich selbst Vorwürfe. Hätte er mehr Zeit gehabt, diese ungewöhnliche Situation zu überdenken, oder wenn er sich in seiner neuen Stellung stärker für den Mann eingesetzt hätte, hätte er das Äußerste verhindern können. Durch sein eigenes Beispiel hätte er dem Offizier seinen Willen aufzwingen und ihm klarmachen können, daß er sein Verhalten nicht dulden würde. Aber nun war es zu spät. Er hatte die Sache zu lange treiben lassen.

So hatte er sich zum Kompromiß entschlossen und den Rechtsspruch ausgesetzt. Doch wußte er, daß er damit das Unvermeidliche nur hinausgezögert hatte.

Bolitho blickte zur hart angebraßten Großrah hinauf. Das Schiff segelte auf Backbordbug hoch am Wind und legte sich stark über. Er konnte jetzt den Mann sehen. Nackt bis auf einen Fetzen Segeltuch um die Hüften war er mit einigen Kameraden mit Spleißen und Reparaturen beschäftigt. Glaubte Tyrell wirklich, daß der Mann gereizt worden war? Bolitho wußte es nicht. Oder setzte sich Tyrell für ihn ein, weil er Graves im Verdacht hatte, er wolle ihn demütigen, indem er einen anderen Amerikaner bestrafen ließ?

«Wahrschau an Deck!«Der Ruf des Ausgucks im Topp wurde durch den Wind und das ständige Knallen der Segel gedämpft.

«DieMiranda gibt Signale!»

Bolitho fuhr herum.»Vorwärts, Mr. Bethune, Sie schlafen heut noch.»

Tyrell trat zur Seite, als der Fähnrich mit seinem Fernrohr zu den Leewanten sprang.

«Der denkt schon wieder an die nächste Mahlzeit. «Er lächelte über die Verwirrung des jungen Burschen.

«Anscheinend war der Ausguck der einzige Mann in dieser Wache, der an seine Pflicht gedacht hat, Mr. Tyrell!»

Die Schärfe seiner Stimme ließ den Leutnant erröten, und er wandte sich ab, ohne zu antworten.

«Signal von der Miranda, Sir!«rief Bethune,»Segel in Nordwest.»

«Bestätigen.»

Bolitho ärgerte sich über Tyrells lässige Haltung, noch mehr aber über seinen eigenen ungerechten Ausbruch.

Etwa zwei Meilen vor der Golden Vleece war die Miranda, die mit ihren geflickten, doch prall stehenden Segeln gute Fahrt machte, bereits dabei, die Bramsegel zu setzen und sich zur Erkundung bereit zu halten. Das unbekannte Schiff lag irgendwo backbord voraus, und obgleich es vorher nicht gesichtet worden war, mußte es wohl auf konvergierendem, Kurs segeln.

«Wahrschau an Deck! Segel in Sicht, genau in Luv voraus!»

Bolitho blickte in die gespannten Gesichter um ihn. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, selbst zur schwindelnd hohen Großmastsaling aufzuentern, obwohl er seine Furcht vor solchen Höhen niemals ganz überwunden hatte. Beim Hinaufklettern in den zitternden, schwankenden Wanten könnte er wohl seinen Ärger vertreiben und klaren, frischen Sinn zurückgewinnen.

Dann aber fiel sein Blick auf Raven, den neu ernannten Steuermannsmaat.»Entern Sie auf, nehmen Sie ein Glas und melden Sie, was sie sehen.»

Buckle hatte ihm erzählt, daß Raven ein erfahrener Seemann sei, der schon auf verschiedenen Schiffen der Kriegsflotte gedient hatte und den keiner so leicht zum Narren halten konnte.

Schon bevor Raven die Großrah erreicht hatte, erklang wieder der Ruf des Ausgucks:»Zwei Schiffe, dicht beieinander!»

Alle Augen folgten Raven, wie er sich frei überhängend auf die Saling hinaufschwang und dann zum Masttopp weiterkletterte.

Bethune war immer noch bekümmert, weil er das Signal der Miranda übersehen hatte. Plötzlich spannte sich sein Körper vor Erregung.»Geschützfeuer, Sir!«Er hielt seine Hände wie Trichter an seine Ohren. Mit seinem runden Gesicht sah er nun aus wie ein Kobold.

Bolitho schaute ihn an. Dann, als er sein Gehör über das Stampfen des gischtumsprühten Schiffsrumpfes und über das Knattern der Segel hinaus aufs Meer gerichtet hatte, hörte er selbst das tiefe, mißtönende Poltern einer Kanonade.

