Störrisch wie zuvor, doch endlich von der richtigen Seite her hatte der Wind auf Süd-Südwest zurückgedreht und zu einer frischen Brise aufgefrischt, die während der vergangenen Tage kaum nachgelassen hatte. Unter geblähten Segeln hatten die Schiffe gute Fahrt auf die amerikanische Küste zu gemacht, die nun nach den letzten Berechnungen etwa 250 Meilen entfernt liegen mußte. Die schweren Kauffahrteischiffe hatten ständig fünf Knoten gemacht. Sie mochten zufrieden sein, daß der Kapitän der Miranda sich nicht allzuviel einmischte. Die Signale der Miranda hatten meist nur der Sparrow gegolten. Denn ungefähr vierundzwanzig Stunden nachdem die Fawn davongesegelt war, hatte der Ausguck im Masttopp wieder ein Segel gesichtet. Wie eine winzige, weiße Blase schwebte es weit achteraus über dem Horizont.
Bolitho hatte Graves mit einem Fernrohr ins Topp geschickt, aber selbst er hatte den mysteriösen Verfolger nicht identifizieren können. Dann hatte er zur Fregatte signalisiert und um Erlaubnis zur Erkundung gebeten. Es war verweigert worden. Wahrscheinlich bedauerte der Kapitän der Miranda sein Zusammentreffen mit dem Konvoi. Ohne die schleppende Last der Transporter hätte er jetzt wohl sein Ziel schon erreicht. Es hätte ihm sicher keinen Verweis eingebracht, wenn er seine Nachrichten nicht nach Antigua hätte weitergeben können. Da er aber nun auf die langsameren Schiffe gestoßen war, mußte er so handeln, wie er es jetzt tat. Es war ihm keine andere Wahl geblieben. Auch rechnete er wohl damit, daß die Sparrow ohne Überwachung direkter Vorgesetzter aus irgendwelchen Gründen abdrehte und ihn dann mit der vollen Verantwortung für die Transportschiffe allein ließ.
Das unbekannte Segel war inzwischen nicht wieder gesichtet worden, und Bolitho gab zu, daß der Kapitän der Miranda zwar übervorsichtig, aber richtig gehandelt hatte, als er ihn von einer Erkundungsfahrt zurückhielt.
Bolitho wandte sich Tyrells bronzefarbenem Gesicht zu und nickte:»Ich bin ganz zufrieden.»
Er beobachtete einige Vortoppsgasten, die nach der Arbeit hoch über Deck nun um die Wette an den Stagen niederglitten. Buckle hatte recht, wenn ein rechter Wind blies, flog die Sparrow wie ein Vogel über die See. Er blickte zum nächsten Transportschiff, der Bear, hinüber und wünschte, daß er den Geleitzug endlich los wäre. Dann erst würde er die Sparrow wirklich erproben können. Wenn die Royalsegel und sogar Leesegel gesetzt würden, könnte er erst sehen, was sein Schiff unter jedem Fetzen Tuch zu leisten vermochte.
Die meisten der wachfreien Offiziere amüsierten sich an Deck mit ihrem üblichen Geplauder vor dem Mittagessen. Sie achteten sorgfältig darauf, an der Leeseite zu stehen und ihm, so gut es ging, aus dem Weg zu sein.
Dalkeith, der Schiffsarzt, unterhielt sich lachend mit Buckle. Sein Kahlkopf leuchtete weiß im harten Sonnenlicht. Die rote Perücke wurde vom Messesteward gerade kräftig ausgeschüttelt, und Bolitho vermutete, daß sie von einer über Deck waschenden See durchnäßt worden war.
Zahlmeister Lock war mit dem jungen Heyward in ein ernsteres Ge spräch verwickelt. Der Wind knitterte und faltete die Seiten seines großen Hauptbuches, während er den Fähnrich vermutlich über Verpflegungsfragen aufklärte.
Bethune hatte Wache und stand etwas unordentlich an der Achterdecksreling. Sein Hemd war bis zur Hüfte geöffnet, und mit einer Hand rieb er sich den Magen. Bolitho lächelte. Der junge Bursche hatte zweifellos Hunger. Fähnriche wie Bethune waren immer hungrig. Unten auf dem Geschützdeck faulenzten viele der Seeleute im Schatten der Segel oder vertrieben sich die Zeit ähnlich wie ihre Offiziere. Beim Großmast stand der Bootsmann mit seinem einzigen Freund Yule, einem Geschützführer, zusammen. Bolitho dachte, daß die beiden ein schreckliches Paar von Wegelagerern abgegeben hätten. Tilby, umfangreich und plump, hatte vom allzu vielen Trinken zerstörte Züge. Dagegen war Yule dunkelhäutig, flink wie ein Wiesel, und seine stechenden Augen kamen niemals zur Ruhe.