Vor Ungeduld geriet er fast außer sich, doch wußte er, daß er Raven nicht antreiben durfte. Er könnte vor Hast so sehr durcheinandergebracht werden, daß er die Lage nicht mehr richtig einschätzte.

«Wahrschau an Deck!«Endlich hörte er Raven rufen.»Erstes Schiff ist ein Kauffahrer. Wird von einer Brigg angegriffen!»

«Freibeuter, bei Gott!«rief Buckle mit belegter Stimme.

Bolitho ergriff ein Fernrohr und richtete es durch die dunkle Masse des Riggs, an einigen Seeleuten auf der Back vorbei, auf den schwankenden Horizont. Eine Täuschung des Lichtes? Er blinzelte mit tränenden Augen und versuchte es noch einmal. Nein, dort war es, ein winzig kleiner, weißer Tupfen, der ab und zu über dem blendenden Glitzern endlos dahinwandernder Wogenkämme aufleuchtete. Der einsame Kauffahrer hatte Pech gehabt. Aber wenn sie ein wenig Glück hatten, konnten sie den Spieß nun umdrehen.

Die Miranda hatte ihre Position bereits verlassen und war mit wild schlagenden Segeln über Stag gegangen. Als sich ihre Segel auf dem neuen Kurs wieder füllten, sah Bolitho an ihrem Mast neue Signale hochfliegen.

«Signal an alle«, sagte Bethune rasch.

«Bleiben Sie auf Station.»

Buckle fluchte.»Der ist drauf aus, das verdammte Prisengeld allein zu gewinnen, der verfressene Gauner.»

Das Geschützfeuer war nun deutlicher zu hören, und Bolitho sah durch das Glas, wie leewärts der Schiffe Rauchschwaden über die See davontrieben. Die kleine Brigg hatte alle Segel gesetzt und bemühte sich, noch näher an ihr Opfer heranzukommen.

Bolitho schob das Glas zusammen. Hinter sich hörte er seine Leute murren. Sie waren ebenso enttäuscht wie er selbst. Sicher hatte der Kapitän der Miranda den Angriff nicht eingeleitet, um die Besatzung der Sparrow zu demütigen, sondern um die Langeweile einer langsamen Reise zu unterbrechen.

«Signalisieren Sie der Bear, sie soll mehr Segel setzen«, sagte er zu Tyrell.»Sie fällt stark zurück.»

Dann beobachtete er wieder voll Spannung die Fregatte. Sie segelte sehr schnell, obwohl der Wind fast dwars zu ihren Segeln stand. Die Stückpforten öffneten sich, und die Sonne blitzte auf der Reihe kampfbereit ausgerannter Geschützmündungen.

Der Kapitän der Brigg mußte längst erkannt haben, was geschah, aber mit dem Sieg fast schon in der Hand wollte er wohl seine Beute nicht aufgeben.

Auf der Back und auf dem Geschützdeck fuchtelten die Leute mit den Armen und schwatzten aufgeregt durcheinander. Wahrscheinlich führten sie großartige Reden, wie sie gehandelt hätten, wenn man ihnen die Chance zum Angriff auf das Kaperschiff gegeben hätte.

Bolitho rief Raven auf das Deck zurück.»Sie haben Ihre Sache gut gemacht«, lobte er.

Der Mann grinste verlegen.»Danke, Sir. Die Brigg ist ganz sicher ein Yankee. Hab' schon viele solche gesehen, seit ich zur See fahre. Das andere Schiff sieht aus wie ein Westindienfahrer, obwohl seine Artillerie schlechter ist als bei anderen.»

«Die Brigg hat jetzt den Angriff abgebrochen«, schrie Tyrell.

«Sie macht sich davon.»

Bolitho seufzte. Der Westindienfahrer hatte schon Kurs auf den kleinen Geleitzug genommen, während die Miranda unter vollen Segeln auf das Kaperschiff lospreschte. Hinsichtlich Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit hatte eine gutgeführte Brigg gegenüber einer Fregatte durchaus eine Chance. Aber der Freibeuter hatte zu lange gewartet. Auf sich schneidenden Kurslinien würden die drei Schiffe Seite an Seite aneinander vorbeilaufen. Die Fregatte würde den Kauffahrer decken und im Vorbeisegeln die Brigg von Bug zum Heck mit ihrer Artillerie bestreichen.

Vorausgesetzt, daß die Brigg nicht zu stark beschädigt würde, könnte sie ein brauchbares Schiff für die englische Flotte abgeben. Jedenfalls würde der Kapitän der Miranda einen ordentlichen Batzen an Prisengeld einstreichen.

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