Während Bolitho von Gruppe zu Gruppe blickte, wurde er abermals an seine neue, abgesonderte Stellung erinnert, an seine Zurückgezogenheit, welche leicht zur Einsamkeit führen konnte. Seine Vorrechte könnten auch zu einer Bürde werden.
Er verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und schritt an der Luvseite langsam auf und ab. Der warme Wind wühlte in seinen Haaren und blähte sein offenes Hemd. Irgendwo dort draußen hinter den Wanten lag die Küste Amerikas. Wie sonderbar wäre es, wenn sie dort vor Anker gingen, und der Krieg wäre zu Ende. Wenn die Blutsgemeinschaft mit den Amerikanern angesichts der Herausforderung Frankreichs sich als stärker erwiesen hätte und wenn England der Unabhängigkeit Amerikas zustimmen könnte, dann würden sich beide Nationen vielleicht gegen die Franzosen verbünden und ihre Machtansprüche ein für allemal klären. Er betrachtete Tyrells Profil und hätte gern gewußt, ob er wohl genauso dachte.
Bolitho verscheuchte die persönlichen Probleme seines Leutnants aus seinen Gedanken und versuchte, sich auf die lange Reihe der Notwendigkeiten zu konzentrieren, die täglich an ihn herantraten. Der Wasservorrat mußte so bald als möglich aufgefüllt werden. Die Fässer waren in schlechtem Zustand, und bei diesem Klima wurde das Trinkwasser rasch brackig. Auch würde er frisches Obst kaufen, wann immer sie auf Land stießen oder ein Versorgungsschiff träfen. Eigenartig, daß die Besatzung so gesund geblieben war, obwohl Ransome solch einfache Regeln offensichtlich nicht beachtet hatte. In den drei Jahren, die er an Bord der Trojan gedient hatte, war nicht ein einziger Fall von Skorbut vorgekommen. Es war dies ein deutliches Zeichen, daß Kapitän Pears sich um seine Leute sorgte, ja, es war eine wertvolle Lektion für alle seine jungen Offiziere. Bolitho hatte schon mit Lock darüber gesprochen, und nach einigem Zögern hatte der Zahlmeister gemurmelt:»Eine kostspielige Angelegenheit, Sir.»
«Es ist kostspieliger, wenn unsre Leute vor Schwäche und Krankheit umfallen, Mr. Lock. Ich habe gehört, daß sich ein ganzes Geschwader wegen solcher Knauserei hat kampflos ergeben müssen.»
Dann stand da noch die Prozedur einer Auspeitschung bevor, die erste, seitdem er Kapitän war. Er hatte die unnötig harte Anwendung von Bestrafungen immer verabscheut, obwohl er wußte, daß sie gelegentlich notwendig wurde. In der Königlichen Flotte war die Disziplin rauh und unmittelbar, und wenn ein Schiff viele Meilen von zu Hause und den Behörden an Land entfernt war, bedeuteten harte Strafen die einzige Abschreckung vor Auflehnung und Verwilderung. Es gab Kapitäne, die bedenkenlos straften. Brutale, unmenschliche Auspeitschungen waren auf manchen Schiffen eine alltägliche Sache, und als Bolitho noch ein junger Fähnrich war, war er beim Anblick solch einer Tortur fast einmal ohnmächtig geworden. Andere Kapitäne wieder überließen, schwach und untüchtig, die Befehlsgewalt ihren Untergebenen und schlossen ihre Augen vor Mißbrauch.
In den meisten Fällen aber kannte der englische Seemann die Maßstäbe seines Dienstes, und wenn er sie überschritt, war er auch bereit, die Folgen zu tragen. Und wenn jemand einen seiner Kameraden bestahl oder betrog, konnte er kein Mitleid erwarten. Die Rechtsprechung der unteren Decks war genauso gefürchtet wie die des Kapitäns.
Aber mit diesem Fall auf der Sparrow stand es ganz anders. Ein Seemann hatte Leutnant Graves während einer Nachtwache den Gehorsam verweigert, als die Leute in einer plötzlichen Bö zum Segelreffen heraufgerufen wurden. Er hatte seinen wachhabenden Offizier angeschrien und ihn in Hörweite von zwanzig Männern einen herzlosen Lump genannt.
Tyrell hatte Bolitho vertraulich gebeten, die Erklärung des Seemannes gelten zu lassen. Er war ein guter Toppgast, und Graves hatte ihn in einem plötzlichen Wutanfall gereizt, als er nicht zugleich mit seinen Kameraden seinen Posten auf der Großrah erreichte.
«Sie dreckiger Yankeebastard«, hatte Graves gebrüllt,»zu faul, seine Pflicht zu tun, und zweifellos zu beschissen feige, zu kämpfen, wenn es an der Zeit ist.»